Signal oder Ruf in der Wüste?
In Polen wurde eine »Gegenplattform« gegründet
Unter Führung der Gewerkschaft »Solidarnosc«, die wieder werden will, was sie vor 33 Jahren war, nämlich eine sich gegen die Regierungspolitik richtende breite Protestbewegung, wurde am vergangenen Wochenende die »Plattform der Entrüsteten« (Platforma Oburzonych) gegründet.
Neben dem Solidarnosc-Vorsitzenden Piotr Duda trat als Organisator der bekannte Sänger Pawel Kukiz auf, der die »Bewegung der Zermahlenen« anführt. Erklärtes Ziel der Kukiz-Bewegung ist es, »das Unrecht der Regierenden zu bekämpfen«.
Schauplatz der Entrüstung war der historische BHP-Saal der nicht mehr existierenden Gdansker Werft. Am gleichen Ort war im August 1980 die 21-Punkte-Vereinbarung zwischen den streikenden Arbeitern und Bevollmächtigten der damaligen Staats- und Parteiführung unterzeichnet worden. Diesmal füllten über 300 Aktivisten verschiedener Gewerkschaften, darunter auch der mit der »Solidarnosc« konkurrierenden OPZZ, den Saal. Vertreten waren überdies etwa 100 gesellschaftliche Organisationen und Initiativen - von der Katholischen Aktion bis zum Fanklub von Lech Poznan. Jeder Teilnehmer - ausgenommen natürlich Duda und Kuzik - hatte nur eine Minute Redezeit. Wie im Londoner Hyde-Park, spotteten Kommentatoren im Fernsehen.
Piotr Duda betonte zur Einführung, dass zu dieser Veranstaltung keine Politiker geladen worden seien, denn es handle sich nicht um eine politische Initiative. Durch die Gründung der »Platforma Oburzonych« wolle man mehr direkte Demokratie für alle Bürger erstreiten. In der Vergangenheit seien mehr als 5 Millionen Unterschriften unter die Forderung nach verschiedenen Volksabstimmungen gesammelt worden, doch die Politik habe sie sämtlich missachtet. Duda erinnerte daran, dass 70 Prozent der Polen für ein Referendum über das Renteneintrittsalter waren, dessen schrittweise Erhöhung auf 67 Jahre im vergangenen Jahr Gesetz wurde. »Was machte die regierende Mehrheit? Sie warf unsere Unterschriften in den Papierkorb.« Deshalb müsse das Referendumsgesetz geändert werden. Von Gdansk aus - sagte Duda - müsse erneut ein Signal an die Polen ergehen, damit es in Polen menschlicher zugeht.
»Wir sitzen seit 1989 wie in einem Disneyland-Kino, sehen aber seit einiger Zeit nur einen Zeichentrickfilm: Wie der Kaczor (Erpel) und der Donald mit den Schäbeln aufeinander loshacken«, witzelte Pawel Kukiz in Anspielung auf die politischen Rivalen Jaroslaw Kaczynski und Donald Tusk. »Wir kommen nicht raus aus dem Kino, sollen aber dafür bezahlen.« Die Abschaffung der »Drecksverträge«, ein entschiedenes Nein zur »Modernisierung des Arbeitsrechts«, gesicherte Mindestlöhne - das waren die ernsthaften Forderungen der Gewerkschaftsvertreter.
Cezary Kazmierczak, der Präsident des Verbandes der Unternehmer und Arbeitgeber, erteilte den »Entrüsteten« jedoch noch am Sonnabend eine bündige Antwort: »Herr Duda, die Unternehmer haben das, was sie zu Mindestlöhnen sagen, ›głęboko w dupie‹.« Im Deutschen entspricht das etwa dem Satz des Götz von Berlichingen.
Und das ist die Lage. Regierungschef Donald Tusk meinte, die »Entrüsteten« seien ein »Gemisch«, das man politisch gar nicht identifizieren könne. Womit er nicht ganz falsch liegt: Die Zusammensetzung der Teilnehmer der Gdansker Veranstaltung mutete politisch ziemlich skurril an - von links nach rechts bis nirgendwo. Die Publizistin Dominika Wielowieyska sagte am Montag in Polskie Radio, die »Entrüsteten« hätten »für Polen unwesentliche Fragen behandelt«. Ihr Kollege Jacek Zakowski vom Nachrichtenmagazin »Polityka« meinte dagegen: »In Vielem haben sie recht.«
Angesichts der Skandale, die jüngst wieder ans Tageslicht kamen, ist die Entrüstung in der Tat verständlich. Da gab es Gehalts- und Prämienexzesse in staatlichen Firmen, ablehnende Reaktionen von PO-Politikern auf einen Report über 800 000 hungernde Kinder, neue tragische Fakten aus dem chronisch kranken Gesundheitswesen, endlich gerichtlich geahndete Korruptionsfälle im Finanzministerium...
All das bildet die Kulisse für die »Plattform der Entrüsteten«. Ob die Gegen-PO allerdings imstande ist, Änderungen zu bewirken, steht noch dahin. Die Forderung der Kukiz-Bewegung, die Parteilisten bei Wahlen abzuschaffen und die 460 Sitze im Sejm nach britischem Vorbild nur noch durch Direktwahlen in Ein-Mandat-Kreisen zu vergeben, hat jedenfalls wenig Sinn.
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