Der verschwiegene Reichtum

Die Macht der Vermögenden beruht unter anderem darauf, dass über sie so wenig gesprochen wird

Am Freitag kommender Woche startet an der TU Berlin ein dreitägiger Kongress mit dem Titel »Umverteilen.Macht.Gerechtigkeit«, der von dem breiten Bündnis »Umfairteilen« veranstaltet wird. Aus diesem Anlass veröffentlicht »nd« eine Trilogie zu den Kongressthemen. Teil 1 beschäftigt sich mit der Macht der Reichen.

Lisa und Otto Normalverbraucher können zur Zeit wieder einen Blick in eine ihnen sonst verschlossene Welt werfen: die der Mondänen und Reichen. Die mittlerweile fünfte Staffel der »Geissens« flimmert gerade über den TV-Äther. In dieser Woche konnte man an einer Mega-Geburtstagsparty für Tochter Davina Shakira in der Ferienvilla in St. Tropez teilhaben, bei der Vater Geiss verkatert und die Mutter kurz vor dem Ausrasten war. Gut, dass der eingeflogene Schlager-DJ Ötzi die Stimmung rettete. Was an dem Gezeigten dokumentarisch ist, darüber scheiden sich die Geister. Gewiss ist jedoch, dass die tatsächlichen Vermögensverhältnisse der in Monaco residierenden Kölner Familie, die vom Erlös des Verkaufes eines Bekleidungslabels lebt, nicht offengelegt werden.

Über Reichtum spricht man nicht, zumindest in Deutschland. Während in Schweden die Steuerlisten aller Bürger, selbst des Königs, veröffentlicht werden, ist dies hierzulande ein Tabu. Und auch die offiziellen Statistiken helfen nicht wirklich weiter: Die Bundesbank berechnet zwar regelmäßig Gesamtzahlen des Reinvermögens, also des Geld- plus Sachvermögens abzüglich Verbindlichkeiten, der deutschen Privathaushalte - Ende 2011 lag es bei 9,3 Billionen Euro. Allein das Geldvermögen lag bei knapp fünf Billionen. Über die Verteilung gibt es allerdings keine Aussagen. Das Statistische Bundesamt wiederum bezieht in seine alle fünf Jahre erhobene, äußerst umfangreiche Einkommens- und Verbrauchsstichprobe Haushalte mit einem monatlichen Einkommen über 18 000 Euro nicht ein, »da diese nicht beziehungsweise in nur sehr geringer Zahl an der Erhebung teilnehmen«. Die Bundesstatistiker werfen also vor der Verschwiegenheit der Reichen das Handtuch. Und im Mikrozensus werden die Bürger nach ihrem Vermögen erst gar nicht gefragt.

Das ist verwunderlich. Gerade in Zeiten knapper öffentlicher Kassen und einer Politik mit dem Rotstift ist das Befremden darüber groß, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten die Kluft zwischen arm und reich massiv vergrößert hat. Auf Druck von Wohlfahrtsverbänden und Kirchen sah sich bereits 2001 die rot-grüne Bundesregierung genötigt, einen ersten »Armuts- und Reichtumsbericht« zu veröffentlichen. Darin war zwar viel von den zahlreichen Facetten von Armut die Rede, und auch die Anzahl der Einkommensmillionäre durfte nicht fehlen - 13 000. Nicht eingerechnet waren aber Menschen mit millionen- oder gar milliardenschwerem Privatvermögen. Der kürzlich unter dubiosen Umständen von Schwarz-Gelb erstellte, vierte Bericht verschwendet nur 15 seiner über 400 Seiten auf Vermögen und Reichtum. Es finden sich eine Umfrage über subjektive Einstellungen der Bürger dazu sowie längere Auslassungen über die »hohe Engagementquote reicher Haushalte« bei Spenden und ehrenamtlicher Arbeit.

Andere Zahlen dürften untertreiben, denn sie beruhen auf Schätzungen, sind oft veraltet und können die riesigen Summen, die in Steueroasen vor dem Fiskus versteckt sind, nicht berücksichtigen. Das Sozio-oekonomische Panel des DIW-Berlin geht für das Jahr 2007 davon aus, dass die reichsten zehn Prozent der Deutschen zwei Drittel des Gesamtvermögens besaßen, die reichsten 0,1 Prozent (weniger als 70 000 Personen) fast ein Viertel. Die Hälfte der Deutschen verfügt dagegen über kein Nettovermögen.

