Knapp und kompakt

Eine deutsche Verfassungsgeschichte

  • Andreas Form
  • Lesedauer: 2 Min.

Am Übergang vom deutschen zum europäischen Verfassungsstaat stehend, lohnt ein Blick zurück in die Geschichte. Dietmar Willoweit ist ein großer Wurf auf kleinem Raum gelungen. In einem schmalen Band, erschienen innerhalb der vortrefflichen Reihe »Wissen« des C.H.Beck Verlages, reduziert er einen unendlich erscheinenden Stoff auf das Wesentliche und Fortdauernde. Dabei behandelt er nicht nur die erst seit dem 18. Jahrhundert geschriebenen Verfassungen im heutigen Sinne, denn er versteht »unter Verfassung die Summe derjenigen rechtlichen Regeln und Strukturen, die das Gemeinwesen und damit die politische Ordnung prägen«. So offeriert er also gleichsam einen Abriss deutscher Geschichte über fast 2000 Jahre.

Der chronologisch gegliederte, dramaturgisch spannend verfasste Band geht u. a. auf die Goldene Bulle von 1356 ein, die das Königswahlrecht, die Rechtsstellung der Kurfürsten und das Nebeneinander weltlicher und kirchlicher Landesherrschaft regelte. Nicht nur für Juristen ist das Kapitel »Verwandlung des Denkens durch Jurisprudenz« lesenswert. Willoweit berichtet über die Wiederentdeckung des alten römischen Rechts, als Corpus Iuris Civilis in die europäische Rechtsgeschichte eingegangen. Er beschreibt die im späten Mittelalter entwickelten Stadtverfassungen, die Auswirkungen der Reformation und den Ausgang des Dreißigjährigen Krieges mit den Friedensschlüssen von 1648, Kontinuitäten wie Brüche zwischen Altem Reich und Neuzeit. Nach dem von Napoleon herbeigeführten Ende des monarchischen Verfassungsstaates kam es zur Liberalisierung und Demokratisierung auch in deutschen Ländern. Dort erfolgte allerdings erst 1918 der völlige Zusammenbruch der Monarchien. Sachlich und kenntnisreich verfolgt der Autor sodann die Entwicklung in Deutschland von der Demokratie zur Diktatur und zurück, den endgültigen Untergang des Deutschen Reiches 1945, die Nachkriegsentwicklung in zwei deutschen Staaten, die »Wiedervereinigung« und die gegenwärtige Verfassung.

Willoweit lehrte bis zu seiner Emeritierung Rechtswissenschaft an der Universität Würzburg und war ab 2006 vier Jahre lang Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Sein Bändchen kann historisch interessierten jungen Menschen das Bewusstsein von Kontinuität und Fortschritt vermitteln und dürfte auch für Politiker hilfreich sein, wenn sie über die verfassungsmäßige Gestaltung der Zukunft zu entscheiden haben.

Dietmar Willoweit: Reich und Staat. Eine kleine deutsche Verfassungsgeschichte. C.H. Beck, München 2013. 129 S., br, 8,95 €.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -