Am Brunnen der Worte^
Lojze Wieser über das Slowenische, das Sorbische, das Deutsche und überhaupt die Vielfalt der Sprachen
I
Kaum, dass ich auf der Welt war, haben sie mir im Taufschein den Namen Alois verpasst. Gerufen haben sie mich Lojzi, »loiszi« mit einem stimmhaften s. So steht es bis heute in allen Dokumenten. Bis zur Volksschule war ich der Lojzi. Als der Direktor dann mit mir brüllte, weil mir die Eltern den Zylinderhut für ein Theaterstück nicht kaufen konnten und auch den Frack nicht, war ich der Windische Alois. Dabei hat die Mutter des Direktors bis zum eigenen Tod kein Deutsch sprechen können. Beim Fußballspielen im Verein des Dorfes hieß ich je nachdem, wie wir spielten. »Alois, heute hast Du gut gehalten!« Oder: »Lojzi, Lojzi, was war denn das für ein Dreck!«
Später, als ich in Wien meine Lehre abschloss und in der studentisch bewegten Zeit aktiv war, haben sie mich Lojzi gerufen. Lojz, wenn ich älter erscheinen sollte. Dann kam die Rückkehr nach Kärnten. Ich habe die Leitung des Drau Verlages, den ich am zweiten Tag zum DRAVA Verlag umbenannte, und der Buchhandlung Naša knjiga/Unser Buch übernommen. Bei öffentlichen Auftritten - auch außerhalb des Kreises, in dem sich Slowenischsprechende bewegten, wollte ich meine Herkunft nicht immer erklären, und entschied mich, in der deutschsprachigen Öffentlichkeit als Lojz Wieser aufzutreten. (In der slowenischen wurde ich schon immer als Lojze angekündigt.) Später wurde die slowenische Schreibweise zur Selbstverständlichkeit. Die Aussprache bis heute nicht. Gerne wird ein Hatschek gesprochen, wo keiner steht. So kommt dann ein Loische heraus.
Auch hat der/die Eine oder der/die Andere Schwierigkeit mit dem Schriftlichen meines Namens. Es kamen Briefe, in denen man mich - z. B. Bundeskanzler Schüssel - als Frau Lojze W. ansprach. Staatliche Ehrenurkunden wurden problemlos auf Lojze W. ausgestellt, wiewohl die Bank mein Konto nach meiner gesetzlichen Verurkundung angelegt hat - auf Alois W. (Dieser Hinweis für jene, die gewillt sind, auf mein Konto Liquidmittel zu überweisen!). Immer öfter erhielt ich auch Post, wo ich als Losche, Lože, Loijze, Louiese oder auch Lojsa, Loisse, Loice oder Luize angeredet werde. Lojza rief mich der kürzlich verstorbene albanische Dichter Ali Podrimja, ohne zu wissen, dass so meine Tante hieß und er mich vom Mann zur Frau macht. Als mich in den Neunzigern des letzten Jahrhunderts die Ministerin mit dem Staatspreis für Österreichische Verleger auszeichnete, wurde ich von ihr Losche und vom Laudator Loische gerufen.
Der Sohn einer Freundin aus Frankfurt nannte mich bei seinen 13 Jahren einfach Läuse. Vor kurzem hat mich ein alter Sozi Loi Che gerufen. Mehr Wandlung geht wohl nicht mehr.
II
Wann wird ein Gedicht erwachsen, fragt Kito Lorenc in seinem »Vorauswort im Nachhinein« für das Büchlein »Nach Morau, nach Krokau«. Ich frage mich, soll es je erwachsen werden? Sollten wir nicht lieber bestrebt sein, dass es die Mystik und das Geheimnisvolle behält, die Universalität der Sprache im Bild und im genauen Hinsehen, im Benennen einer verschollen gehenden Sprache, einer verschollenen Landschaft, von verschollenen Menschen, wie es Peter Handke im Bezug auf die slowenische Sprache sagt?
