Neuer Chef für die Prager Burg gesucht
Erstmals wählen die Tschechen ihr Staatsoberhaupt direkt
Seit Freitagmorgen sind in den tschechischen Städten und Dörfern die Wahllokale geöffnet. Die Stimmberechtigten im Lande erleben eine Premiere: Erstmals dürfen sie einen Staatspräsidenten direkt wählen. Neun Kandidaten stehen auf den Wahllisten, und bislang kann niemand sagen, wer das Rennen auf die Prager Burg machen wird. Denn Umfragen, die eine Tendenz verraten könnten, wurden schon seit mehreren Wochen nicht mehr veröffentlicht.
Dennoch gibt es natürlich Favoriten. Da ist zum einen der frühere Interimsregierungschef Jan Fischer. Der einstige Leiter des tschechischen Statistikamtes hatte 2009 die Geschäfte der maroden bürgerlichen Regierung unter Mirek Topolanek übernommen. In seiner Amtszeit wurde in Prag eine solide Politik gemacht, und ausnahmsweise bezogen sich die Schlagzeilen in der kurzen Frist von April 2009 bis Mai 2010 nicht auf Korruptionsaffären oder die Veruntreuung öffentlicher Mittel. Fischers Politik schuf Vertrauen bei den europäischen Partnern, der kühle Mathematiker setzte sich gegen den euroskeptischen Präsidenten Vaclav Klaus durch. Sollte er die Wahl gewinnen, wäre er überdies der erste jüdische Präsident Tschechiens, wie die israelische Tageszeitung »Haaretz« hervorhob. Und er wäre ein Präsident des bürgerlichen Lagers.
Die Linke respektiert Fischer zwar, doch bevorzugen Sozialdemokraten und Kommunisten andere Kandidaten, wobei die KP Böhmens und Mährens (KSCM) als einzige Parlamentspartei keinen eigenen Bewerber nominiert hat. Am Mittwochabend beendete der gleichnamige Sohn des bekannten Dissidenten und früheren Außenministers Jiri Dienstbier seine Wahlkampagne im Prager Kaiserstejn-Palast. Er ist Kandidat der Sozialdemokraten. Legt man die Ergebnisse der Parlamentswahl von 2010, nach denen die CSSD die größte Fraktion stellte, sowie aller darauf folgenden Regional- und Kommunalwahlen zugrunde, so geht der politische Wille des Wahlvolkes eindeutig in die linke Richtung.
Davon könnte aber vor allem der frühere Regierungschef Milos Zeman profitieren. Mit einem Abschlusskonzert auf dem Altstädter Ring in Prag dankte er jetzt seinen Unterstützern. Zeman, der für die Partei »Bürgerrechte Zemanovci« antritt, findet auch bei Kommunisten und vielen Sozialdemokraten Unterstützung. In verschiedenen Fernsehduellen, jüngst mit Jan Fischer, überzeugte er mit seinen Argumenten für eine nachhaltige Entwicklung Tschechiens. Sein Wahlslogan - angelehnt an die tschechische Hymne - ist »Zde domov muj« (Hier ist meine Heimat). Der 68-Jährige dürfte zu den Topfavoriten für den Einzug in die sich abzeichnende Stichwahl zählen.
Wenige Kilometer von der Altstadt entfernt dankte auch der Kandidat der liberalen TOP 09, der amtierende Außenminister Karel Schwarzenberg, mit einem Abschlusskonzert seinen Anhängern. Der Fürst gilt als Vater- und europäische Integrationsfigur, dürfte sich jedoch bei den heutigen und morgigen Abstimmungen nur als dritter Sieger erweisen.
Der große Unbekannte heißt Vladimir Franz. Vor allem unter jugendlichen Wählern erfreut sich der unorthodoxe Künstler, bekannt durch sein Ganzkörpertattoo, großer Beliebtheit. Franz ist der personifizierte Ausdruck der Politikverdrossenheit der Bürger. Sein Credo, man müsse Politiker und Volk wieder verbinden, die Kaste hätte sich zu sehr vom Volkswillen entfernt, drückt das Empfinden vieler aus. Das könnte Franz zumindest einen Protesterfolg bringen.
Von den drei antretenden Frauen hat die frühere Gesundheitsministerin Zuzana Roithova vielleicht die größten Chancen. Die Europapolitikerin agiert nach dem Motto »Steter Tropfen höhlt den Stein« mit leisen Tönen. Die Ärztin will sich vor allem für die Schwachen der Gesellschaft - Arme, Patienten und Kinder - einsetzen. Jana Bobosikova dagegen kommt lautstark und temperamentvoll daher. Die frühere Fernsehjournalistin sitzt heute im EU-Parlament, macht aus ihrer euroskeptischen Haltung aber keinen Hehl. Ob die Frauen so viele Stimmen auf sich vereinigen können, dass sie in die Stichwahl kommen, darf angesichts der Männerdomäne der Politprofis jedoch bezweifelt werden.
Erste Hochrechnungen werden bereits am Sonnabend erwartet, belastbare Ergebnisse wohl erst am Sonntag. Dann wird sich zeigen, wer sich den Wählern am 25. und 26. Januar erneut stellen darf.
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