Melancholiebe und Melanchozorn

Barbara Thalheim blickt auf ihrer neuen Platte zurück - und bleibt doch ganz gegenwärtig

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit Endspielen, nachträglich vorläufigen Endspielen, hat Barbara Thalheim ihre Erfahrungen gemacht. Bereits 1995, das ist bald zwanzig Jahre her, bestritt die Sängerin nach überstandener Erkrankung eine Abschiedstournee. Es kam anders, dem ersten folgte ein zweites Leben. Thalheim verdankte es dem französischen Komponisten und Akkordeon-Virtuosen Jean Pacalet, der ihr musikalischer Lebenspartner wurde, eine Liebe, die man hören konnte in den gemeinsamen Arbeiten. (Arbeiten - das Wort klingt nach Plage, Mühe und Schweiß; hier aber flattert es auf in scheinbar schwerelose Lustlüfte).

2011 starb Pacalet. Wieder das Unvermögen, sich aus der Bleischwere aufzurappeln, zumal ins Scheinwerferlicht. Ein vorläufiges Unvermögen abermals, das zu überwinden es Kraft und, wichtiger, sehr guter Freunde bedurft haben muss. Barbara Thalheims neue Platte ist eine Live-CD, aufgenommen im Februar 2013 bei zwei Konzerten in Berlin. Wenige neue, viele bekannte Lieder darauf, aber allesamt ungehört auf diese Art. Das Neue liegt einerseits in Thalheims Stimme, die sich gleichzeitig reifer und unbeschwerter anhört - als hätte das Sandpapier der Lebensjahre die Stimm- und Seelenbänder genau an den passenden Stellen für Melancholiebe oder Melanchozorn geschliffen. Jung klingen kann sie noch immer, älter jetzt besser als je zuvor.

Vor allem aber geht der neue Thalheim-Klang auf die Musiker ihrer international besetzten Band zurück, die, wie die Chansonnière in ein paar Zwischensätzen kokett bemerkt, vom Alter her ihre Söhne sein könnten. Gitarrist und Bandleader Rüdiger Krause kommt vom Jazz; er beherrscht sein Handwerk so gut, dass sein Saitenspiel trotz aller Vielfalt zuweilen allzu glatt und gefällig klingt. Der meist gezupfte Kontrabass von Bartek Mlejnek weiß rhythmisch hüpfend dagegenzuklopfen, als wolle er einwenden, dass es in vielen der Lieder doch gerade ums Stolpern, ums Aufstehen und wieder ums Stolpern geht. Was, dezent im Hintergrund, der Percussionist Topa Gioia mit seinem Schlagwerk einbringt, könnte eine Kunst für sich sein, wäre es nicht so vortrefflich eingefühlt ins Ganze.

Jean Pacalet ist gegangen, und doch ist er anwesend in diesem »Zwischenspiel«, das ja im Grunde nichts anderes ist als ein Durchatmen, sich Umsehen in alle Richtungen, nach hinten, nach unten und oben, nach vorn - ein retardierendes Moment vor dem Weiterspiel und fern dem Nachspiel. Pacalet ist gegenwärtig in Liedversen wie diesen: »Ach, die Liebe die ich meine/ ist von Steinen unbeschwert./ Sie läuft an keiner Leine,/ fängt sich nicht selber ein./ Auch wenn sie noch so brennt,/ bleibt sie doch unversehrt./ Die Liebe, die ich meine/ überlebt den Totenschein.« Auf der Booklet-Seite zum Song (gestaltet von Odette Lacasa) schaut er überlebensgroß - sanfte Augen, löchriger Strohhut - als lebendiges Wandbild zwischen Fenstern durch ein Fenster. Wohin? Auf ein winziges Paar.

Die Texte von Fritz-Jochen Kopka, Michael Wüstefeld, Leo Kettler und Barbara Thalheim erzählen kleine Geschichten und große Geschichte. Weil es fast immer um Liebe geht, drehen Gefühle und Gedanken sich oft um ein Ich, das Halt sucht und Halt geben will. Thalheim, die trotz anhaltender Liebeslust ihre »Mutation von einer ›Sie‹ zu einem ›Es‹« reklamiert und deren im Dezember beginnendes Bühnenprogramm schlicht »Alt« heißt, lässt gelebtes Leben nicht lediglich Revue passieren, sie spiegelt es in den Pfützen, die einmal geträumte Meere waren. Und das erstaunliche ist: Wenn sie hineinguckt, kann sie sich immer noch erkennen.

Dass nicht einfach loszuwerden ist, was einmal zu dir gehörte - von diesem Bekenntnis ist auch »Kinderland« geprägt, ein Lied über die gehassliebte, irgendwann so verflucht verflachte DDR, die doch mehr war, als offiziell von ihr übrig geblieben ist: »Bist abgebrannt/ und bleibst mir doch auf ewig eingebrannt,/ mein flaches, flaches Kinderland«.

Barbara Thalheim & Band: Zwischenspiel (CD, Conträr Musik)

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