Bezahlkarte: Einheitliches System der Freiheitsbeschränkung

Mehrere Bundesländer führen im Dezember die Bezahlkarte für Geflüchtete ein – Geflüchteten-Organisationen äußern Kritik

Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein wollen die Bezahlkarte im Dezember einführen.
Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein wollen die Bezahlkarte im Dezember einführen.

Es war eine Inszenierung wie bei der Grundsteinlegung für ein bedeutendes Bauprojekt durch mindestens ebenso bedeutende Politiker*innen: Höchstpersönlich reiste Baden-Württembergs Migrationsstaatssekretär Siegfried Lorek (CDU) am Montag nach Eggenstein-Leopoldshafen im Landkreis Karlsruhe, um in einer Erstaufnahmeeinrichtung die landesweit ersten einheitlichen Bezahlkarten an Geflüchtete auszuteilen. Zwar hatten einige Gemeinden ähnliche Karten schon zuvor eingeführt, doch die nun verteilten Karten sind die ersten, die dem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) entsprechen, ein einheitliches System einzurichten. Dem Anlass entsprechend lobpreiste Lorek die Karte bereits im Vorfeld als »modernes Zahlungsmittel«, das »innovative technische Möglichkeiten« mit sich bringe. Ganz so, als ginge es ihm darum, Schutzsuchenden in Deutschland einen Gefallen zu tun und sie endlich auf den Stand der Zeit zu bringen.

Mehr Überwachung, weniger Freiheit

Dabei verstecken Regierungspolitiker*innen überhaupt nicht, dass das Gegenteil der Fall ist. »Technische Möglichkeiten« heißt in diesem Fall schlicht: mehr Kontrolle, weniger Freiheit. Die Bezahlkarte ist kein Kontoersatz und auch keine EC- oder Kreditkarte, sondern eben ein Ersatz für Bargeld. Sie soll den Anreiz schmälern, nach Deutschland zu kommen und die Bezahlung von Schlepper*innen verhindern. Der Einschätzung zahlreicher Migrationsexpert*innen zufolge trägt eine Plastikkarte aber zu keinem der beiden Dinge bei. Und so ist es mit ihrer Einführung ähnlich wie mit der zelebrierten Erstausgabe in Baden-Württemberg: Sie ist ein Musterbeispiel für Symbolpolitik.

Freilich, eine Form der Scheinpolitik mit erheblichen Auswirkungen: Gerade im Bargeld-Land Deutschland büßen Inhaber einer Bezahlkarte an Freiheit ein, etwa wenn sie nicht mehr auf Flohmärkten einkaufen können, oder mit dem Bus in den nächsten Ort fahren müssen, um einzukaufen, weil das nähere Geschäft nur Bargeld akzeptiert. Ganz zu schweigen von den sensiblen Daten, die der Staat damit erfassen kann – und technischen Problemen.

Erste Erfahrungen konnten einige Bundesländer bereits im Rahmen von Pilotprojekten sammeln. Und in Hamburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Bayern ist die Bezahlkarte weitestgehend eingeführt. Für Dezember haben gleich mehrere Länder die Einführung des einheitlichen Systems angekündigt: Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein.

Genauere Informationen dazu sind spärlich gesät: Das hessische Integrationsministerium teilt dem »nd« lediglich mit, am Dezember-Starttermin habe sich nichts geändert. Auch das niedersächsische Innenministerium sagt: »Stand jetzt bleibt es bei der Einführung im Dezember«; ein detaillierter Zeitplan folge kommende Woche. Konkreter wurde es hingegen neben Baden-Württemberg in Schleswig-Holstein: Am Dienstag vermeldete das Land, die ersten Bezahlkarten an seine Erstaufnahmeeinrichtungen verschickt zu haben. Bis Ende des ersten Quartals 2025 soll die Bezahlkarte dann landesweit im Einsatz sein.

Zwar haben sich die Regierungschef*innen der Länder im Juni auf konkrete Eckpunkte zur Anwendung der Bezahlkarte geeinigt. Dennoch bleibt den Bundesländern ein Gestaltungsspielraum. Wie wird er in den Ländern, die die Bezahlkarte nun ausrollen, genutzt?

