»Mitbestimmen macht Spaß«
Die IG Metall Jugend gibt Auszubildenden und jungen Kollegen eine Stimme in der Arbeitswelt
Anita Mielnik strahlt. Die 21-Jährige ist die erste Jugend- und Auszubildendenvertreterin der Firma Raumtechnik in Ostfildern, einer Kleinstadt bei Stuttgart. »Das war ein tolles Gefühl, als mir nach der Wahl alle gratuliert haben. Und bei der Weihnachtsfeier durfte ich dann zu allen sprechen«, erzählt die junge Frau stolz. Dass die angehende Industriekauffrau auch Mitglied der IG Metall ist, findet sie selbstverständlich. »Sonst ist das doch blöd. Die Gewerkschaft hilft einem ja.« Also engagiert sich Anita auch in der örtlichen IG Metall Jugend. »Weil das echt Spaß macht und man mal aus anderen Betrieben hört, was da so los ist.«
Die IG Metall Jugend ist mit mehr als 220 000 Mitgliedern die größte politische Jugendorganisation der Republik. Angesichts der beeindruckenden Zahl bekommt man in der Öffentlichkeit merkwürdig wenig von ihr mit. Das liegt vor allem daran, dass die dort Aktiven in erster Linie in ihren Betrieben wirken. Und auch die Struktur der IG Metall Jugend dient nicht dazu, nach außen Glanz zu versprühen.
Die IG Metall Jugend ist laut eigener Auskunft »die größte politische Jugendorganisation Deutschlands«. In der Tat: 223 058 von bundesweit 2,2 Millionen IG-Metall-Mitglieder sind unter 27 Jahre alt und werden damit automatisch zur Jugend gezählt. Die zweitgrößte Gewerkschaft ver.di zählt mehr als 100 000 junge Mitglieder.
Dagegen fallen die beiden großen Parteien CDU und SPD ziemlich ab, zumal sie den Begriff Jugend sehr viel weiter fassen: So sind die Mitglieder der Jungen Union zwischen 14 und 35 Jahre alt. Damit kommt die Jugendorganisation der CDU/CSU nach eigenen Angaben auf 130 000 Mitglieder - übrigens hält sie sich damit für den »größten politischen Jugendverband in Deutschland und Europa«, so die Webseite. Auch Juso, also junger Sozialdemokrat ist man bis 35 Jahre. Die junge Truppe der SPD gibt ihre Mitgliederzahl mit 70 000 an. Unter ferner liefen rangieren die Jugendorganisationen der anderen Parteien: Julis (FDP): 11 500 Mitglieder, Linksjugend Solid: 10 000 und die Grüne Jugend: 8500.
Mühsame Gremienarbeit
Ganz klassisch wird die Arbeit in Gremien erledigt, so ist das Prozedere über Jahrzehnte gewachsen. Da ist zunächst die Organisation vor Ort in den mehr als 160 Verwaltungsstellen der IG Metall: der Ortsjugendausschuss, genannt OJA. Dort treffen sich vor allem Jugend- und Auszubildendenvertreter (kurz: JAVis) aus den Branchen Metall, Elektro, Holz, Kunststoff und Textil, also aus jenen Bereichen, für die die IG Metall zuständig ist. Die nächste Ebene ist der Bezirksjugendausschuss auf Landesebene, in den die OJAs Delegierte entsenden. Dann kommt der Bundesjugendausschuss. Es gibt Protokolle, Geschäftsordnungen, Wahlen, man stellt Anträge, kämpft um Mehrheiten - Gremienarbeit, wie in jeder Partei oder in anderen größeren Organisationen. Das hört sich mühsam an, und das ist es teilweise auch. »Mal kommen zum OJA vier Leute, mal 20«, berichtet Max Czipf.
Der 25-Jährige hat vor wenigen Monaten bei der IG Metall Esslingen angefangen, wird dort zum Gewerkschaftssekretär ausgebildet und ist für die Jugendarbeit zuständig. Czipf fährt in die Betriebe, sucht das Gespräch mit den jungen Beschäftigten und mit dem Betriebsrat. Wenn es noch keine Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) gibt, versucht Max Czipf Azubis zu überzeugen, dafür zu kandidieren. Das Recht auf eine eigene Jugendvertretung in einem Betrieb besteht bei mehr als fünf Auszubildenden oder unter 25-Jährigen.
Zwar müssen JAVis nicht in der Gewerkschaft sein, aber natürlich will die IG Metall, dass sie Mitglied werden. Schließlich soll auch die Jugendvertretung dafür sorgen, dass Tarifverträge eingehalten werden, und Tarifverträge werden nun mal von der Gewerkschaft ausgehandelt. Czipf: »Gerade vielen jungen Leuten ist nicht klar, dass der Tarifvertrag nicht vom Himmel fällt, sondern erkämpft werden muss. Das funktioniert nur, wenn wir stark sind.« Doch immer wieder hört er von Azubis, dass sie Gewerkschaft langweilig finden und dass sie die Tarifleistungen ja auch ohne Gewerkschaftszugehörigkeit bekommen.
