Mit den Augen einer Fliege
Tanz, Musik, Gesang - Gastspiel der Künstlergruppe MAYUMANA aus Tel Aviv an der Komischen Oper
Fähigkeiten bedeutet ihr Name, und über Talente verfügen die Darsteller von MAYUMANA in der Tat. Schon seit 1996 besteht die Gruppe multinationaler Künstler, verfügt über ein eigenes Domizil in Tel Aviv, gastierte mit mehreren Shows weltweit, oft zeitgleich: Rund 100 Tänzer, Sänger, Musiker, Artisten umfasst die »Familie« mit ihrem nach Ungewohntem suchenden Kreativteam.
Dass jeder auch im anderen Genre heimisch ist, das bewies die sympathisch aufgedrehte Mannschaft bei ihrem Erstgastspiel in Deutschland. Mit nur zehn Akteuren bringt sie das Auditorium in der Komischen Oper zu rhythmischem Beben, am Ende zu stehenden Ovationen. Mission erfüllt. Oder doch nicht ganz. Denn für ihr neues Programm »Momentum« hat sich das Leitungsduo aus Eylon Nuphar und Boaz Berman ein großes Thema gestellt: auf witzige Weise dem Phänomen Zeit nachzuspüren, aus der Perspektive einer Fliege, für die extrem langsam ist, was alles wir tun. Das dramaturgisch durchzuhalten, gelingt dem Abend nicht. Er bleibt Nummernprogramm.
Das beginnt auf offener Szene, die von überdimensionalen Uhren flankiert wird, mit einem Warmmacher. Er beamt Texte zum Thema auf die Leinwand, posiert und fotografiert clownesk. Zum dunkel hallenden Spiel eines Didgeridoos betreten die Akteure durch den Saal die Szene, bewegen sich in Zeitlupe, beobachten eine fiktive Fliege, legen sich nieder und formen aus aufgestellten Armen und Kopf ein Insekt. In schlabbriger Alltagskleidung und abgerissenen Jeans, mit Sneakers und Boots an den Füßen, ziehen sie das Tanztempo an, setzen verschiedene Tanzzeiten effektvoll gegeneinander. Dann folgt die Ausruhnummer. Nacheinander klebt sich jeder eine pochende Uhr ans Herz, reagiert mit speziellem Taktgefühl auf ihr Ticken. Trommler kommen, und schon entlädt sich auch über Klatscher israelisches Temperament. Aus einem Om-Gesang mit dem Publikum entwickelt sich auf der Bühne ein Gospel-Chorus, der sich hören lassen kann. In die Abfolge von geschlossenen Acts und Spiel mit den Zuschauern gliedert sich der Abend auch im Weiteren.
Dann die Explosion: Die MAYUMANAs erzeugen auf jenen Cajones genannten Holzkisten, auf denen sie sitzen und die im Online-Shop erworben werden können, mit Händen und Füßen Rhythmen, beeindruckend synchron, tänzerisch humorig, bis im Video eine Uhr in Goldrausch zerfällt. Dem perfekten Beatboxing eines Akteurs, wie er Laute in sein Mikro schnalzt, haucht, zischt, presst, haben die Gäste im Saal trotz emsiger Animation wenig hinzuzufügen.
Später wird aus den aufgezeichneten Geräuschen in Loops eine mehrfach unterlegte Klangcollage. Der erfinderische Einsatz von Tontechnik und Farblicht sind ebenso Markenzeichen der Gruppe wie die Inspiration durch das australische Ensemble STOMP. Gleich ihm kann auch in der israelischen Version aus jedem Gegenstand ein Rhythmusobjekt werden, etwa aus Wasser, wenn es in Bassins zu Planschklang gebracht wird. Der Grund für Zeit sei, dass nicht alles gleichzeitig passiere, wird Einstein auf den Hintergrund projiziert. Kanonisch setzen E-Gitarren ein, gespielt von denen, die eben noch gesungen, getanzt haben. Diese Vielseitigkeit imponiert. Den Zuschauern werden Mitmach-Aktionen geboten: Sie dürfen an hängenden Lautsprechern ziehen, denen verschiedene Töne aufgeschaltet sind, und somit selbst »konzertieren«.
Was man schon bei Landsmann Hofesh Shechter bestaunt hat, den Tanz in einem Gerüst aus drei Etagen von Boxen, macht auch bei den MAYUMANAs Furore, zumal wenn so begeistert und akzentuiert agiert wird. Flackernde Spots betonen die akrobatische Aktion. Ob es die folgende Ode an »Pretty Woman« aus dem Saal braucht, ob man sie dann noch auf der Bühne spazieren führen, auf einem herzförmigen Kissen platzieren muss, derweil ihr israelische Troubadoure südamerikanisch kommen, ist Geschmackssache.
Witzig die Auflösung: Eine Tänzerin verbietet empört ihrem »Freund« den Flirt. Zum Finale dann nochmals Flugakrobatik um und über ein Podium, auf dem Loie Fullers Serpentinentanz aus dem Paris der 1890er zitiert, Rhythmus mit Cajones und Füßen produziert wird, ehe sich die zehn Spaßvögel eng zum Standbild formieren und im Video hinter ihnen endlich die Fliege in die fangende Hand geht. MAYUMANA, die werbend annoncierte Show-Revolution? Ganz sicher nicht. Ein unterhaltsamer Abend ist immerhin auch schon etwas.
Bis 21.7., Komische Oper,
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