Wie krank ist man im BfV?
Verdacht: Innenministerium versuchte NSU-Ausschuss zu leimen
Krankheitsfall Nr. 1: Am Montagnachmittag eröffnete der NSU-Bundestags-Untersuchungsausschuss die letzte regulär geplante Vernehmung. Doch der erste Zeuge, ein Mann vom Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln, erscheint nicht. Er ist krank, ließ er mitteilen. Der »Betriebsarzt« des Geheimdienstes hatte den entsprechenden Schein ausgestellt. Ist es ernst, fragte sich der Ausschuss und erbat ein Attest des zuständigen Amtsarztes.
Der untersuchte den Zeugen zwar, doch weil die Schreibkraft am Nachmittag nicht verfügbar ist, konnte das Attest nicht ausgestellt und nach Berlin gefaxt werden. Der Landrat des Rhein-Erft-Kreises wurde eingeschaltet, das Attest kam. Ungefährer Inhalt: Der ausgefallene Verfassungsschützer ist - nachdem er die Aufforderung zur Aussage erhalten hatte - einem plötzlichen Stress und damit einer Aussagephobie verfallen.
Krankheitsfall Nr. 2: Vor Wochen bereits konnte eine Sachbearbeiterin des Bundesamtes nicht nach Berlin zur Aussage erscheinen. Sie hat unmittelbar nach dem Auffliegen des NSU Akten mit NSU-Bezug geschreddert. Damit verschwanden zahlreiche V-Leute - es handelt sich um die sogenannte »T-Gruppe« - aus den Verzeichnissen, gerade so, als hätten sie nie existiert. Die Angestellte wehrte sich nach Kräften gegen die Weisung, doch die Forderung eines Referatsleiters war mit großem Nachdruck versehen. Derselbe Mann, der die Aktion »Konfetti« befohlen hatte, versuchte unmittelbar nach dem Schreddern die Verantwortung dafür der Untergebenen anzuhängen. Die Frau muss Spießruten gelaufen sein.
Der Ausschussvorsitzende und ein anderer Abgeordneter flogen also nach Köln und vernahmen die Zeugin daheim. Ihr zur Seite saß eine »Vertrauensperson«. Es war ihre Vorgesetzte.
Krankheitsfall Nr. 3: Der Ausschuss wollte am Montag auch den Geheimdienstler hören, der authentische Auskünfte zu den BfV-V-Leuten Thomas Richter, Mirko Hesse und Ralf Marschner - die dicht am NSU-Umfeld dran waren - erteilen kann. Präsentiert hat das Amt einen Zeugen mit dem Arbeitsnamen Torsten Egerton. Er war von den Zuständigen des BfV und des Innenministeriums unter zehn Kollegen ausgesucht worden, obwohl die anderen wohl eher als Zeugen in Frage gekommen wären. Dennoch hat der Auswerter im BfV den bislang gehörten Zeugen eines voraus. Er vermied den Satz: »Ich kann mich nicht erinnern.« Kunststück! Schließlich gehört »Egerton« der nach dem Auffliegen des NSU gebildeten »Lageorientierte Sonderorganisation« (LOS) an, die das Versagen des Gemeindienstes erklärbar machen soll. Auf diese Weise den Ausschuss beeinflussen zu wollen, ist schon sehr »krank«. hei
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