Anita Mielnik kann solche Sichten nicht nachvollziehen. »Demnächst veranstaltet die IG Metall ein Rhetorikseminar für uns. Das ist doch super. Wo kann ich so was sonst machen?«, fragt sie. Einmal im Monat geht sie nach Feierabend zum OJA nach Esslingen, quatscht mit den anderen, überlegt, was man tun kann. Zum Beispiel wird man sich demnächst gemeinsam den Film »Die Kriegerin« anschauen und anschließend über Rechtsextremismus diskutieren. Anita findet ihr Ehrenamt anregend, und obwohl sie erst seit einem halben Jahr im Amt ist, kann sie im Betrieb schon manchen Erfolg vorweisen. Anita: »Jeder muss während seiner Lehre seine Tätigkeiten in einem Berichtsheft vermerken. Die kaufmännischen Azubis bei uns machen das schon immer während der Arbeitszeit. Die Azubis in der Produktion aber mussten das zu Hause tun. Obwohl vorgeschrieben ist, dass das während der Arbeitszeit passieren muss.« Also hat Anita gemeinsam mit ihrem Betriebsrat - »der ist total nett« - beim Chef vorgesprochen und nun schreiben auch die Jungs aus der Werkstatt ihr Berichtsheft für die Berufsschule während der Arbeitszeit.
Ein Problem, das Patrick Spies nicht kennt. Der 20-Jährige lernt seit vorigem Jahr bei Daimler in Stuttgart-Untertürkheim Mechatroniker. Bei Daimler schreiben alle Azubis ihr Berichtsheft selbstverständlich während der Arbeitszeit. Der Betriebsrat und die IG Metall sind hier stark. Das findet Patrick gut und so hat er gleich im ersten Lehrjahr für die JAV kandidiert und wurde gewählt. Sich in der Gewerkschaft zu engagieren, ist für ihn eine klare Sache. Dass sein Vater Jörg Spies seit Jahren als aktiver Metaller Mitglied im Betriebsrat und auch im Aufsichtsrat des Konzerns ist, dürfte Patricks Sinn für Gerechtigkeit nicht geschadet haben. Als Ferienarbeiter bei Daimler ist er in die IG Metall eingetreten, nun, als Azubi, ist er aktiv in der Gewerkschaftsjugend. »Dadurch bin ich besser informiert«, sagt er. »Je mehr sich in der IG Metall engagieren, desto mehr Akzente können wir setzen. Man muss sich mal überlegen, was wäre, wenn es keine Gewerkschaft gäbe!« Er freut sich auf die anstehende Tarifrunde. Vielleicht kann er sogar mal an einem Warnstreik teilnehmen. »Das hautnah mitzuerleben, würde mir gefallen.«
Bislang hat er über die IG Metall Jugend am ersten Seminar für Jugendvertretungen teilgenommen. »Da lernt man, welche Rechte und Pflichten wir haben.« Außerdem war er auf einem Seminar über die Krise und Europa. »War sehr interessant. Am Ende haben wir eine Aktion auf der Straße gemacht. Wir sind mit den Leuten ins Gespräch gekommen, warum während der Krise die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden.« Patrick grinst, als er an die Passanten denkt, die sie mit ihrer Aktion zum Nachdenken angeregt haben.
Aktuell werde im OJA Stuttgart über die neue bundesweite Kampagne der IG Metall Jugend diskutiert. »Revolution Bildung« ist die betitelt. »Was wir genau daraus machen, besprechen wir noch, aber es geht sicherlich darum, dass gute Bildung für jeden kostenlos sein muss«, meint Patrick. Nach der Ortsjugendausschuss-Sitzung gehe man in Stuttgart oft noch gemeinsam etwas essen, erzählt er. »Wir treffen uns auch mal am Wochenende. Da hat man Leute, mit denen man mal über Politik reden kann.« Patrick ist auch bei den Jusos Mitglied. »Aber da bin ich nicht aktiv.« Warum nicht? »Irgendwie ist das in Parteien schwieriger, finde ich. Da habe ich immer den Eindruck, man kann nur was erreichen über persönliche Kontakte. Da konzentriere ich mich lieber auf den OJA.«
Nach der Kampagne geht der Kampf weiter
Neben der neuen Kampagne »Revolution Bildung« werden noch die Folgen der vergangenen bundesweiten Kampagne diskutiert. »Operation Übernahme« hieß die und fand ihren Abschluss in einem Tarifvertrag, wonach die unbefristete Übernahme der Azubis nun die Regel ist. Will die Geschäftsleitung nicht alle Azubis unbefristet übernehmen, muss sie mit dem Betriebsrat und der JAV verhandeln. Der Erfolg ist sichtbar: Vor dem Tarifvertrag wurde etwa ein Drittel der Azubis unbefristet übernommen, seit dem Tarifvertrag sind es zwei Drittel. Doch automatisch funktioniert das Abkommen häufig nicht. »Warum soll eine Geschäftsleitung das von sich aus machen?«, fragt der Esslinger Jugendsekretär Max Czipf provokativ. »Um die Übernahme zu realisieren, müssen die Azubis oft selbst aktiv werden. Das fällt ihnen manchmal schwer.« Dabei gibt es positive Erfahrungen. Czipf: »In einem unserer Betriebe, Festo, wollte man die Ausgelernten wieder nicht unbefristet einstellen. Da haben alle Azubis auf einer Betriebsversammlung auf der Bühne eine Aktion gemacht, der Betriebsrat hat sich auch gekümmert - und nun werden alle unbefristet übernommen.«
Für Anita Mielnik bedeuten solche Geschichten Motivation. »Als Jugend- und Ausbildungsvertreterin in der IG Metall kann ich mich engagieren und bewirken, dass die Ausbildung bei uns gut ist. Ich weiß, dass ich mitbestimmen kann. Genau das macht Spaß.«
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