Beide, die slowenische und die sorbische Sprache ähneln sich sehr, sie sind sich verwandt, nicht nur, was ihr Verschwinden angeht. Und dabei leben sie im Wort, in der Bitterkeit, im Zorn, in der Heiterkeit. Es ist immer ein Flackern, ein ewiges Suchen, wie der Flug des Krabat auf den Czorneboh/Čornobóh, von wo der Blick über alle Niederungen und Tiefen der menschlichen Seele geht. Wenn wir jedoch über die derzeitige sprachliche und kulturelle Landschaft blicken, sehen wir zunehmendes Unvermögen, das Überleben von Sprachen und Kulturen ohne Chauvinismus und Territorium zu gewährleisten. In vielen Fällen fehlt die Phantasie; der Wille und die Bereitschaft, ausgetretene Wege zu verlassen und für die Neuankommenden und die Hiesigen ein lebendiges Zueinander in gegenseitiger Achtung zu finden. Hatten sie jemals die Chance und den Mut, den Antigone sich nahm, sich zu widersetzen, sich für Liebe zu entscheiden, sich gegen Hass zu stellen?
Die Hergekommenen können und wollen nicht ihre Sprache und ihre Kultur vor dem Eintritt in das neue - gelobte? - Land, wie einen Rucksack abstellen. Auch ihnen ist ihre Kultur und ihre Sprache Rückgrat und kein Umhang, den man beim Eintreten in der Garderobe ablegt. Wir, die wir aus Minderheitensprachen kommen, kennen die Bitternis dieses Verlangens, denn über weite Strecken haben uns solche Forderungen immer schon begleitet. Sind wir nicht immer wieder aufgefordert worden, uns anzupassen, uns zu assimilieren, uns zu verleugnen, der Sprache abzuschwören und erst dadurch zu richtigen Österreichern, Deutschen - oder sonst was - zu werden? Und wie geht es heute den Hergekommenen und den eigenen Minderheiten? Die Frage von Eschenbachs Parzival wurde auch uns nur selten gestellt: Was brauchst du?
In Europa leben 400 Kulturen in 49 Nationalstaaten. In jeder größeren Stadt unserer Gegenden leben oft bis zu 70, 80 Kulturen und Sprachen miteinander. Also werden wir bei der Suche nach Antworten, wie die Menschen zusammenzuleben und miteinander auszukommen haben, mit der Tatsache umgehen lernen müssen, dass im Grunde genommen keiner von uns in einem geschlossenen ethnischen Raum lebt.
Dieses Zusammenleben wird uns durch die technische Revolution sogar erleichtert, da die Möglichkeiten der Kommunikation so weit vorangeschritten sind, dass man heutzutage überall und jederzeit seine eigene Sprache schreiben, reden und anwenden könnte. Wir haben Voraussetzungen geschaffen, die den sprachlichen und kommunikativen Wirkungskreis jedes Einzelnen wesentlich erweitert und haben damit die jahrzehntealte Prämisse des Nationalstaates, sich assimilieren zu sollen, um Teil der Gesellschaft sein zu können, längst im wirklichen Leben ad absurdum geführt.
Nur, diese Zwänge der Vergangenheit sind tief im Handeln der Menschen und in den Nationalstaaten verankert. Sie reiben sich heute zunehmend mit Lösungen, die das Zusammenleben verschiedensprachiger Menschen nicht mehr in der Anpassung an einen allein selig machenden Nationalstaat sehen wollen. Die Auseinandersetzung droht zu entgleiten, je mehr sich die Politik um Antworten auf diese zentrale Frage herumdrückt und damit letztlich die Vision Europa in Frage stellt. Denn, solange die Gesellschaft in Form ihrer politischen Repräsentanten und als Ganzes nicht die ausgetretenen Wege verlässt und neue Pfade betritt, werden immer wieder Formen von Chauvinismus, Rassismus und Faschismus gesellschaftsbedrohend aufleben.
Dabei könnten die Erfahrungen, die wir mit dem Überleben der Sprache gemacht haben, sowohl bei den Slowenen in Österreich, als auch bei den Sorben in der Lausitz, für den gesamten Kontinent Lösungsansätze sein, denn die Lebendigkeit, die den Sprachen inhärent ist, stimmt einen zuversichtlich, wenn auch nicht fröhlich. Man muss der Sprache die Möglichkeit geben, sich ohne ideologisches Korsett zu entwickeln, zu experimentieren, sie als musikalisches Phänomen oder als onomatopoetische Tonalität verstehen. Denn die Sprache ist ein Reichtum, entstanden aus Jahrhunderte alten Einflüssen, durchsetzt von Lehn- und Fremdwörtern. Gerade in der Vielfalt literarischer Formen wird dieser Reichtum bemerkbar, überrascht und überzeugt immer wieder aufs Neue. Kultur und Sprache werden Wege finden müssen, um ohne »nationale« Territorien zu überleben.
Wer nur von der einheimischen Kultur was versteht, der versteht auch von dieser nichts, davon bin ich überzeugt. Erwecken wir in uns die Neugierde, gerade heute, da die Welt stärker als zuvor in Bewegung gekommen ist, weil Kriege, Hunger und Not Menschen zwingen, von dort weg zu gehen, wo sie für gewöhnlich ihr Zuhause hatten. das ist die einfache Herausforderung an die Demokratie, die aber schwer zu erfüllen ist.
III.
Die Zeiten ändern sich, der Lauf der Zeit ist wie ein Fluss, er reinigt, er schleift, bringt im Geröll Edles mit und lässt zurück, was nicht mehr mitgeschleppt werden muss, was schwerfällig geworden ist.
Zwei Dutzend Jahre habe ich nun schon den Karren gezogen, so manches Mal hat er mich fast erdrückt, haben wir ihn mit allen, die dabei waren, aus dem Graben, aus dem Dreck gezogen, die Räder repariert. Wir sind über die holprige Straße getaumelt, Schlaglöchern ausgewichen, und doch blieben wir zuweilen mit gebrochener Achse liegen, das Lesegut verstreut um uns herum. Haben es wieder eingesammelt, haben Erzählungen von einst ins Heute gehoben, aus weniger geläufigen Sprachen Übersetzungen gemacht, haben sogar vereinzelt Mäzene getroffen. Wir haben das Rauschen der kommenden Zeit im Unterirdischen gehört, und haben es wieder aus dem Ohr verloren, haben nachgegraben und je weiter wir gruben, desto tiefer wir auch kamen, umso schöner wurden die unterirdischen, Millionen Jahre alten Höhlen. Die Stalagtiten der Verse, die Stalagniten der Sprache haben uns in Bann gezogen. Wir haben uns gefühlt wie bei einer Reise ins Innere der Welt und sind dabei der eigenen Seele näher gekommen.
Und mussten doch auch wieder erkennen, dass es Bilder sind, erinnernd an eine Fata Morgana in der Wüste, nicht immer real und dort, wo sie real sind, nicht ganz wirklich. Und wo es Wirklichkeit zu werden begann, waren wir schon wieder umgeben von jenen, die Fahnen zur Feier des Erfolges auszubreiten begannen, sie in den Wind hängten, und wenn keiner aufkommen wollte, ihn anzufächern begannen mit immer lauter werdendem Gerede, wobei sie in erster Linie heiße Luft erzeugten.
Wir konnten erfahren, wie nah sich die Geschichten der verschiedenen Menschen sind, die aus Gegenden kamen, wo die Töne anders klangen, als sie uns im Ohr waren. Eine eigene Musikalität mit sich andersartig überschlagenden Tonfolgen, die die Guseln und die Flöten, die aus Rindermägen gefertigten Balgen, die schnaufenden Dudelsäcke aus Ziegenmägen und die Bögen aus Pferdeschwänzen hervorzauberten. Wir hatten im Stillen schon gehofft, nun das Tor zum Heimlichsten des gegenseitigen Verstehens aufgemacht zu haben, nur einen Spalt, damit ein feiner Sonnenstrahl hindurchdringen könnte. So sind wir zum Brunnen der Worte gegangen, um aus den Tiefen der Jahrhunderte nach frischem Wasser für die Seele zu fassen, haben die Eimer in die Tiefe geworfen und haben die Sekunden gezählt, um zu wissen, wie tief der Brunnen ist und wie nah wir uns zur Hölle befinden, haben im Dunkeln gefischt und nichts Trübes herausgeholt. Bis eines Tages die neuen Verkäufer kamen - nicht mehr die Kesselflicker, die den alten Eimer wieder wie neu machten, sondern die, die uns mit alles gleichmachenden Sätzen die Kübel mit Email glätteten, jegliche Kratzer der Vergangenheit wegpolierten und uns das als Allheilmittel der Erkenntnis der Besonderheit zu verkaufen suchten.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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