Die unwahrscheinliche Apokalypse
Mit dem Erreichen der Schuldenobergrenze wird die Finanzwelt nicht untergehen, auch wenn Großbanken um ihre Provisionen bangen
»Dies ist nicht das Ende der Welt.« Der frischgebackene Nobelpreisempfänger Robert Shiller, Ökonomieprofessor an der Yale University, sieht dem »Tag X« gelassen entgegen. Er rechne nicht damit, dass es zu einem Zahlungsausfall des US-Zentralstaates komme, oder mit einem, der maximal einige wenige Tage dauere. Und selbst wenn es anders komme, wären die Folgen aus seiner Sicht nicht dramatisch.
Diese Einschätzung steht in krassem Gegensatz zu manchen Stimmen aus der Finanzwelt, wo derzeit wieder Armageddonpropheten gefragt sind. Vom Staatsbankrott der USA über den globalen Finanzkollaps bis hin zur Weltwirtschaftskrise haben diese alles im Angebot. Doch diesmal sind es nicht nur dubiose Goldspekulanten oder auf fallende Börsenkurse wettende Hedgefonds-Manager, die derartige Prognosen abgeben, sondern auch Großbanker. So antwortete Jamie Dimon, Vorstandschef der US-Investmentbank J.P. Morgan, kürzlich auf Fragen nach den möglichen Konsequenzen eines Zahlungsausfalls der USA: »Das wollen Sie gar nicht wissen.« Und Deutsche-Bank-Co-Chef Anshu Jain gab seine eigene Apokalypse-Version am vergangenen Wochenende bei der IWF-Jahrestagung zum Besten: »Das wäre eine sich schnell ausbreitende tödliche Krankheit.«
Wer hat nun Recht? Wenn die US-Wirtschaft wegen staatlicher Zahlungsprobleme etwas langsamer wächst, hätte dies im Ausland kaum Folgen. Die eigentlichen Risiken ergeben sich aus der exponierten Stellung von US-Staatsanleihen im globalen Finanzsystem: Zum einen legen Großinvestoren von Versicherungskonzernen über Pensionskassen bis hin zu Staatsfonds aus Schwellenländern einen bedeutenden Teil ihrer riesigen Finanzmittel in den »Treasury Bills« an - zwar ist deren Rendite extrem niedrig, dafür aber die Sicherheit umso höher und sie zirkulieren in gewaltigem Umfang. Zum anderen werden US-Staatsanleihen weltweit als Sicherheiten bei Kreditgeschäften in der Finanzbranche akzeptiert. Gerade Großbanken fürchten hier um ein lukratives Geschäft: Der Handel mit diesen Wertpapieren beschert ihnen üppige Provisionen, um die sie jetzt bangen. Kein Wunder also, dass sie sich besorgt äußern.
Das Finanzsystem insgesamt würde aber nur dann richtige Probleme bekommen, wenn es zu einem technischen Zahlungsausfall (»default«) bei den US-Staatsanleihen kommt. Das muss selbst bei einer länger anhaltenden politischen Blockade in Washington nicht der Fall sein: Die Nicht-Anhebung der Schuldenobergrenze bedeutet zwar, dass der Staat keine neuen Kredite aufnehmen kann. Er könnte aber die Zinsen weiter bedienen. Und statt fällig werdende Anleihen zu tilgen, könnte er diese gegen neue eintauschen. Zudem können sich die USA im Unterschied zu echten Pleitiers am eigenen Schopf aus dem Schlamassel ziehen: durch politischen Beschluss zur Anhebung oder gar Abschaffung der Schuldenobergrenze.
Vermutlich deshalb halten sich die großen Ratingagenturen, die bei der Finanzkrise 2008 wie auch im Zuge der Euro-Krise durch Bonitätsherabstufungen die Probleme massiv verschärften und deshalb von der Politik scharf kritisiert wurden, bislang zurück. Lediglich Fitch kündigte am Dienstag an, die Topbewertung »AAA« der USA wegen des Haushaltsstreits unter Beobachtung zu stellen. Die Ratingagentur Standard & Poor’s hatte den USA bereits im Sommer 2011, als es ebenfalls einen Streit über die Anhebung der Schuldenobergrenze gab, die Bestnote entzogen. Dies hatte keine Folgen: weder an den Finanzmärkten noch bei den Zinsen der USA.
Die offene Frage ist, wie die Börsen diesmal reagieren. Sollte es zu einer Panik dort kommen und sollten wegen der gestiegenen Unsicherheit generell die Zinsen steigen, käme es längerfristig auch zu einem Einbruch in der Weltwirtschaft. Damit es aber wie 2008 nach Lehman-Pleite nicht wieder zu einer allgemeinen Liquiditätsklemme kommt, bereiten die Zentralbanken in aller Welt Notfallpläne vor, um die Finanzmärkte am Laufen zu halten.
Die Katastrophenszenarien sind also ziemlich unrealistisch. Statt sich darüber den Kopf zerbrechen, wäre es daher besser, über Lösungen der Finanz- und Haushaltsmisere nachzudenken. Hier kommt nun wieder Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Shiller ins Spiel: »Das wichtigste Problem heute ist die steigende Ungleichheit in den USA und anderswo in der Welt, die sich noch zu verschärfen droht«, meint er. Man sollte sich daher jetzt darüber Gedanken machen, die Steuern der Reichen zu erhöhen.
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