Einen Arzt, bitte
Die Vermittlung von ausländischen Medizinern nach Deutschland boomt
Bremerhaven. Den Ärztemangel in Deutschland kennt der Gynäkologe Hubert Georg Neuwirth nicht nur vom Hörensagen. Als Geschäftsführer der Bremerhavener Praxiswelten für Gesundheit, eines Zusammenschlusses von Medizinzentren in der Region, ist er immer auf der Suche nach Ärzten. Er möchte expandieren - und findet keine Mediziner. Allein in Bremerhaven hört nach seinen Angaben in den nächsten fünf bis zehn Jahren die Hälfte der Frauenärzte aus Altersgründen auf. »Wir bekommen ständig neue Praxen angeboten, weil kein Nachfolger gefunden wurde«, sagt Neuwirth.
Nach Angaben der Bundesärztekammer fehlt es in vielen Regionen an niedergelassenen Haus- und Fachärzten, aber auch in den Krankenhäusern sind bundesweit mehr als 6000 Arztstellen unbesetzt. Weil die Not so groß ist, hat Neuwirth sich auf ein Experiment eingelassen: Er bildet zwei Jahre lang Myroslava Lukasevych in seiner Frauenarztpraxis weiter. Lukasevych war zehn Jahre Chefärztin in einer Klinik in der Ukraine.
Lukasevych und Neuwirth zusammengebracht hat Helmut Verbeek aus Hagen im Kreis Cuxhaven. Er betreibt eine Zeitarbeitsfirma für den Lebensmittelbereich. Ein Personalchef eines Krankenhauses brachte ihn auf die Idee, auch ausländische Ärzte zu vermitteln. Seit Mitte 2012 hat er fünf Ärzte nach Deutschland geholt. Er hat unter anderem Kontakte nach Afghanistan, Iran und Irak, nach Libyen und Syrien, sagt er.
Seit Juni ist Lukasevych in Bremerhaven. »Das deutsche medizinische System ist das beste der Welt«, ist die Ukrainerin überzeugt. Daran wollte sie teilhaben. »Frau Lukasevych hat ein enormes Fachwissen«, sagt Neuwirth. Aber erst mit der Facharztanerkennung darf sie praktizieren. »In erster Linie bedarf es des weiteren Ausbaus ihres technischen Know-hows«, sagt Neuwirth. Ultraschallgeräte etwa kann sie nicht bedienen. »Dafür gab es extra Ärzte an ihrer Klinik«, sagt der Gynäkologe.
Lukasevych ist nicht allein: Die Zahl der in Deutschland berufstätigen ausländischen Ärzte ist 2012 nach Angaben der Bundesärztekammer um 15,1 Prozent auf 28 310 gestiegen. 2002 waren es noch 13 180. Die meisten arbeiten in Krankenhäusern. »Wir profitieren von der Erfahrung der ausländischen Ärzte«, sagte Ärztekammersprecher Samir Rabbata. Entscheidend sei aber, dass sie die Sprache beherrschten. »Es gibt inzwischen Krankenhäuser, in denen kaum noch ein Arzt richtig deutsch spricht«, sagt Rabbata. Ein einheitlicher Sprachtest soll bald in ganz Deutschland gelten.
Die meisten Ärzte kommen aus Rumänien. Doch Potenzial sieht Verbeek woanders: In Iran gebe es eine ähnliche Hausarztausbildung wie in Deutschland, sagt er. »Iranische Ärzte wären prädestiniert dafür, verwaiste Landarztpraxen zu übernehmen«, findet Verbeek. Doch von seiner Idee ist nicht jeder begeistert. »Ein Arzt sagte mir, er habe Bedenken, dass ein iranischer Arzt bei ihm auf dem Land mit offenen Armen empfangen würde«, sagt Verbeek.
Vorbehalte gegenüber der Ukrainerin Lukasevych habe es in seiner Praxis nicht gegeben, betont Neuwirth. Für die 46-Jährige allerdings war der Anfang ein Schock, wie sie einräumt. Sie kam schnell an ihre sprachlichen Grenzen und viel Unbekanntes überforderte sie: die Technik, das System, die neue Stadt - und ihr Mann und ihr erwachsener Sohn waren weit weg. »Alles zusammen war das eine große Belastung.« Doch inzwischen ist sie positiv gestimmt. »In einem guten Team ist alles möglich«, sagt sie. Und ihr Mann soll nach Bremerhaven nachkommen, wenn sie ihre Facharztausbildung beendet hat.
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