Lupenreine Weste?
Die SPD und Otto Wels
Man kann es verstehen und es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn die Sozialdemokratische Partei Deutschlands im 150. Jahr ihres Bestehens Glanzpunkte in ihrer Geschichte feiert, wie dieser Tage das mutige »Nein« des Reichstagsabgeordneten Otto Wels gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz. Historische Aufrichtigkeit und Korrektheit kann man aber erwarten. Was haben die Urenkel von Ebert, Scheidemann, Noske und Wels denn für ein Problem damit, einzugestehen, dass auch ihre Ahnen - nicht nur die der Kommunisten - Ecken und Kanten hatten und wahrlich nicht immer saubere Westen?
»Mut und Verpflichtung« war die Veranstaltung der SPD-Bundestagsfraktion im Otto-Wels-Saal anlässlich des 80. Jahrestages der Wels'schen Rede überschrieben. Mit keinem Wort erwähnten Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel, dass die KPD am 23. März 1933 nicht gegen das »Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich« votieren konnte, weil ihre 81 Mandate willkürlich kassiert worden waren. Und kein Wort über die Ablehnung des KPD-Angebots zum Generalstreik Ende Januar 1933 durch den SPD-Vorstand - wider die Erwartung in der eigenen Basis. Der Generalstreik hätte die Etablierung der Nazidiktatur vielleicht nicht verhindert, aber zumindest erschwert. Und wäre ein Signal gewesen, auf das man heute stolz sein könnte.
Steinmeier, der einstige Außenminister der Großen Koalition, sah sich auch nicht verpflichtet, kritisch auf die ersten Passagen in Wels' Rede einzugehen, die Hitlers auswärtige Intentionen verbrämten: »Der außenpolitischen Forderung deutscher Gleichberechtigung, die der Herr Reichskanzler erhoben hat, stimmen wir Sozialdemokraten um so nachdrücklicher zu, als wir sie bereits von jeher grundsätzlich verfochten haben.« Es gab keinen Kommentar zu dessen unnötigem Kotau: »Der Herr Reichskanzler hat auch vorgestern in Potsdam einen Satz gesprochen, den wir unterschreiben. Er lautet: ›Aus dem Aberwitz der Theorie von ewigen Siegern und Besiegten kam der Wahnwitz der Reparationen und in der Folge die Katastrophe der Weltwirtschaft.‹«
Man hatte nicht erwartet, dass Steinmeier und Gabriel auf den Befehl von Wels als Berliner Stadtkommandant im Dezember 1918 eingehen, auf Demonstranten zu schießen und die revolutionären Matrosen gewaltsam aus dem Marstall zu verjagen. Angebracht wären aber wohl kritische Worte zu seiner Tolerierungspolitik gegenüber Notverordnungskanzler Brüning gewesen, ebenso zum Verrat an seinem Genossen Otto Braun, dessen Koalitionsregierung in Preußen am 20. Juli 1932 handstreichartig von Hitlers späterem Vizekanzler Papen gestürzt worden ist. Auch in dieser Stunde lehnte der SPD-Vorsitzende einen Generalsstreik respektive zivilen Ungehorsam ab.
In seiner Rede am 23. März 1933 betonte Wels: »Kritik ist heilsam und notwendig.« Warum folgen dieser Aufforderung seine Erben nicht? Es gehört heute kein Mut dazu, die historische Wahrheit auszusprechen. Die heutigen SPD-Führer sollten sich die Gewerkschaften zum Vorbild nehmen, die inzwischen einen offeneren Umgang mit Geschichte pflegen.
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