BLOGwoche: Bezähmung der Bestie Mensch
Die Debatte über die Tilgung von Wörtern aus Büchern, die des Verbreitens rassistischen Gedankenguts verdächtig sind (nicht die Bücher sind verdächtig, sondern die Wörter!), diese irrwitzige Debatte um Richtigsprech also, wurde auch in der zurückliegenden Woche fortgesetzt. Feridun Zaimoglu, der wohl mit Recht als einer der besten Schriftsteller deutschsprachiger Zunge bezeichnet werden kann, hat den - wahrscheinlich vergeblichen - Versuch unternommen, mit einem deftigen Machtwort die Debatte zu beenden. In einem Interview mit dem Blogger und Journalisten Eren Güvercin (erenguevercin.wordpress.com) erklärt er unumwunden: »Die Sprachhygieniker können uns Schreiber mal«. Das »politisch korrekte Sprechen« stamme »aus dem Fachjargon der Gebildeten und Gelehrten: kein Feuer, keine Entflammungsgefahr, ödes Zeug. Die dunklen Worte - gekappt, verboten, verfemt - setzen sich im Gedächtnis der unteren Volksmassen fest. Ein Dicker heißt nunmehr Bürger mit molligem Hintergrund - man darf ihn nicht mehr als Fettsack bezeichnen. Der von Bildungsingrimm befeuerte Ausländer tilgt das Rauhe und Ruppige. Alle wollen alles verbieten - was soll der Blödsinn? Ich fange gleich mal mit einem kleinen Regelverstoß an: Ficken ist schön.«
Vielleicht ist es gerade diese doch deftige Sprache, die den Frauenanteil in der Bloggerszene auf einem niedrigen Stand hält? Könnte sein. Wahrscheinlicher ist aber etwas anderes, wie Anne Roth betont. Auf annalist.noblogs.org geht sie der Frage nach, warum Frauen die Netzpolitik meiden und kommt zur Erkenntnis, dass Männer dazu neigen, »alles zu kommentieren, Argumente anderer als die eigenen darzustellen und dabei schon Gesagtes zigmal zu wiederholen. Und sich immer wieder aufeinander zu beziehen - die berühmten Seilschaften. In der Blogosphäre wird genau das belohnt: je mehr Bezüge untereinander, desto wichtiger (Code is law, und wer macht den?). Frauen finden das entweder langweilig und uninspirierend oder aber lassen sich von dem Bluff so beeindrucken, dass sie den Eindruck haben, nichts Wichtiges zum Thema sagen zu können. Und gehen.«
Apropos Bluff. Den Eindruck, Wichtiges sagen zu müssen, obwohl es um vergleichsweise Nichtiges geht, verbreitet auch der neue Sprachwächter. Ihm hält Zaimoglu vor, er sei wie ein »fanatisierter Korrektor«, der »den Finger über die Löschtaste« hält. »Sein Selbstverständnis: Er gehört zu den Guten. Er begradigt, er berichtigt, und bezähmt damit die Bestie Mensch. Er skandalisiert das unbehagliche Leben. Er retuschiert die Bilder der Entstellung und der Verzerrung. Ein Selbstbetrug. Meist ist der Retuscheur ein Kindskopp mit abgeschlossenem Studium. Die Niedlichkeit ist ein Abschlussfirnis. Er bekämpft nicht das Übel, er dämpft und fälscht.«
Zusammengestellt von: Jürgen Amendt
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