Was darf Satire?
Akademiegespräch in der Berliner AdK über die Grenzen des politischen Witzes
Was darf Satire? Die Frage ist eigentlich falsch gestellt, denn die gängige Antwort von Satirikern lautet: alles. Über ein solches Diktum lässt sich kaum noch diskutieren. Richtigerweise müsste die Frage zur Satire also lauten: Was ist Satire? Die Diskussionsrunde, die am Dienstag in der Berliner Akademie der Künste (AdK) anlässlich des 75. Geburtstag ihres Präsidenten Klaus Staeck zusammengekommen war, war sich einig: Satire ist Störung des Normalbetriebs von Politik und Herrschaft. Klaus Staeck beschrieb das mit einer kleinen Anekdote: Eines seiner ersten Plakate, mit denen er zu Beginn der 1970er Jahre öffentliche Aufregung erzeugte, trug den Titel »Die Reichen müssen noch reicher werden - wählt christdemokratisch«. Das Motiv trug ihm eine Anzeige der CDU ein. Wie er später von einem Funktionär der Union erfahren habe, habe die Parteiführung eigentlich nicht klagen wollen, schon allein deshalb, um dem Plakat nicht nur mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, sich dann aber umentschieden, nachdem das einfache Parteivolk in den Kreisbüros vorstellig wurde und empört dagegen protestierte, dass seine Partei mit solch einem Slogan in den nächsten Wahlkampf ziehen will.
Wenn Satire gut ist, dann bewirkt sie bei den von ihr Provozierten Selbstentblößung. Nicht immer kommen die Satiriker wie im Beispiel Staecks mit einer Anzeige davon. Kurt Westergaard zum Beispiel, Zeichner einer Karikatur des Propheten Mohammed, die diesen mit einer Bombe als Turban auf dem Kopf zeigt, muss deshalb seit 2005 um sein Leben fürchten. Am Dienstag fehlte der Eingeladene auf dem Podium. Klaus Staeck diskutierte mit der Moderatorin Bascha Mika (Ex-Chefredakteurin der »taz«), dem Zeichner Gerhard Haderer (u.a. »Stern«), dem Altmeister des deutschsprachigen Kabaretts Dieter Hildebrandt und Martin Sonntag, Leiter der Karikaturen-Galerie »caricatura« in Kassel; Westergaard, über den es offiziell hieß, er sei wegen einer Erkrankung verhindert, war mit einer Videobotschaft präsent.
Darin ein starkes Argument: Dass er Muslime zum Gegenstand seiner Karikaturen gemacht habe, sei nicht als Versuch zu werten, diese Gruppe aus der dänischen Gesellschaft auszuschließen, sondern Ausdruck der Inklusion. Später, in der Debatte, meinte auch Martin Sonntag, Minderheiten hätten ein Recht darauf, dass man über sie Witze mache.
Auch das ein Diktum, das den Widerspruch darauf leicht angestaubt und unaufgeklärt erscheinen lässt. Was Westergaard und Sonntag vergessen: Die Minderheit muss über den Witz, der ihr da unvermittelt entgegentritt, auch selbst lachen können. Ansonsten verkommt der satirische Witz zur bloßen Denunziation.
Hätten Sie die Mohammed-Karikatur auch so gezeichnet, fragte Bascha Mika in die Runde. Dass die Frage am Kern des Problems vorbei geht, zeigten die Antworten. Gerhard Haderer meinte, er könne sich nur mit dem zeichnerisch auseinandersetzen, was ihn selbst bedränge, und das sei in seiner Heimat Österreich eben die bigotte katholische Kirche. Hildebrandts Kritik an Westergaards Zeichnung war wohl die ästhetisch schärfste: »Ich liebe Karikaturen, auf denen man auf den ersten Blick erkennt, um wen es sich bei den gezeichneten Personen handelt.« Westergaards Mohammed-Karikatur gehöre nicht in diese Kategorie. »Die Bombe auf dem Kopf war gut, der Mohammed nicht.«
Staeck und Haderer gaben wenigstens ihr Unbehagen zu, schon vor manchem Witz zurückgeschreckt zu haben, wenn er Minderheiten zum Gegenstand hatte. Staeck warf den Begriff »Verantwortung« in die Runde. Auch wenn er altmodisch klingt, meint der Begriff das genaue Gegenteil. Freiheit, die nicht als Akt der Emanzipation verstanden werde, fällt leicht der Beliebigkeit des Laissez-fairen anheim. Der konservative Appell an das Verantwortungsbewusstsein ist dann der wahrhaft fortschrittliche Gedanke. Oder, mit den Worten von Klaus Staeck: »Satire verteidigt immer die Schwachen gegen die Übermacht der Starken.«
Das Lager der Schwachen kann aber leicht zum Lager der Starken werden - und umgekehrt. Haderer, der immerhin als prominentes Opfer fortwährender Denunziation seitens christlicher Eiferer und des katholischen Klerus gilt, gab zu bedenken: Die Bedrohung sind die Fundamentalisten aller Couleur. Auch die aus dem Lager der Atheistin? Haderer: Ja, auch die.
