Linke Pappnasen in Köln
Seit Jahren veranstalten Aktive einen kleinen explizit politischen Zug vor dem offiziellen Rosenmontagzug
Die Karnevalisten auf der Zuschauertribühne im Kölner Severinsviertel warten geduldig auf den Rosenmontagszug, der in einer halben Stunde kommen soll. Vor der Tribüne hält eine Fahrradrikscha. Darin sitzt ein Mann im Anzug, auf seiner hohen Mütze steht »Aldi«. Er hat eine Angel in der Hand. Damit hält er dem als Aldi-Verkäuferin verkleideten Fahrer mit der blonden Perücke eine Wurst vors Gesicht. »Sechs Euro Stundenlohn«, ruft er den Wartenden zu und zeigt auf den Fahrer. »Ist das nicht herrlich?« Verdutzt schauen die Karnevalisten der wegfahrenden Rikscha nach.
Thomas Pfaff hat sich an diesem klirrend-kalten Vormittag als Aldi-Eigentümer Karl Albrecht verkleidet, der reichste Mann Deutschlands. Es ist eines von vielen Kostümen, mit denen sich mehr als 150 »Pappnasen Rotschwarz« dem Publikum präsentieren. »Umfairteilen! Umfairteilen!«, rufen als Bankmanager, Millionäre oder Robin Hoods Verkleidete. »Robin Hoods aller Länder – stonn zosamme«, steht auf einem ihrer Schilder. »Lacht auf, Verdummte dieser Erde«, auf einem anderen. Die meisten »Pappnasen« sind politisch aktiv, bei Attac, Bürgerinitiativen, verschiedenen linken Gruppen oder bei Occupy. Der Ruf »Eins, zwei, Occupy« erschallt immer wieder.
Die subversiven Spaßvögel verteilen auf dem Zugweg Flugblätter an Clowns, Bären und Zebras am Straßenrand, die sich auf Kamelle und Dreigestirn freuen. »Ömverdeile deit Nut – he un am Zockerhut«, steht auf Kölsch auf dem Transparent am Anfang der Parade. »Umverteilen tut Not – hier und am Zockerhut«, heißt das, eine satirische Abwandlung des diesjährigen Kölner Karnevalmottos »Fastelovend em Blot – he un am Zuckerhut« – Karneval im Blut, hier und am Zuckerhut, ein Gruß an Kölns Partnerstadt Rio de Janeiro. Die »Pappnasen« dagegen greifen in diesem Jahr die aktuelle Kampagne von sozialen Bewegungen und Gewerkschaften zur gerechten Verteilung des gesellschaftlichen Vermögens auf. Eine Stunde vor dem Start des offiziellen Zugs haben sich die Politjecken in einer Seitenstraße am Severinstor getroffen, ihre Kostüme angelegt und die Requisiten für das ein oder andere Aktiönchen auf dem Zugweg vorbereitet. In einem Bollerwagen liegen die liebevoll gestalteten Flugblätter mit satirischen Vorschlägen für eine sinnvolle Verwendung des Geldvermögens in Deutschland – über fünf Billionen Euro machen immerhin 60 000 Euro pro Einwohner. Manche wie Gwendolyn Stilling sind gerade wegen des Mottos dabei. Sie ist beim Paritätischen Wohlfahrtsverband und das erste Mal mit den »Pappnasen« beim Rosenmontagszug unterwegs. »Ich bin durch die Umfairteilen-Kampagne dazugekommen«, sagt sie.
Im Jahr 2007 sind die globalisierungskritischen Karnevalisten und Karnevalistinnen das erste Mal die Zugstrecke abgegangen. Die Idee, die große Kölner Narrenparade für eine politische Aktion zu nutzen, kam bei der Attac-Weihnachtsfeier 2006 auf. Im Sommer 2007 stand der G8-Gipfel in Heiligendamm an. »Wir haben eine originelle Idee gesucht, um für die Demonstrationen zu mobilisieren«, sagt Thomas Pfaff, einer der »Pappnasen«-Gründer. In Köln gibt es seit langem den »Zoch vor dem Zoch«, bei dem verschiedene Gruppen vor dem offiziellen Rosenmontagszug die Strecke abgehen. »Den wollten wir politisieren«, sagt Pfaff. »Wir wollten die alte obrigkeitskritische Tradition des Karnevals wiederbeleben.« Das fand die Obrigkeit zunächst gar nicht gut. Zwar erlaubte die Polizei nach langem Hin und Her den Zutritt zum Zugweg. Aber die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen wegen Verstoßes gegen die Versammlungsfreiheit auf. »Wir haben dann eine typisch kölsche Lösung gefunden«, sagt Pfaff. Nach einem süffisanten Bericht in der Lokalpresse über den bevorstehenden Prozess verständigten sich die Globalisierungskritiker und die Staatsanwaltschaft darauf, dass die »Pappnasen« den Zug formal als Demonstration anmelden – und diese von den Behörden nicht mit Auflagen belegt wird.
Mittlerweile können es die Politjecken mit den Profi-Narren locker aufnehmen. Sie texten populäre Karnevalslieder um, bauen neue Botschaften ein, verteilen die Texte. Der Klassiker »Wer soll das bezahlen« hat jetzt die Zeile: »Wir werden umverteilen, für alle reicht das Geld, her mit unsrer Pinke-Pinke, uns gehört die Welt.« Über den Lautsprecherwagen schallt die Melodie, ein Sänger schmettert den neuen Text. Immer wieder singen die Karnevalisten am Wegrand die ihnen vertraute Fassung, stutzen und schauen irritiert auf das Blatt mit der neuen Version.
Auch die Studierenden und Dozenten der Sporthochschule Köln sind das erste Mal dabei. Die jungen Leute haben schwarze Kleidung an und weiße Säckchen in den Händen, auf denen ein Eurozeichen gemalt ist. Ein Student hält einen Fensterrahmen, ein anderer drückt einem Jecken am Straßenrand einen der Säcke in die Hand und fragt: »Wollen Sie auch mal Geld aus dem Fenster schmeißen?« Die meisten wollen.
Nicht alle Passanten nehmen die Flugblätter. Manche schütteln den Kopf, wenn sie die Schlachtrufe hören. Aber viele winken ihnen wie alten Bekannten zu. »Die sind doch jedes Jahr dabei, die kenn ich schon«, sagen nicht wenige. Die »Pappnasen« gehören schon fast zum Brauchtum. Aber eines trennt sie von den meisten anderen Karnevalisten: Bei ihnen gibt es frühmorgens noch kein Bier.
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