Der lachende Papst
Die Charme-Offensive des Franziskus und der Strategiewechsel der Kirche. Von Hubertus Mynarek
In Klerikerkreisen beliebt ist folgende Anekdote: Ein Mönch kommt zum Papst und sagt ihm, wie sehr er ihn bewundere, weil auf seinen Schultern die Last der Weltregierung ruhe. Ach, antwortet der Papst, da machst du dir ganz falsche Vorstellungen und zu viel Sorgen. Die Machtausübung über die Welt ist gar nicht so kompliziert, denn »mundus decipi vult« - die Welt will betrogen werden.
Es klingt angesichts der Lobeshymnen auf den neuen Papst fast schon wie Blasphemie, wenn ich behaupte, dass es sich auch dieser Pontifex leicht macht, indem er einfach nur lächelt. In dieser Hinsicht hat es der Papst wirklich leichter als gewöhnliche Menschen. Wenn diese immerzu lächeln, werden sie irgendwann für Narren gehalten. Das Lächeln des Papstes indes wirkt magisch, bewegt die Massen zu Begeisterungsstürmen, Nonnen zu Ekstasen und suggeriert den Glauben, die Menschheit habe einen neuen Erlöser bekommen.
Das päpstliche Lächeln gilt als Tat, als reformerische Aktion. In einer Talkshow wurde eine katholische Journalistin gefragt, welche Reformen denn nun von Franziskus eingeleitet worden seien. Die verblüffende Antwort: Er lächelt nicht nur, er lacht aus ganzem Herzen. Und das sei doch eine echte Reform gegenüber dem griesgrämigen, gezwungenen Lächeln seines Vorgängers.
Kein Zweifel, Franziskus ist aktiv, äußerst aktiv. Er tätschelt Kinder, segnet Gläubige, wäscht Häftlingen die Füße. Alles wirkt spontan, ursprünglich, geboren aus reiner Freundlichkeit und Liebe. Doch der Schein trügt: Lächeln, Gestik, Küsse, Umarmungen, Streicheleinheiten des neuen Oberhauptes sind Teil eines gut durchdachten Strategiewechsels in der Una Sancta, der immer wieder in der Geschichte routiniert und raffiniert praktiziert wurde, nicht zuletzt, ja besonders im 20. und 21. Jahrhundert: Nach einem kühl bis kalt erscheinenden Papst, der auch die Gesamtkirche erstarren lässt, kommt ein warmherzig und liebenswürdig wirkender Heiliger Vater. Nach dem unnahbaren, aristokratisch-majestätischen Pius XII. wählten die Kardinäle den gütig-gemütlichen Pykniker Johannes XXIII., der die Menschen seinerzeit ebenso faszinierte wie jetzt Franziskus. Nach dem rigorosen, mit Skrupeln kämpfenden, ängstlich-schüchternen Paul VI., der noch den letzten Rest Popularität durch seine Anti-Pillen-Enzyklika verlor, kam (mit einer kurzen Unterbrechung durch den unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommenen Johannes Paul I.) der Wojtyla-Papst Johannes Paul II. Das Charisma seiner slawischen Seele löste Begeisterungsstürme aus, selbst bei Nichtkatholiken und sogar manchen Atheisten. Seiner Charme-Offensive schadete nicht, dass er ein eiskalter Fundamentalist war und in Sachen Zölibat und Frauenordination hartherziger agierte als seine Vorgänger. Und nun erleben wir gerade, wie nach dem steifen Ratzinger-Papst, der unablässig alle Relativismen dieser Welt mit seinem freudlosen Pessimismus geißelte, der neue Sonnenschein vom Stuhl Petri leuchtet: der Italo-Argentinier und Jesuit Jorge Bergoglio, Papst Franziskus.
Der neue Papst hat natürlich seine jesuitischen Lektionen verinnerlicht. Dem ehrwürdigen Orden der Franziskaner, viel älter als der der Jesuiten, aber oft mit diesen in Rivalitäten verstrickt, verpasste er eine schallende Ohrfeige, indem er sich den Namen von dessen Gründer zulegte.
Außenstehende können kaum ermessen, welch ein Schlag das für die armen Brüder des hl. Franz von Assisi ist. Da haben sie jahrhundertelang an ihrer Kultfigur gearbeitet, haben Franz zu einem der größten Heiligen hochpropagiert, haben erreicht, dass er zum Patron moderner Ökologiebewegungen wurde. Und da kommt ausgerechnet ein Mitglied des Jesuitenordens, der seine Aufgabe fast nur in der Bekehrung der Intelligenz, in der Mission für die höheren Schichten sah und dem Bettelorden der Franziskaner die Arbeit für die Schwachen und Kranken überließ, und macht sich zum Anwalt der Armen, Flüchtlinge, Obdachlosen, indem er den Franziskanern den Namen ihres Ordensgründers stiehlt.
Das ist ein Meisterstück erprobter Taktik der Jesuiten, die über Jahrhunderte der einflussreichste Orden der Kirche waren, Päpste und Kaiser berieten, deren Beichtväter stellten. Von Kirchenhistorikern wurde der »Gesellschaft Jesu« das Lob zuteil, am meisten dazu beigetragen zu haben, dass die Reformation territorial und mental zurückgedrängt wurde.
