»Hauptsache Bier is' kalt!«
Die Hölle Supermarkt
Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht: Ich möchte keine Treueherzen. Auch keine Treuepunkte, Treuetaler, Bonuspunkte, Sammelkärtchen, Sammelbildchen, Sammeltaler, Sparsternchen, Shopping-Coupons, Rabattmarken, Erlebnisgutscheine und ähnlichen Killefitt. Ich möchte kein modernes Diplöffel-Set als »Prämie« und keine originelle Tischdeko-Kollektion, weder in »klassisch« noch in »exotisch«, auch nicht in gratis. Denn meine Mülltonne ist schon voll genug.
Ich möchte keine Treueherzen.
Ich möchte raus aus diesem riesenhaften, fensterlosen, neonbeleuchteten Betonsarg, aus dieser Strafkolonie für verhaltensgestörte Kriegsgefangene des Spätkapitalismus, die wie zum Hohn »Supermarkt« heißt und in der man den letzten noch selbst denkenden Menschen weismachen will, sie schützten durch den Erwerb eines Kastens Bier den tropischen Regenwald.
Als sei es nicht bereits entwürdigend genug, in einem sogenannten Supermarkt in einer fünfzehn Meter langen Schlange zu stehen, sich reduziert zu sehen auf den armseligen Konsumtrottel (»Kunde«), zu dem man im Lauf der Jahrzehnte erfolgreich dressiert worden ist, auf die eigenen verräterischen Einkäufe starren zu müssen (Cannonau di Sardegna, italienischer Schinken, Spülmaschinensalz, Katzenfutter) und die Gesprächssimulationen der anderen versammelten Kapitalismusopfer mitanhören zu müssen: »Watt iss'n heute? Next Topmodel oder Bauer sucht Frau?« - »Ejal! Hauptsache Bier iss kalt, wa?«.
Nein, all das ist nicht genug. Man muss sich auch noch an der Kasse demütigen lassen, an der man die wie die Goldreserven von Fort Knox gesicherten Zigaretten förmlich vom Personal erbetteln muss (»Könnten Sie bitte das Stahlgitter vor den Tabakwaren öffnen?«) und einem auch noch der allerletzte Spargroschen abgesaugt (»Aufrunden, bitte!«) werden soll. Selbstverständlich für einen guten Zweck, also zugunsten irgendeiner notleidenden Lobbyorganisation der Arbeitgeberverbände.
Und als Belohnung dafür, dass man sich auf so beispiellose Weise hat erniedrigen und alles klaglos über sich ergehen lassen, wird man von der Kassiererin für einen Dieb gehalten (»Könnten Sie mal bitte Ihre Tasche hochnehmen?«), der in seinem Einkaufswagen, heimtückisch und geschickt versteckt unter einer darin liegenden Baumwolltragetasche, möglicherweise einen ganzen Apfel hinausschmuggeln und illegalerweise unter den nimmersatten Volksmassen verteilen wollte.
Man muss sich auch das letzte noch verbliebene Quentchen Würde entziehen lassen von einer selbst bereits über Jahre hinweg geknechteten und gedemütigten Kreatur, die von ihren Peinigern, ihren Vorgesetzten, gezwungen wird, Sätze auszusprechen, die einen glauben lassen, das Zeitalter der Aufklärung habe es nie gegeben. Sätze, die man seinem ärgsten Feind nicht ins Gehirn wünschen würde. Sätze wie diesen: »Sammeln Sie Treueherzen?«
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