Das Galgenfristkalkül

Autor Arno Klönne versetzt sich in die Gedankenwelt regierender PolitikerInnen

  • Arno Klönne
  • Lesedauer: 3 Min.
Der 22. September ist Tag der Entscheidung: Aber über was wird eigentlich entschieden? Spielen die regierungsfähigen PolitikerInnen nur Stühlchen wechsel dich? Oder geht es etwa doch um einen Politikwechsel? Autor Arno Klönne meint: Die politischen Eliten lehnen sich zurück, die Probleme packen sie nicht an.

Das gehört einfach dazu: Vor einer Bundestagswahl muss der Eindruck erweckt werden, es stünde ein »Tag der Entscheidung« an. Aber worüber? Die Demoskopen sind sich sicher: Die große Mehrheit der Wahlberechtigten hat nicht das Gefühl, am 22. September sei über gesellschaftspolitische Alternativen zu entscheiden, von einer »Wechselstimmung« oder dem heißen Drang zur Bestätigung des derzeitigen Politikkurses könne keine Rede sein.

Mit dem Urnengang, so die vorherrschende Meinung im Volke, werde lediglich darüber befunden, welche Partei die Chance bekommt, personell an der künftigen Regierung beteiligt zu sein. Freilich bleibt dabei für FDP, SPD und Grüne offen, wer von ihnen als Koalitionspartner dran ist. Dass die CDU/CSU aus dem Spiel verwiesen wird, ist äußerst unwahrscheinlich, denn für SPD und Grüne gilt die Linkspartei als unwürdig zum Mitregieren.

Dramatisches ist nicht zu erwarten, und bei den wahlkämpfenden Repräsentanten von
CDU/CSU//FDP/SPD/Grünen, dem Kartell der Koalitionsbereiten, ist dann auch von politischer Leidenschaft nichts zu spüren. Diese routiniert lässige Gemütslage steht eklatant im Widerspruch zu dem Problemdruck, der auf der deutschen Parteiendemokratie liegt und der sich weiter verstärken wird. Man darf einer Politikerin wie Angela Merkel, oder einem Politiker wie Peer Steinbrück, um nur diese Spitzenkräfte zu nennen, gewiss nicht unterstellen, sie seien schlichtweg realitätsblind.

Bespielsweise: Dem regierenden oder zum Mitregieren drängenden politischen Führungspersonal wird durchaus bewusst sein, dass die Eurokrise keineswegs gelöst ist, dass mittelfristig auch die Bundesrepublik heftige finanzielle und wirtschaftlich-soziale Schäden zu erwarten hat. Die »Erfolgs«-Story Deutschland hat ein Verfallsdatum, und die sozialen Sicherungssysteme sind darauf nicht eingestellt, ihre weitere Privatisierung bringt keine Rettung.

Den PolitikerInnen dürfte auch nicht entgangen sein: Der auf nationale Souveränität sich berufende Parlamentarismus verliert seine Funktionen: Operationen in den globalen Finanz-»Märkten« oder auch internationale Aktivitäten der IT-Herrscher überspielen ihn. Und das regierende oder regierungsfähige Personal weiß auch: Der derzeit waltende Parteien- und Parlamentsbetrieb verliert immer mehr seinen Kredit bei den Bürgerinnen und Bürgern, der Appell zur Teilnahme an Wahlen stößt zunehmend auf Gähnen.

Wieso dann keine Erregung bei den Politikpofis? Ich vermute: Sie kalkulieren, so ganz jung sind sie ja zumeist nicht, mit einer Galgenfrist. Sie rechnen damit, dass ihnen, bis das alles zum öffentlichen Großärgernis wird, noch einige Jahre bleiben, um ihrem gut situierten Job nachzugehen. Dann können sie, persönlich abgesichert, in Frührente gehen - oder in die private Wirtschaft. Von üblen Spätfolgen ihrer Politik werden sie sich freisprechen, das nachrückende Personal dafür verantwortlich machen.

Exemplarisch: Angela Merkel kann auf die Legende rechnen, sie sei eine tüchtige Kanzlerin gewesen. Sie muss nur den richtigen Zeitpunkt wählen, um sich aus der Politik zurückzuziehen. Gesellschaftsgeschichtlich wird die »Hinrichtung« stattfinden, sie betrifft dann jedoch nicht die jetzt tätige politische Elite, ihr bleibt der »Galgen« erspart.

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