Pathos, Pop und Putsch

Der Fall Snowden und die Pressefreiheit

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 6 Min.

Man stelle sich vor: Kanzlerin Angela Merkel, wiederholt dargestellt als SS-Schergin, Bundespräsident Joachim Gauck als dementer Diktator - aber nicht etwa in einer entfesselten Auslandspresse, sondern in den nationalen privaten Sendern. Man stelle sich vor, ARD und ZDF gäbe es in der bekannten Form nicht. Stattdessen würde die deutsche Medienlandschaft dominiert von RTL2 und dem Axel-Springer-Verlag, die der Regierung im Tagesrhythmus und offensichtlich ungerechtfertigt »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« unterstellen. Man stelle sich weiter vor: Diese Medien, in deren Aufsichtsräten die größten Firmen und reichsten Familien des Landes sitzen, seien bereits in mehrere Putsche verstrickt gewesen, und würden auch aktuell wieder für einen gewaltsamen und undemokratischen Umsturz trommeln.

Was uns undenkbar erscheint, ist in nicht wenigen Ländern Alltag. So auch in Ecuador, dessen Medienpolitik durch den Asylantrag des Whistleblowers Edward Snowden gerade in den Fokus der Weltpresse geriet.

Laut »Tagesspiegel« hat »gerade Ecuador« auch innenpolitische Gründe, »sich zum Hüter der Meinungsfreiheit aufzublasen. Denn soeben hat die Regierung unter Präsident Rafael Correa ein äußerst restriktives Mediengesetz verabschiedet«. Der »Spiegel« sieht in Correa einen »Presse-Knebler«. Vom neuen, vergangene Woche verabschiedeten Mediengesetz Ecuadors verrät das Magazin einzig, dass es den Straftatbestand des »medialen Lynchens« schafft. Laut »Wall Street Journal« wird Correa »in seiner Heimat für seine Versuche kritisiert, die örtlichen Medien mundtot zu machen«. Ein ähnlicher Tenor zieht sich weltweit durch die Kommentare, von der »Washington Post« über die »Süddeutsche Zeitung« bis zur britischen »Sun«.

Die Pressefreiheit Ecuadors scheint also in höchster Gefahr. Doch welche Art Freiheit soll im konkreten Fall geschützt werden? Zentrales Element des neuen Gesetzes ist mitnichten eine Knebelung. Vielmehr wird die Zerschlagung eines privaten und bizarr reaktionären Nachrichtenkartells angestrebt, das momentan etwa 80 Prozent der Sendelizenzen belegt. Den Plan, die Medienlizenzen zu je 33,33 Prozent an kommunale, staatliche sowie private Anbieter zu verteilen, kann man eigentlich nur als fortschrittlich bezeichnen. Ecuador kopiert mit dieser Drittelung das Vorgehen Argentiniens, dessen 2010 verabschiedetes Mediengesetz vom UN-Sonderbotschafter für Meinungsfreiheit, Frank La Rue, als »ein Modell für den ganzen Kontinent« gelobt wurde. Bleibt als Zensurwerkzeug das Verbot der »medialen Lynchjustiz«. Ob das tatsächlich Einfallstor für Willkür werden wird, bleibt abzuwarten: Schließlich wird andererseits in Artikel 18 erstmals die Vorabzensur durch Regierung oder Behörden eindeutig verboten.

»Nehmt eure Lügen, und steckt sie euch ganz tief ... - in die Tasche.« Harsche Worte, die der venezolanische Präsident Hugo Chávez vor einigen Jahren an die Adresse der privaten Medienkonzerne in seinem Land richtete. Das höchst angespannte Verhältnis zur meinungsbildenden Zunft sollte Chávez' offenste Flanke bleiben. Auch Linke hatten mit seinen direkten verbalen Angriffen auf die Presse ihre Schwierigkeiten. Und selbst glühendste Verehrer empfanden sein Medienhandling manchmal als zumindest strategisch ungeschickt. War es doch geradezu eine Steilvorlage für die Diffamierungen des Demokraten als »Diktator« - also der Strategie, linke Politiker von links anzugreifen. Andererseits gibt es wohl kaum eine politisch rechtere Medienlandschaft als die Privatsender Venezuelas, die auch beim Putsch 2002 eine zentrale und skandalöse Rolle gespielt haben.

Was aber tun mit Konzernen, die sich nicht begnügen, mit Porno, Pathos und Pop die Massen anzulocken, sondern diese mit grotesken und radikalen politischen Realitätsverzerrungen bombardieren? Hätte Chávez dieses permanente, oft kriminelle und finanziell unbegrenzt abgesicherte Störfeuer hinnehmen müssen? Hätte er es seinem Land zumuten dürfen?

Die Meinungsfreiheit ist eines der wichtigsten Grundrechte. Doch wird sie in manchen Ländern nicht von denen am lautesten eingefordert, die sie durch Kartellbildung am stärksten bedrohen?