Geht es um die Welt der Superreichen, wird gerne auf die jährliche Liste des US-Magazins »Forbes« zurückgegriffen. Demnach ist der reichste Deutsche auch 2013 Aldi-Gründer Karl Albrecht mit 26 Milliarden Dollar (weltweit: Platz 18). Weit vorne liegen ferner Lidl-Gründer Dieter Schwarz, die Erben von Albrechts verstorbenem Bruder Theo, Versandhauskönig Michael Otto sowie die BMW-Miteigentümer Susanne Klatten, Stefan und Johanna Quandt. Auch die »Forbes«-Zahlen sind ungenau, denn sie beziehen sich vor allem auf den Wert der gehaltenen Firmenanteile.

Rückblende: Im Frühjahr hatte der neoliberale Umbau zwar längst begonnen, doch die Agenda 2010 von Gerhard Schröder bedeutete zumindest symbolisch eine Zäsur im deutschen Nachkriegskapitalismus. In der Bundestagsrede, in der der SPD-Kanzler den Umbau vieler Politikbereiche umriss, fiel das Wort »Reichtum« kein einziges Mal. Und als Schröder ausführte, wer denn nun die »gewaltige gemeinsame Anstrengung« der anstehenden Strukturreformen bewältigen müsse, erklärte er: »Alle Kräfte der Gesellschaft werden ihren Beitrag leisten müssen: Unternehmer und Arbeitnehmer, freiberuflich Tätige und auch Rentner.« Alle Kräfte? Die Reichen und Vermögenden blieben unerwähnt. Nur an einer Stelle kam auf sie zumindest indirekt die Sprache: bei der Ankündigung einer Abgeltungsteuer auf Zinserträge. Während Schröder die Bevölkerung auf harte Zeiten einstimmte, wurden Vermögende also mit einer steuerlichen Flatrate und bei Rücktransfer von Schwarzgeld mit einer Strafamnestie geködert. Oppositionsführerin Angela Merkel kritisierte daran nur eines: dass Schröder Kontrollmitteilungen an die Finanzämter nicht ausschließen wollte, sich also nicht hundertprozentig zu Bankgeheimnis und Anonymität bekannte.

Die Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge in Höhe von 25 Prozent wurde schließlich im Jahr 2009 von der großen Koalition eingeführt. Sie ist für alle gleich, egal wie groß das Vermögen ist. Damit wurde ein wichtiger Grundsatz aufgegeben: die Besteuerung nach Leistungsfähigkeit. Dies trieb die »Entlastung der Leistungsträger« noch auf die Spitze. Der erste große Pflock war unter Kanzler Helmut Kohl eingerammt worden: mit der Nicht-Erhebung der Vermögensteuer ab 1997. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das gefordert hatte, Immobilien höher zu bewerten und damit deren Besitz stärker zu besteuern, verweigerte sich die Regierung einer Neuregelung. Dies belastete die Kassen der Bundesländer stark - ihnen standen die jährlichen Einnahmen von zuletzt neun Milliarden DM zu. Seither haben auch die Finanzämter keine Informationen mehr über die Vermögen.

Rot-Grün wiederum reduzierte den Spitzensatz bei der Einkommensteuer von 53 auf 39 Prozent sowie die Unternehmensteuern. Mit den Rentenkürzungen und der staatlich geförderten, privaten Riester-Rente sorgte die Regierung zudem für eine weitere Verlagerung der Alterssicherung auf die Finanzmärkte.

Der Effekt war ein gewaltiger Anstieg der Privatvermögen der Deutschen, was wiederum nur ein kleiner Teil eines globalen Trends war. Banken, Pensionskassen, Hedgefonds und Versicherungen sollen die riesigen Vermögen vermehren, was auf wirtschaftlich gesundem Wege längst nicht mehr geht. Linke Ökonomen sehen genau hier die Hauptursache der zahlreichen Finanzkrisen, die seit den 1990er Jahren rund um den Globus schwappen.

Solche Kritik hat mit »Neiddebatten« nichts zu tun. Dass sich letztere ohnehin in Grenzen halten, zeigt die Ausstrahlung immer neuer Staffeln der »Geissens«. Diese genießen es, ihren Reichtum zur Schau zu stellen. Ob nun bei einer Shoppingtour in Las Vegas, dem Urlaub auf den Bahamas oder der Nanny-Suche. Der Gang zum Steuerberater, wie könnte es auch anders sein, blieb von den Kameras unbeleuchtet.

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