Aufstieg durch Bildung
Brasiliens Privatuniversitäten werben um Studierwillige aus der unteren Mittelschicht
Ciro Domingues Quirino nimmt die Pipette mit dem orangefarbenen Ballon in die Hand und drückt einige wenige Milliliter in das Becherglas. Dann kontrolliert er den Eichstrich, lässt noch ein paar Tropfen der glasklaren Flüssigkeit in das Glas fallen und legt einen gläsernen Deckel drauf. Dann ist der nächste der Schüler aus der Klasse von Ifomar Pereira te Barrios mit der Übung dran. Die ist Bestandteil der Ausbildung, die der 23-jährige Ciro Domingues an der Privatuniversität Anhanguera absolviert. »Vier Jahre dauert die und am Ende bin ich ausgebildete Apotheken-Fachkraft«, erklärt er. Unterstützt wird der junge Mann, der aus einfachen Verhältnissen stammt, dabei von seinem Chef. »Er will, dass ich mich weiterqualifiziere und mit einem abgeschlossenen Anhanguera-Studium kann ich das Dreifache verdienen«, erklärt Ciro Domingues. Letzteres bestätigt Dozent Ifomar Pereira te Barrios, der den Abendunterricht in dem Chemieraum der Universität Anhanguera leitet. Einige Tausend Studenten tummeln sich hier nach Feierabend auf dem Campus, denn Fort- und Weiterbildung ist in Brasilien ein zentrales Thema. Händeringend suchen die Betriebe landesweit nach Fachkräften und besonders groß ist die Nachfrage in São Paulo. In Brasiliens Industriemetropole ist der Mangel an qualifiziertem Personal zu einer Wachstumsbremse geworden. »Headhunter jagen den Unternehmen das qualifizierte Personal ab und die Löhne sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen«, erklärt Vitor Pini. Der 36-jährige Finanzverwalter der Universität kennt sich aus auf dem brasilianischen Ausbildungsmarkt, auf dem die Privatuniversität Anhanguera zu den großen Playern gehört, aus. 400 000 Studenten in mehren Dutzend Städten lernen in der erst 1994 gegründeten Einrichtung.
Die hat die untere Mittelschicht im Fokus. »Wir treiben die Volksbildung in Brasilien nach vorne«, erklärt Vitor Pini den Ansatz der Universitätsgründe und ein Blick in die Statistiken zeigt, dass Brasilien einen immensen Nachholbedarf hat. Während in den USA oder Korea 25 von Tausend ein Ingenieursstudium aufnehmen, sind es in Brasilien nur sechs, so Pini. Das muss sich ändern bestätigen auch Brasiliens Politiker, die angesichts des enormen Bedarfs Konzessionen an private Träger ausgegeben hat, um die Engpässe möglichst schnell zu beseitigen. De facto ein Eingeständnis, dass das staatliche Bildungssystem mit den Aufgaben überfordert ist. Das wird nur noch ganz oben den Ansprüchen gerecht. Unterhalb des Universitätsniveaus lässt die Qualität zu wünschen übrig. Kaum ein Schüler einer normalen weiterführenden Schule schafft die harten Aufnahmetest an den Universitäten - das haben nur die eine Chance, die wirklich gut vorbereitet sind. Schüler aus normalen staatlichen Schulen nicht, denn die sind nicht wie die Konkurrenz aus besser situiertem Haus minutiös vom Privatlehrer vorbereitet. Das ändert sich nun, denn über die privaten Fachschulen und Universitäten kommt Bewegung in den Ausbildungsmarkt.
So kann sich auch Ciro Domingues Quirino die Weiterbildung parallel zum Job leisten, denn die monatlichen Gebühren, kann er durch einen günstigen staatlichen Kredit abstottern. »Das sorgt für Perspektive«, freut sich der Pharmaziestudent und nimmt die Pipette wieder in die Hand. Die nächste Aufgabe wartet.
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