Das Verhältnis der linken Staatschefs Lateinamerikas zu privaten Medien mag von Überreaktion, skandalösen Einzelfällen und auch Paranoia geprägt sein. Zur gerechten Beurteilung dieser Beziehung muss aber zwingend die jahrzehntelange, bis heute andauernde Verbrüderung jener Medienkonzerne mit den rechtsextremen Kräften der jeweiligen Länder mitgedacht werden. Dass auch »Reporter ohne Grenzen« (ROG) solche und andere wichtige Indikatoren für das Ranking der Pressefreiheit nicht berücksichtigt, schwächt die Aussagekraft der jährlichen Aufstellung erheblich. Interessant könnte da auch der Fall Großbritannien werden. Rutscht das Land in der ROG-Liste ab, weil bald Murdoch-Journalisten im Gefängnis sitzen? Oder steigt es auf, weil gerade der Kampf gegen jene Medienmafia die Pressefreiheit befördert?

Für Correa offenbart sich in der aktuellen Berichterstattung »die Macht der internationalen Medien«, wie er twitterte. »Sie haben es geschafft, die Aufmerksamkeit auf Snowden und die ›bösen‹ Länder zu richten, die ihn unterstützen.«

Die aus Correas Sicht einseitige Berichterstattung ist auch Spiegel einer in Jahrzehnten aufgebauten und seit dem 11. September 2001 obszön ausgespielten westlichen Meinungshoheit, die vor allem die USA ungehindert ausüben konnten. Viele Menschen werden die nun aufgedeckten Schnüffelpraktiken geahnt haben, was ein Grund für die verhaltenen Reaktionen der Bevölkerungen sein könnte. Doch die infamen Zustände in eben jenen Zeitungen beschrieben zu sehen, die den USA auch nach Irak, Afghanistan, Folter und erwiesener Lüge die uneingeschränkte Solidarität nicht aufkündigen wollten - das ist eine neue Qualität. Für viele treue Transatlantiker wird es bitter sein, von den mächtigen »Freunden« als feindliches Ziel ausgemacht geworden zu sein. Doch die brutale Offenlegung des Skandals hat auch eine irritierende (und unter Umständen positive und reinigende) Kraft, die nicht unterschätzt werden sollte.

Es ist ein Moment der Auflösung gewohnter politischer Freund-Feind-Kategorien. Propaganda und Wirklichkeit, Angstrausch und Sicherheitsmaßnahme - nichts passt mehr auch nur ansatzweise zusammen. Natürlich werden wir noch lange von den »starken Selbstheilungskräften« der USA lesen, die die NSA-Verwerfungen, ebenso wie die Kriege, positiv verarbeiten. Aber die Affäre könnte eine Dynamik entwickeln, um ganz simplen Wahrheiten zum Durchbruch zu verhelfen. Zum Beispiel, dass der Irak-Krieg die mit Abstand schlimmste Menschenrechtsverletzung der jüngeren Vergangenheit war. Dass ein System, das solche Verbrechen hervorruft, humanistischen Offenbarungseid geleistet und die Rolle des Moralisten verwirkt hat.

Auch die Erkenntnis, von den USA in einem Wirtschaftskrieg als Gegner wahrgenommen zu werden, kann durchaus heilend sein. Die internationale Politik nach »Prism«: eine ideologiefreie Zone, in der man sich mit offiziellen Feinden gegen offizielle Freunde verbündet. In der Rechts und Links keine Bedeutung haben. Wo für kurzfristige Interessen noch die radikalsten Splittergruppen unterstützt werden.

Wer im Übrigen denkt, die Geheimdienste würden sich für Alltagskram nicht interessieren, könnte böse erwachen. Die NSA arbeitet nach dem Hoover-Prinzip: Der FBI-Chef J. Edgar Hoover sammelte mit Vorliebe Privates. Denn wer weiß schon, welch wichtige Position Herr Müller in seinem Leben noch einnehmen wird? Gut möglich, dass das uneheliche Kind, die Spielsucht oder die geheim gehaltene Krankheit einst als Erpressungspotenzial willkommen ist.

Vorerst hagelt es als Abwehrschlacht persönliche Angriffe auf Snowden und den »Guardian«-Journalisten Glenn Greenwald. Das kennt Wikileaks-Gründer Julian Assange bereits. Der neue Dokumentarfilm »We steal Secrets« von Alex Gibney (ab 11.7. im Kino) funktioniert da als weiterer Baustein der Verleumdung Assanges als selbstverliebtem Rockstar. Dabei mag er ja Letzteres sogar sein. Aber ist es nicht auch das unbestreitbare Charisma, das Assange und damit Wikileaks in die Lage versetzt, Menschen zu gefährlichen Operationen zu bewegen oder Geld für Snowdens Flucht-Jet zu organisieren? Die glänzenden Jacketts, die rote Krawatte, die weißen Haare: All das ist im Falle Assanges Teil einer höchst erfolgreichen Strategie.

Snowden, gefangen im Flughafen-Transit. Assange, gestrandet in der Botschaft. Zwei heldenhafte Schiffbrüchige in einem zwischenstaatlichen Niemandsland.

Der nun mit mächtigen Gegnern konfrontierte Edward Snowden sagte in einem Interview, seine größte Angst sei, dass sich durch seine Veröffentlichungen gar nichts ändern würde. Mit vorsichtigem Optimismus kann man ihn da beruhigen.

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