Bisher hat es Franziskus geschafft, es allen recht zu machen, selbst den Ultraorthodoxen. So plant er, zu Beginn nächsten Jahres Johannes XXIII. und Johannes Paul II. gemeinsam heiligzusprechen. Den Erzkonservativen serviert er den Wojtyla-Papst als heilige Kunst- und Kultfigur, den sogenannten Progressiven den liberaleren Johannes, obwohl auch der die Institution Kirche nicht verändert hat, keine dogmatischen Abweichungen von deren »Ewigkeitslehre« beabsichtigte, sondern lediglich mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil das »Aggiornamento« im Auge hatte, die sogenannte Verheutigung der hoffnungslos veralteten Lehre.
Aber ist andererseits seine Liebenswürdigkeitsoffensive nicht die einzige Alternative Bergoglios zu Ratzinger? Theoretisch-theologisch kann er es mit dem angeblich »brillantesten Theologen« nicht aufnehmen. Der hat promoviert, habilitiert, wurde als Professor von einer Universität zur anderen transferiert und hat eine Unmenge Bücher geschrieben. Bergoglio hat nicht einmal seine Dissertation beendet. So blieb dem Neuen nur der Weg praktischen Erfolges, der direkte Weg zu den Massen, gegenüber denen Theoretiker Ratzinger stets Aversionen hegte. Einer der besten Kenner des Vatikans, der italienische Journalist Marco Politi, drückte es so aus: »Ratzinger ist Theologe, Franziskus Politiker.«
Und als »Politiker« erledigt Franziskus seinen Auftrag perfekt. Die Medien auf dem ganzen Globus feierten ihn, als er zu geretteten Bootsflüchtlingen auf Lampedusa eilte. Ein Akt tätiger und prompter Nächstenliebe? Warum öffnet er dann nicht die zahllosen kirchlichen Räume für die Flüchtlinge, die Paläste, die geräumigen Altbauwohnungen der kurialen Beamten, die ohnehin nur wenig frequentierten Kirchen, die vielen Vortragssäle, über die die Kirche in Italien verfügt? Allein in Rom besitzt der Vatikan zwischen 60 und 70 Prozent der Grundstücke dieser Stadt. Warum spricht Franziskus kein Machtwort zu den reichen Kirchen des Nordens mit Deutschland an der Spitze, deren bequem und luxuriös lebende Bischöfe der Papst aufgrund seines universalen Jurisdiktionsprimats anweisen könnte, den Flüchtlingen, den Obdachlosen, den Ärmsten der Armen kircheneigenen Wohnraum zur Verfügung zu stellen.
Das wäre eine echte Offensive der Liebe, der Hinwendung zu den Armen! Alles andere ist nur Fassade, Glitzerwerk, substanzloser Rauch. Den Politikern in aller Welt, den Wirtschaftsbossen, den Institutionen der UNO und der EU redet der »Stellvertreter Christi« machtvoll ins Gewissen, die Kirche selbst hält er heraus!
Man könnte direkt Mitleid mit dem Limburger Bischof Tebartz-van Elst haben, der wegen der 31 Millionen Baukosten für sein Bischofspalais in die Bredouille geraten ist und auf den sich jetzt große Teile des Kirchenvolks und auch hohe Kirchenvertreter mit aggressiver Lust stürzen, obwohl Letztere damit eigentlich nur von der Tatsache ablenken, dass die meisten Bischöfe in Deutschland noch viel teurere Residenzen bewohnen und obendrein mit noch viel größeren Geldsummen hantieren, die ihnen vom Staat bereitwillig zur Verfügung gestellt werden.
Wenn es dem Papst mit seiner so groß proklamierten Armutsoffensive wirklich ernst ist, dann müsste er auch die deutschen Bischöfe zur Kasse bitten, denn »der eigentliche Skandal ist doch, dass die Kirche trotz ihres Vermögens nicht darauf verzichtet, ihre Bischöfe von der öffentlichen Hand bezahlen zu lassen. Zumal auch die ganz normalen Geistlichen Zuschüsse zu ihren Gehältern und Pensionen kriegen«, wie der Politologe Carsten Frerk in seinem »Violettbuch Kirchenfinanzen« schreibt. So erhält Kardinal Meisner in Köln pro Monat rund 11 000 Euro Erzbischofsgehalt vom Staat. Man stelle sich vor, Jesus wäre ein von der jüdischen Hierarchie oder dem römischen Imperium Besoldeter gewesen.
Was haben wir also zu erwarten? Franziskus wird weiter das Bad in der Menge suchen, die Armen trösten, bedauern, ermutigen, herzen und küssen, aber nichts wirklich für sie tun. Er wird den Aberglauben der gläubigen Massen nicht dadurch abbauen, dass er auch nur eines der irrationalen Dogmen widerruft. Denn diese Massen sind es, die ihm zujubeln. Er wird - wie geschehen - großzügig fragen: »Wer bin ich denn als Mensch, dass ich über Homosexuelle urteilen dürfte?« Aber die Lehre des »Katechismus der katholischen Kirche«, die homosexuelle Betätigung als Sünde anprangert, wird er nicht widerrufen. Er wird auch keines der magischen Rituale, Sakramente genannt, entfernen. Und bei aller demonstrativen Demut wird er nicht auf das Dogma der Unfehlbarkeit verzichten, geschweige denn auf das des Jurisdiktionsprimats, wodurch die Kollegialität der Bischöfe zur Farce wird und sie letztlich Handlanger des obersten Herrschers in Rom bleiben.
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