VW bleibt besonders
Europäischer Gerichtshof weist Klage gegen Sperrminorität Niedersachsens zurück
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat eine erneute Klage der EU-Kommission gegen das deutsche VW-Gesetz zurückgewiesen. Die Sperrminorität des Landes Niedersachsen bei dem Automobilkonzern bleibt daher unangetastet.
Der Rechtsstreit reicht bis ins Jahr 2005 zurück. Damals startete die Wettbewerbsbehörde der EU-Kommission eine Vertragsverletzungsklage gegen Deutschland. Drei Vorschriften des VW-Gesetzes aus dem Jahr 1960 seien nicht mit dem freien Kapitalverkehr vereinbar, so die Einschätzung Brüssels. Dabei ging es um das Recht der Landesregierung in Hannover zur Entsendung von zwei Mitgliedern in den Aufsichtsrat, um die Beschränkung der Stimmrechte eines einzelnen Aktionärs auf maximal 20 Prozent und eine auf 20 Prozent des Grundkapitals herabgesetzte Sperrminorität (ansonsten beträgt diese bei Aktiengesellschaften in Deutschland 25 Prozent). Sinn und Zweck des Gesetzes ist es, eine feindliche Übernahme des Autoherstellers unmöglich zu machen.
Volkswagen war schon immer etwas anders: Gegründet 1937 von der NS-Organisation »Kraft durch Freude« mit Hilfe enteigneter Gewerkschaftsgelder, war VW nach dem Krieg zunächst Staatskonzern. 1960 kam die Privatisierung. Per Gesetz sicherten sich der Bund, der später ausstieg, und Niedersachsen je 20 Prozent der Stimmrechte plus Sperrminorität. Außerdem war VW immer eng verbandelt mit der Familie Porsche-Piëch. Die Mitbestimmungsrechte sind ausgedehnt. So kann der Betriebsrat Werksschließungen ablehnen. nd
Im Jahr 2007 entschied der EuGH, dass die drei Punkte in Verbindung miteinander einen Verstoß gegen EU-Recht darstellten. Daraufhin hob Deutschland im VW-Gesetz die beiden erstgenannten Vorschriften auf, behielt jene über die herabgesetzte Sperrminorität aber bei. Niedersachsen hielt (und hält bis heute) 20 Prozent der Aktien und hat damit ein Vetorecht bei wichtigen Entscheidungen wie Kapitalerhöhungen oder Satzungsänderungen. Die Kommission klagte daraufhin erneut beim EuGH, da ihrer Meinung nach gemäß dem Richterspruch von 2007 jede dieser drei Vorschriften hätte aufgehoben werden müssen, und beantragte ein Zwangsgeld in Höhe von 282 725,10 Euro für jeden Tag des Verzugs bei der Durchführung des Urteils plus einen Pauschalbetrag von täglich 31 114,72 Euro.
Dies wies der EuGH jetzt zurück. Aus dem Urteil von 2007 gehe hervor, dass »der Gerichtshof keine selbstständige Vertragsverletzung durch die Vorschrift über die herabgesetzte Sperrminorität festgestellt hat, sondern nur in Verbindung mit der derjenigen über das Höchststimmrecht«, erklärten die Luxemburger Richter am Dienstag. Folglich sei Deutschland durch die Gesetzesänderung »seinen Verpflichtungen fristgemäß nachgekommen«.
Die EU-Kommission gibt sich jetzt geschlagen: »Das heutige Urteil hat die Sache zu einem Ende gebracht«, sagte die Sprecherin von EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier in Brüssel. Dagegen war die Erleichterung in Niedersachsen nach der Urteilsverkündung groß. »Das Land freut sich sehr«, sagte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), der zusammen mit Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) dem VW-Aufsichtsrat angehört. Die Entscheidung sei für Niedersachsen von fundamentaler Bedeutung, erklärte Weil in der Wolfsburger Zentrale des Autobauers. »Wir sehen uns als Teile einer außergewöhnlichen Unternehmensgeschichte.« Betriebsratschef Bernd Osterloh erklärte: »Dies ist nicht nur ein guter Tag für Niedersachsen, sondern auch für die VW-Belegschaften.« Osterloh und Weil sind sich einig, dass die Entscheidung auch die Unternehmenskultur bei VW mit der besonderen Sozialpartnerschaft und Mitbestimmung stärke.
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