Wenig Spielraum bei Bargeldgrenze

An der umstrittenen Bargeldobergrenze gibt es für die Länder wenig zu rütteln. Sie wurde durch die MPK auf 50 Euro monatlich festgelegt. Ausnahmen sind nur in besonderen Fällen zulässig. Das baden-württembergische Justizministerium gibt ein Beispiel dafür: Die Grenze könne etwa für Personen erhöht werden, die im Rollstuhl sitzen, und zwar einen Geldautomaten erreichen, nicht aber ein Geschäft mit Kartenzahlung.

Martin Link, Geschäftsführer des schleswig-holsteinischen Flüchtlingsrats, hofft, dass auch die Kommunen ihren Handlungsspielraum nutzen werden. Denn diese seien verantwortlich für die Ausgestaltung der Bezahlkarte für diejenigen Geflüchteten, die dezentral wohnen. Link geht davon aus, dass die »zu niedrig angesetzte Bargeldgrenze« dort möglicherweise wieder aufgeweicht wird. Vor allem für vulnerable Gruppen müsse die Grenze angepasst werden, etwa für schwangere Frauen, die »eine besondere Bedarfslage« haben.

Amazon und Ebay sind tabu

Auch die Frage, inwieweit Online-Einkäufe mit der Bezahlkarte möglich sind, obliegt dem Ermessensspielraum der Länder. Hier ist man im Süden scheinbar strenger als im Norden. Vom Sozialministerium in Schleswig-Holstein heißt es: »Es werden keine Einschränkungen von Onlineeinkäufen bei Händlern innerhalb der EU vorgesehen.« In Baden-Württemberg wird die Bezahlkarte zwar »für den Onlinehandel prinzipiell zugelassen«, einzelne Händlerkategorien werden aber ausgeschlossen, wie das Justizministerium mitteilt. Dazu gehören Online-Marktplätze wie Amazon oder Ebay. Was laut der Geflüchtetenorganisation Pro Asyl alle Länder gemeinsam haben: mit der Bezahlkarte ist die Rückgabe von fälschlicherweise gekaufter Ware unmöglich.

Genau wie Überweisungen, zumindest vorerst. In Baden-Württemberg soll sich das aber baldmöglichst ändern. Bis April 2025 soll die App-Funktion freigeschaltet werden, mit der es möglich ist, Überweisungen an vorher festgelegte IBANs zu tätigen. Das soll sicherstellen, dass auch Zahlungen, die nur per Überweisung möglich sind, funktionieren, also etwa Mietnebenkosten oder Mitgliedsbeiträge an Vereine. Wie das in der Übergangszeit gewährleistet werden soll, ließ das Justizministerium in einem Schreiben zur Einführung der Bezahlkarte offen.

Bezahlen regional beschränkt

Zu den »technischen Möglichkeiten« der Bezahlkarte gehört auch das: Mit ihr lassen sich die Bewegungsmöglichkeiten ihrer Besitzer einschränken – indem die Möglichkeit zu bezahlen lokal beschränkt wird. Das schleswig-holsteinische Sozialministerium schreibt dazu: Die Bezahlkarte soll nur im Land Schleswig-Holstein von den Leistungsberechtigten genutzt werden können, lediglich eine Ausnahme für den Stadtstaat Hamburg sei in Diskussion. In Baden-Württemberg ausgestellte Bezahlkarten können hingegen im gesamten Bundesgebiet genutzt werden, »weitergehende regionale Einschränkungen« erfolgen nicht, gibt das Justizministerium an.

Angesichts der Einführungen in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein nimmt auch der Protest gegen die Bezahlkarte zu. Am Mittwoch lud das Freiburger Bündnis »Bezahlkarte stoppen« zu einer Veranstaltung. Auch wenn die Bezahlkarte per Gesetz beschlossen ist, blieben noch Möglichkeiten der Intervention, hieß es. Ein »Soli-Treffen zur Bezahlkarte in Schleswig-Holstein« veranstaltete der dortige Flüchtlingsrat. Eine Idee: Tauschbörsen, um die Bargeldobergrenze zu umgehen, wie sie etwa in Bayern bereits existieren.

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