Gipfel oder Anstalt, das ist die Frage

MEDIENgedanken: Politisches Kabarett im öffentlich-rechtlichen Fernsehen

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 4 Min.

Kabarett medial, das heißt heute immer digital. Das passiert öffentlich-rechtlich in ARD und ZDF. Die beiden handzahm gehaltenen gewaltigen Medientiere im Zoo einer breiten Öffentlichkeit beargwöhnen sich gegenseitig. Gelegentlich liebäugeln sie auch miteinander. Scheu leben sie mit dem Schielblick auf die Einschaltquote, das für sie magische Phänomen. Die mit der Politik verkungelte Werbewirtschaft zähmt sie mit der Quotendrohung. Genau das weckt in den ihnen untertanen Medienvertretern den Wunsch, mal über alle Stränge zu schlagen.

Das ist die Chance, auf den Kanälen Kabarett zu veranstalten. Was gibt es Beglückenderes, als Frechheiten loszuwerden und dabei obendrein Quote zu machen! Nun ändern sich Zeiten und Zeitgenossen mitunter. Und selbst auf dem Gipfel der Satire, den Dieter Hildebrandt bei der ARD markierte, pfeift ein scharfer Wind. Die Bezeichnung »Scheibenwischer« dafür nahm er nach 28 Jahren mit. Übrig blieb »Satire Gipfel«. Dem Zeitgeist zuliebe sollte aber fortan die Satire in der angeblich besser belachbaren »Comedy« gipfeln. Ein eklatanter Widerspruch, den nur ein menschlicher Harmoniefaktor namens Dieter Nuhr glättend überspielen kann. Dieser folgte bereits nach knapp zwei Jahren auf den schnell erschöpften Meister der Parodie, Matthias Richling, als Chef der Chose. Mit konstantem Grinsen durchaus mittelmäßige, pseudophilosophisch aufgeputzte und oft geradezu staatstragende Witz-Sätze zu servieren, darin ist er einmalig.

Nach dem unerforschlichen Ratschluss seines geübten Promi-Regisseurs Volker Weicker steht er mit dem alten Knüppel-Mikro in der Faust auf der Riesenbühne herum. Spielt er? Nein, er redet und redet. Und lacht über sich selbst, als Signal fürs Publikum. Offenbar unentbehrlich, darf er sogar dort weiter herumsitzen, wenn wie jüngst Gerburg Jahnke, Marc-Uwe Kling und Max Uthoff ihren Auftritt haben. Jahnke, die bessere Hälfte der ehemaligen »Misfits«, lebt frisch von ihren alten Pointen. Kling liest seine Kuriositäten ab, weil er noch zu jung ist, sie sich zu merken. Aber Uthoff, das ist der, der solange Jura studierte, bis ihm der juristische Kragen platzte, und der nun wie an diesem Abend rechtskräftig haltbar zugespitzte Pointen der Extraklasse ins Publikum schleudert.

Ach ja, an dem Abend war Andreas Rebers noch dabei - mit dichterischen Bauchschmerzen, wie immer hochmusikalisch verbrämt. Schade, dass er nicht auf seinen Auftritt am nächsten Abend bei der Konkurrenz hinweisen durfte. Delikat, dass er dort bei ZDF und »Neues aus der Anstalt« um Längen besser war. Wie übrigens die gesamte dort angetretene Crew, die in rasendem Tempo zur Hochform auflief. Catherine Melville hat es seinerzeit bei Hildebrandts »Scheibenwischer« vorgemacht: Regie heißt auch hier bei Frank Hof (ein Name, auf dem Abspann kaum lesbar), Spielfreude bis zur Spielwut wecken. Spielen, spielen, spielen. Mimik und Stimme dürfen sich im doppelten Salto überschlagen. Hauptsache, die Pointen sitzen punktgenau. Am besten beim Luftholen. Mund und Auge offen.

Was da inzwischen das Duo Priol-Pelzig abliefert, ist kaum zu glauben. Der einmal als sprachlicher Lotterbube denunzierte Aschaffenburger Urban Priol liefert sich mit dem Würzburger Frank-Markus Barwasser alias Erwin Pelzig beiderseits fränkisch gefärbte Wortgefechte der Extraklasse. Gleich gepeilt in Stimmlage und auf Augenhöhe, geraten sie ununterbrochen aneinander. Sie finden sich als satirische Wutbürger am Ende doch beide in dem Abseits wieder, wo Vernunft wohnt.

Übrigens: »Wutbürger«. Dieter Nuhr hat das Wort längst neben dem »Gutmenschen« in der Abseite für anrüchige Vokabeln entsorgt. Es widert ihn an. Wird der immer Gleichmütige auf Dauer der Versuchung widerstehen, eingespielte Lacher aus der Warm-Up-Phase des Publikums in die Originalsendung einzuspeisen? Seit selbst so gestandene Comedians wie Helge Schneider und Ingo Appelt ihren satirischen Einstand in Priols »Anstalt« gaben, wird sein komödischer Gipfel immer einsamer. Die kabarettistische Post geht eben beim ZDF ab. Daran kann gar kein Zweifel mehr bestehen, seit Oliver Welke jeden Freitagabend dort mit der »heute-show« zusätzlich die Politik aufmischt.

Wenn dort der Dresdner Olaf Schubert als pfiffiger Beiträger zu Sachsenwort kommt, warum soll dann Uwe Steimle seine Sachsenstimme nicht in der »Anstalt« laut und vernehmlich erheben? In der letzten Sendung übertraf er schlagfertig wie selten einige Erwartungen. Nach Pelzigs »Volkstrauertag ist das Erntedankfest der Waffenlobby« kam er mit »Zuviel Rotlicht macht braun« auf einen Punkt, den er beharrlich vertiefte. Sein Wehleiden am Tatsächlichen ist ja nie gespielt. Westdumm zu sterben, davor wird ihn seine Ostschlauheit bewahren. Hübsch, wie dazu das bayrische Kurioslein Martina Schwarzmann mit der ihr eigenen Witz-Folklore den Kontrast gab.

Verdient gespenstisch steigerte sich der Abend zum Atemberaubenden, als Andreas Rebers den in Pension gehenden Allianz-Chef und Erwin Pelzig sein Furioso der Aufklärung über Goldmann-Sachs gaben. Da die absolut nüchterne Niedertracht des Geschäftskalküls. Dort das Kreuz und Quer der miesen Verflechtung all der großen Namen der Finanzwelt mit einem Zentrum, und das als Anschauungsunterricht mit Versatzstücken. Falls meine vielerorts gezähmten Karikaturistenkollegen da zugeschaut haben, hoffe ich nur eines: Oh ihr lieben Buntwäscher und Leisegänger der ehemals spitzen Feder, seid ihr blass geworden vor Neid? Dass es diese tiefbittere Erschütterung noch geben kann jenseits billiger Witzelei?

Der Autor ist Zeichner, Buchautor und nd-Karikaturist.

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