Ungepflegtes Hamburg
Ausbildung von jungen Tunesiern droht an Modalitäten für ein Darlehen zu scheitern
23 junge Tunesier stehen in Hamburg ohne Einkommen und mit ungesichertem Aufenthaltsstatus da. Dabei blickten sie noch vor kurzem in eine hoffnungsvolle berufliche Zukunft in Deutschland. Sie sind Teilnehmer des dreijährigen Vorzeigeprojekts Transformationspartnerschaft im Gesundheitswesen (TAPiG) und sollten in den Asklepios Kliniken in Hamburg zu Pflegekräften ausgebildet werden. Doch jetzt hat Asklepios den Teilnehmern der zweiten Runde gekündigt. Der Grund: Die Teilnehmer wollten keine Darlehensvereinbarung über eine Summe von rund 19 000 Euro unterschreiben.
Geschlossen wurde die Partnerschaft zwischen dem Auswärtigem Amt und Tunesien. Das Amt hatte dafür Fördermittel an die Asklepios Medical School gGmbH projektgebunden für TAPiG bewilligt. Rund 10 000 Euro pro Azubi sollen gezahlt worden sei, insgesamt eine knappe Million Euro, wie aus der Antwort des Hamburger Senats auf eine Kleine Anfrage der Grünen hervorgeht. Junge Tunesier sollten eine qualifizierte Ausbildung und eine berufliche Perspektive erhalten. Zugleich wollte man dem hiesigen Fachkräftemangel im Pflegebereich entgegenwirken. Einem Sprachkurs beim Goethe Institut schließt sich vertragsgemäß eine dreijährige Ausbildung bei Asklepios an.
Als die Teilnehmer des zweiten Kurses nach Abschluss der Sprachprüfungen einen Antrag auf Gewährung eines Ausbildungsförderdarlehens in Höhe von 19 000 Euro unterschreiben sollten, weigerten sie sich. »In Tunesien haben uns der Projektleiter Jan Stephan Hillebrand und seine Mitarbeiter gesagt, wir müssten 19 000 Euro bezahlen für drei Jahre Ausbildung und für die sechsmonatige Willkommensphase«, berichtet ein Teilnehmer, der davon ausging, dass er das Geld erst nach Beendigung dieser Zeit aufbringen muss. Jetzt hieß es aber, das sei die Summe für die Willkommensphase, und er müsse sofort mit Zinszahlungen anfangen.
Da ihr Visum aufenthaltsrechtlich an die Ausbildung bei Asklepios gebunden ist, haben die jungen Leute diesen Status mit Beendigung des Projekts verloren und sind jetzt bloß geduldet. Um einkaufen gehen zu können, sind sie jetzt auf private Spenden angewiesen. Ein Dach über dem Kopf haben sie immerhin, denn sie wohnen noch in einer Unterkunft in der Nähe des Hauptbahnhofs, die nur während des Sprachkurses zur Verfügung steht. »Die jungen Tunesier und Tunesierinnen stehen vor einem Scherbenhaufen ihrer Berufs- und Lebensplanung«, sagt die Bürgerschaftsabgeordnete der Linkspartei, Kersten Artus.
Waren die Teilnehmer des ersten Kurses noch Abiturienten ohne Berufsausbildung, so haben die Teilnehmer des zweiten mehrheitlich bereits Berufsausbildungen im Gesundheitsbereich, darunter Krankenpflegefachkräfte mit Bachelor-Abschluss und Physiotherapeuten. Insgesamt drei Drucksachen, darunter zwei Kleine Anfragen von Kersten Artus für die LINKE, hat der Hamburger Senat inzwischen beantwortet. Anscheinend ist auch die Wohnungsvermittlung für die Teilnehmer des ersten Kurses über den Projektleiter gelaufen. Artus kritisiert, dass der Senat, obwohl er zunächst angab, die Details über TAPiG zu kennen, über die praktische Umsetzung nur lückenhaft informiert ist. Auch wusste der Senat nicht, »dass der Projektleiter die Gruppe mit Mietverträgen für Wohnungen in eine doppelte Abhängigkeit brachte und die 20- bis 24-Jährigen unzumutbaren Umständen ausgesetzt waren«, so Artus. »Sie besaßen nach ihren Aussagen zum Beispiel keine alleinige Schlüsselgewalt über ihre Wohnungen, in einigen Wohnungen gab es keinen Strom«.
Was mit den 23 jungen Tunesiern geschieht, ist offen. Sie wollen ihre Ausbildung gern fortsetzen. Ebenso offen ist, ob die Fördermittel an das Auswärtige Amt zurückgezahlt werden müssen. »Wir prüfen im Moment, ob wir anteilig unseren Zuschuss zurückfordern«, erklärte ein Sprecher auf Anfrage von »nd«.
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