Stille Angst vor dem Abstieg

Die Menschen in der Republik Zypern vertrauen einer neuen konservativen Regierung

  • Christiane Sternberg, Nikosia
  • Lesedauer: 4 Min.

»Helfen Sie dem Land in der Krise - machen Sie Urlaub zu Hause!« Das Motto bei der diesjährigen Tourismusmesse in Zypern ist eindeutig: Wir unterstützen uns gegenseitig. Die einheimischen Urlauber bekommen Sparpakete für den Inlandsurlaub geboten und gleichzeitig wird die Auslastung der Hotels erhöht. Hinter solchen Aktionen steckt der Geist von 1974. In Zypern wird die derzeitige prekäre Situation gern mit dem wirtschaftlichen Kollaps nach der türkischen Invasion vor 39 Jahren verglichen. Damals habe die Republik Zypern ein Wirtschaftswunder vollbracht. Aus einem Land voller Flüchtlinge in Zelten wurde innerhalb kürzester Zeit ein florierendes Finanz- und Tourismuszentrum. Jetzt, so appellieren vor allem Politiker, solle man wieder gemeinsam für die Rettung des Landes kämpfen.

Die zyprische Regierung hat dafür am Donnerstag die Erfüllung der Bedingungen für die Gewährung eines Kredites über zehn Milliarden Euro von EU und Internationalem Währungsfonds zugesagt. »Wir werden fortfahren, unseren Verpflichtungen nachzukommen«, sagte Staatspräsident Nikos Anastasiades am Donnerstag in Brüssel nach einem Treffen mit EU-Kommissionschef José Manuel Barroso. Dies erfordert harte Einschnitte. Auf 30 Seiten zählt das Troika-Memorandum auf, wo Zyperns stille Reserven liegen und welche Hausaufgaben in den kommenden Jahren zu machen sind. Bis 2016 sollen 5000 Angestellte im öffentlichen Dienst gekündigt werden. Die Sozialleistungen werden allein in diesem Jahr um 113 Millionen Euro gekürzt, Boni werden gestrichen, Gehälter bis zu 15 Prozent reduziert. Hinzu kommen Erhöhungen der Mehrwert-, Immobilien- und Treibstoffsteuer.

Neue Zuzahlungssysteme im Gesundheitswesen werden eingeführt und strengere Kriterien bei der Kreditvergabe der Banken. Auch die Privatisierung von halbstaatlichen Betrieben wie der Telekommunikationsgesellschaft steht noch an. Bereits jetzt hat Zyperns Arbeitslosenquote mit 14,2 Prozent einen absoluten Rekordstand erreicht.

Doch der propagierte Gemeinschaftssinn hält die Zyprer von Demonstrationen gegen die harten Spar- und Geldbeschaffungsmaßnahmen ab. Die Regierung des Kommunisten Dimitris Christofias, der die Schuld am Staatsbankrott und der einheimischen Bankenkrise gegeben wird, ist bei der Präsidentschaftswahl im Februar 2013 abgewählt worden. Der neue Staatschef Anastasiades nimmt mit seinen Maßnahmen möglichen Protesten die Angriffsfläche. So werden etwa diverse Arbeitsbeschaffungsprogramme aufgelegt. Bis zu 8000 Jobs sollen mit staatlicher Förderung im Tourismussektor entstehen. Das Landwirtschaftsministerium bietet Arbeitslosen kostenlose Lehrgänge an, um sie zu Bauern und Bienenzüchtern umzuschulen. Wer kein eigenes Land besitzt, das er anschließend beackern kann, bekommt Staatsbestand. Und das Kabinett verabschiedete im April ein Gesetz, das die Erhöhung von Geschäftsmieten für zwei Jahre verbietet. Selbst eine Hotline wurde schon eingerichtet, um Krisenopfern psychologische Hilfe anzubieten.

Denn die Angst vor dem sozialen Abstieg geht trotz aller Hilfsangebote um. Viele Zyprer fürchten, ihr Dach über dem Kopf zu verlieren. Traditionell wohnen die meisten von ihnen nicht zur Miete, sondern in Häusern, die sie mit Krediten finanzieren. Die monatlichen Raten sind auf ihr bisheriges Einkommen zugeschnitten. Nach einer Kündigung oder schon bei einer Gehaltskürzung können manche Familien ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen.

Überhaupt ist die Zahl der Bedürftigen in den vergangenen Monaten bedenklich in die Höhe geschnellt. Hilfsorganisationen versorgen bis zu 5000 Menschen an Ausgabestellen für Lebensmittel und in Suppenküchen. Manche, so der Geschäftsführer des Roten Kreuzes, Takis Neophytou, kämen im BMW oder Mercedes vorgefahren, um sich das Essen abzuholen. »Bis vor kurzem führten sie noch ein unbeschwertes Leben und nun sind sie auf uns angewiesen.« In der jetzigen Situation lassen sich weder Autos noch Häuser zu Geld machen. Es fehlt an Käufern, denn jeder hält sein Barvermögen für noch schlechtere Zeiten zurück. Schon jetzt müssen sich viele Geringverdiener einen Zweitjob suchen, um über die Runden zu kommen. Die meisten übernehmen Saisonarbeiten in der Landwirtschaft. Im Niedriglohnsektor, der bisher zum großen Teil von Arbeitern aus Drittstaaten wie Bangladesch, Pakistan oder afrikanischen Ländern bedient wurde, sind immer mehr Einheimische beschäftigt.

Die Zyprer klammern sich aber an einen Hoffnungsschimmer: Vor ihrer Küste lagern Erdgasvorkommen, deren Wert auf bis zu 600 Milliarden Euro geschätzt wird. Doch Förderung, Verarbeitung und Export sind frühestens ab 2020 möglich. Bis dahin sind es noch sieben magere Jahre.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.