Diese Debatte wurde - leider - nicht weiter vertieft. Dabei wäre sie notwendig. Durch den Saal der AdK wehte der Geist der Kirchenkritik, der aufgeklärten Weltlichkeit, die sich seit Jahrzehnten, ja seit Jahrhunderten an der religiösen Indoktrination reibt und von ihr bedrängt wird. Der Blasphemie-Paragraph, der die Beschimpfung von religiösen Bekenntnissen und Weltanschauungsgemeinschaften unter Strafe stellt, existiert nach wie vor, wenn er auch in der Praxis kaum noch Anwendung findet. Er schwebt aber wie ein Damoklesschwert über jeder radikalen Kirchenkritik.
Im Juni letzten Jahres erregte ein Aufsatz des Schriftstellers Martin Mosebach die Feuilletons. Mosebach hatte in einem Artikel für die »Frankfurter Rundschau« gefordert, Gotteslästerung stärker unter Strafe zu stellen. So wurde der Inhalt des Textes jedenfalls kolportiert. Vollständig zutreffend ist diese Interpretation indes nicht. Es gibt gute Gründe, Mosebach zu widersprechen. Schon die am Dienstag in der AdK genannten Beispiele permanenter Denunziation, Anzeigen, ja allein die Existenz des Blasphemie-Paragraphen sind überzeugende Gegenargumente zu Mosebachs Forderung. Allein: Mosebach hat auch einen Gedanken formuliert, über den es sich zumindest nachzudenken lohnt. Für den weltanschaulich neutralen Staat (man muss an dieser Stelle hinzufügen: den es in Deutschland gar nicht gibt) könnte sich, so Mosebach, die Notwendigkeit einer Bekämpfung der Blasphemie ergeben, wenn »eine größere Gruppe von Gläubigen sich durch die Blasphemie in ihren religiösen Überzeugungen so verletzt fühlt, dass ihre Empörung zu einem öffentlichen Problem wird«. In diesem Fall müsse das Gewaltmonopol des Staates greifen, denn der Bürger, der die gewaltsame Verfolgung seiner Rechte an den Staat abgetreten habe, müsse darauf vertrauen können, dass der Staat diese Rechte schütze.
»Dies schien für lange Zeit nur eine theoretische Frage zu sein«, schreibt Mosebach. Fürwahr, es ist eine theoretische Frage, heute und wohl auch in naher Zukunft. Der Satiriker, der den gedemütigten Jesus am Kreuz karikiert, muss sich nach wie vor der Gesetze, vor allem aber der Nachstellungen christlicher Eiferer erwehren. Das Unheil der Intoleranz ist aber nicht der Religion allein eingeschrieben, es beginnt immer dort, wo schon der Wunsch, alle mögen das Gleiche denken, das Denken vergiftet.
Was ist also Satire? In ihrem Inneren ist sie die Verteidigung der Freiheit des Individuums gegen Denkverbote. Die Folgen, die die Mohammed-Karikatur ausgelöst hat, »haben wir inhaliert«, sagte Klaus Staeck und meinte damit: die Schere im Kopf, das Abwägen der Risiken, die durchaus menschliche Angst vor den Folgen des eigenen Muts. Auch Kurt Westergaard betonte dies in seiner Videobotschaft. »Es ist legitim, Angst zu haben. Mein eigenes Grundgefühl war Wut - Wut darüber, bedroht zu werden. Und Wut ist ein gutes, aktives Gefühl, wenn man bedroht wird.«
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