Arme wählen weniger
Ausgegrenzte Menschen gehen seltener an die Urnen - ein Problem auch für die LINKE
Was tun, wenn die politischen Positionen zwar als grundsätzlich »richtig« gelten, sich das aber nicht in Wahlergebnissen niederschlägt? So flog die Linkspartei bei den Landtagswahlen 2012 und 2013 aus den Parlamenten von Schleswig-Holstein mit 2,3 Prozent (2009 noch sechs Prozent) und Niedersachsen mit 3,1 Prozent (2008 noch 7,1 Prozent). Auch in Hamburg dümpelt die LINKE bei Umfragen zwischen sechs und sieben Prozent herum, obwohl gerade hier viele von Wohnungsnot und steigenden Mieten betroffen sind.
Einer der Gründe für die politische Enthaltsamkeit: Gerade die von Armut und Ausgrenzung Betroffenen ziehen sich resigniert zurück, beteiligen sich wesentlich geringer an Wahlen als gut situierte Mittelschichten. Während einer gemeinsamen Veranstaltung von Rosa Luxemburg Stiftung und der Hamburger LINKEN sprach der Sozialwissenschaftler Horst Kahrs über das Thema: »Politisch nicht mehr erreichbar? Warum die politische Basis für Mitte-unten-Bündnisse prekär ist.«
Kahrs These: Die LINKE müsse die Wählerschicht der Ausgegrenzten, Dauerarbeitslosen und prekär Beschäftigten gezielter ansprechen, auch wenn sich diese weitgehend in die politische Resignation zurückgezogen hätten. »Als LINKE brauchen wir verstärkt Wähler aus den unteren sozialen Schichten. Solange wir es nicht schaffen, diese Gruppen dauerhaft für uns zu gewinnen, sind Regierungsbündnisse auf Sand gebaut.« Die Zahlen, die der Mitarbeiter der Rosa Luxemburg Stiftung vorlegte, sprechen für sich: So gingen in einer Kölner Trabantenstadt lediglich 43,3 Prozent der Wahlberechtigten an die Urnen. In einem innerstädtischen Wohngebiet waren es immerhin noch 60,7 Prozent, während in einem gehobenen Milieu 80,2 Prozent zur Wahl gingen. Die Bewohner einer Ein-Familienhaus-Siedlung stürmten gar mit 87 Prozent regelrecht die Wahllokale.
»Politisch nicht mehr erreichbar: Das darf die LINKE nicht akzeptieren«, forderte der Mitarbeiter des Instituts für Gesellschaftsanalyse. Ein geschlossenes Konzept konnte oder wollte der Sozialwissenschaftler wohl nicht vorlegen, vielmehr waren es Überlegungen, die bisherige Politik zu überdenken. Statt wie bisher eine Umverteilung von oben nach unten zu fordern, um die Binnennachfrage zu stärken, müsse es grundsätzlich um die Frage gehen: »Was braucht der Mensch?« Kahrs knüpfte damit bewusst an den Leitspruch des Kirchentages 2013 in Hamburg an: »Soviel du brauchst.« Nach mindestens 20 Jahren neoliberaler Hegemonie müsse »ein neuer Begriff von einem neuen Leben« diskutiert werden. Dieses Thema werde aktuell bis in die bürgerlichen Schichten hinein debattiert.
Die Kritik des Referenten: »Die Frage ›Was ist richtig im Leben?‹ steht nicht in einer alltagstauglichen Sprache in unserem Programm.« Im Grundsatz müsse »es in unserer Antikrisenpolitik darum gehen, dass es Bereiche gibt, die man nicht schleifen kann: Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten«. Linke Politik müsse es schaffen zu verdeutlichen, »dass es der LINKEN nicht allein darum geht, Geld umzuverteilen, sondern Lebenschancen schafft. Es geht uns nicht primär darum, dass die Menschen mehr Geld haben, sondern dass es wieder öffentliche Einrichtungen gibt, die für jeden zugänglich sind«.
Nicht das »individuelle Einkommen« stehe im Vordergrund, sondern »kollektive Güter«. Kahrs Mahnung an die eigene Partei: »Wir können uns nicht von Wahl zu Wahl hangeln, sondern müssen uns fragen: Wo wollen wir in zehn Jahren stehen?«
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