Fitness
ZUR SEELE: Erkundungen mit Schmidbauer
Unser Körper ist für ein Leben als Sammler und Jäger konstruiert, angelegt darauf, dass Bewegungen einen Sinn haben. Vielleicht wurzelt darin die unlösbare Frage nach dem »Sinn des Lebens«. Wenn Wurzeln geerntet, ein Bienennest entdeckt, eine Beute erlegt werden, wirken alle körperlichen und mentalen Kräfte zusammen. Der Sinn ist da. Dann gibt es lange Phasen der Suche. Der Sinn ist nicht da, aber ich bewege mich, um ihn zu finden. Die Suche umfasst das Vertraute so wie das Neue. Wir entdecken das Neue dadurch, dass wir es mit dem Vertrauten vergleichen. Dadurch gewinnt jede Suche erst ihre Orientierungen; vorher ist sie ziellos und in der Regel weniger wirkungsvoll.
Wenn ich regelmäßig in einen Wald gehe, um Pilze zu sammeln, brauche ich anfangs viel Zeit und ernte wenig. Ich kenne den Wald nicht, finde keine bequemen Pfade, habe keinen Plan in mir, weiß keine Fundplätze. Im Lauf von Sammelzügen gewinnt mein Revier eine Struktur. Ich trage einen Plan in mir, der viel Zeit spart, weil ich nicht mehr überall mit gleicher Intensität suche, sondern an den erprobten Stellen intensiver, an den wenig lohnenden flüchtig. Ich kenne Wege, wo das Gelände offen und der Überblick gut ist. Vor diesem Vertrauten hebt sich deutlicher ab, was ich finden will.
Wachsam durch die Welt zu wandern ist die Grundbeschäftigung des Menschen - nicht vor einem Bildschirm zu sitzen und wegzuzappen, was nicht aufregend genug ist. Wo diese harmonische Übung von Körper und Geist verloren geht, werden dumme Dinge erfunden, um den Verlust auszugleichen. Man kann beispielsweise eine komplizierte Maschine vermarkten, welche dazu dient, die verlorene Wanderung durch die Welt mit Hilfe eines elektrisch betriebenen Laufbands wiederherzustellen. Von dort blickt der Wanderer, der sein Schwitzen regulieren kann, auf eine Digitaluhr, welche ihm sagt, ob er genug geschwitzt hat. Etwas Neues finden wird er auf diesem Gerät nie. Er kann es aber vor einem Fernseher aufstellen. Der Angestellte fährt aus einem klimatisierten Büro mit dem Aufzug in die Tiefgarage, besteigt dort sein Fahrzeug und bewegt sich weitgehend passiv in den Fitnessraum, den er sich in seinem Haus in der Vorstadt installieren ließ.
Die in der Werbung von waschbrettbäuchigen Athleten angepriesenen Trimmgeräte verstauben vorwiegend unbenutzt, weil Motivation nicht mitgeliefert wurde. Maschinen, die nicht mehr können als Muskelgruppen zu erhitzen und die Produktion von mehr Muskelfasern anzuregen, sind eine Beleidigung der menschlichen Intelligenz. Wir sollten wenigstens an die Trimmräder und Gewichtsmaschinen Dynamos koppeln. Fitnesszentren könnten ihren eigenen Strom produzieren. Noch klüger wären Geräte, die einen direkten Kraftschluss herstellen - Fernseher, Videorekorder oder Computer, die nur funktionieren, wenn man kräftig in die Pedale tritt.
Das gesunde Leben wird zum Additiv, wie Vitamine im Dosengemüse. Es wird erst ausgetrieben und dann rekonstruiert. Wir leben länger als die Menschen der Steinzeit, weil Kälte und Hunger gefährlicher sind als Klimaanlagen und Übergewicht. Aber wir könnten länger und vor allem mit höherer Qualität leben, wenn wir mit unseren technischen Möglichkeiten vernünftig umgehen. Die sinnliche Verbindung von Bewegung und Lebensunterhalt ist abgerissen. Wir arbeiten vorwiegend im Sitzen. Bewegungsmangel ist der Anfang aller »Zivilisationskrankheiten«.
Hilfreicher als mahnende Mediziner wären Verkehrssysteme, in denen körperliche Übung ihren Platz hat, Humanomobile statt motorbetriebener Fahrzeuge, Grünbahnen, um auf angenehme Weise von einem Ort zum anderen zu kommen. Nicht der Radweg soll der Autostraße abgetrotzt werden, sondern die Autostraße braucht eine Zulassung, die so streng gehandhabt wird wie die von Maschinenpistolen.
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