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Südafrika ohne seinen Freiheitspionier

Die Enttäuschung über die heutige politische Führung des Landes wird in diesen Tagen besonders spürbar

  • Armin Osmanovic, Johannesburg
  • Lesedauer: 6 Min.
Seit jenem Donnerstagabend vergangener Woche, als die Nachricht vom Tod Nelson Mandelas bekannt wurde, nimmt Südafrika Abschied vom größten Sohn des Landes, dem »Vater aller Südafrikaner«.

Noch am Abend seines Todes strömten die ersten Trauernden zu seinem Haus im Johannesburger Stadtteil Houghton, um »Tata Madiba« und seiner Familie nahe zu sein. Seither kommen täglich Trauernde an diesen Ort in einem wohlhabenden Viertel Johannesburgs. »An den ersten Tagen überwog die Trauer. Jetzt wird mehr getanzt«, berichtet Sisiwe Maeko, die erst in der kommenden Woche wieder zur Arbeit gehen will, nachdem Mandelas sterbliche Hülle am Sonntag in seinem Heimatort Qunu beigesetzt sein wird.

Sisiwe, 27 Jahre alt, ist Angestellte der Stadt Johannesburg. Sie gehört zu jenen, die in diesen Tagen frei haben. Die Stadtverwaltung zeigt Verständnis. Die Mehrheit der Südafrikaner geht natürlich weiter ihrer Arbeit nach. Auch Sisiwe will nicht nur Mandela ehren: Sie nutzt zugleich die Gelegenheit, Geschäfte zu machen. Sie verkauft kalte Getränke an die Trauerpilger. »Ich verdiene als Angestellte der Stadt umgerechnet 750 Euro im Monat, hier kann ich mir was dazuverdienen. Das brauch ich dringend, denn das Leben ist teuer in Johannesburg.« Dabei zeigt sie nicht ohne Stolz auf den japanischen Kleinwagen, mit dem sie den Getränkenachschub transportiert.

Südafrikaner aller Hautfarben suchen den letzten Wohnort des großen Freiheitskämpfers auf, um dort Blumen niederzulegen. Aber auch viele ausländische Besucher, darunter eine Gruppe von Afroamerikanern, die gerade an einer Konferenz in Johannesburg teilnehmen, erweisen Mandela Respekt.

Die Menschen tanzen und stimmen Lieder des südafrikanischen Freiheitskampfes an, bis es immer wieder ganz still wird:. Man weint, umarmt und drückt einander ganz fest. Schließlich ertönt die Nationalhymne »Gott schütze Afrika«. Das gleiche Bild am Tag der großen Gedenkfeier im Stadion »Soccer City«: In Johannesburg regnet es in Strömen, doch am Haus Mandelas weicht die Besucherschar nicht.

Eine Kindergartengruppe aus dem Stadtteil Kensington will am Morgen von ihrem »Tata Madiba« Abschied nehmen. Die Kleinen in roten T-Shirts recken stolz Blumen für ihren Großvater, wie sie ihn nennen, in die Höhe. Sie kennen Mandela nur von Bildern, trat er doch seit vielen Jahren kaum noch öffentlich in Erscheinung. Zuletzt sah man ihn 2010 bei der Abschlussfeier der Fußballweltmeisterschaft.

In Alexandra, dem ältesten Township Südafrikas, wo Mandela als junger Mann von Anfang 20 gewohnt hatte, herrscht an diesem verregneten Tag Tristesse. Kein Schild weist den Weg zu seinem ehemaligen Haus in der 7. Avenue. Nur eine versteckte Tafel und seine groß an die Mauer geschriebene Häftlingsnummer 46664, die er viele Jahre auf der Gefängnisinsel Robben Island vor Kapstadt trug, erinnern an Südafrikas ersten demokratisch gewählten Präsidenten.

Das Gedenkmuseum auf der anderen Straßenseite ist verschlossen. Der Bau, vor mehreren Jahren begonnen, ist halb fertig. Niemand legt hier Blumen in Gedenken an Madiba nieder. In Alexandra sitzt man, geschützt vor dem Regen, zu Hause vor dem Fernseher und verfolgt die Gedenkfeier oder man ist bei der Arbeit, so man eine hat.

In einer unweit gelegenen Townshipkneipe mit dem Namen »KO-Nine« in der 9. Straße, sitzen neben der Bedienung nur eine junge Frau und zwei junge Männer vor dem Fernseher. Auch sie verfolgen die Gedenkfeier im Stadion in Soweto. Der gefühlte Höhepunkt, der Auftritt von USA-Präsident Barack Obama, ist schon lange vorbei. Nun schaut man - mangels Alternative - gelangweilt den anderen Rednern zu. Auch im Stadion selbst finden die Abgesandten Kubas, Brasiliens, Chinas und Indiens, die alle nach Obama sprechen, wenig Aufmerksamkeit. In Alexandra geht Collins, einer der Gäste, der nebenan sonst Autos wäscht, wegen des Regens aber keine Kunden hat, auf die Veranda, um nachzusehen, ob der Regen nicht doch bald aufhört.

Im Township hat sich durchaus viel getan in den vergangenen gut zwanzig Jahren, seit Mandela an der Seite seiner damaligen Frau Winnie mit gestreckter Faust aus dem Gefängnis kam und ein paar Jahre später Präsident aller Südafrikaner wurde. Die Regierung hat neue Viertel bauen lassen, deren Häuser Solaranlagen für die Warmwasserversorgung auf den Dächern tragen. Doch auch viele der alten Probleme sind geblieben: Kriminalität, Drogenhandel und die hohe Arbeitslosigkeit. Auf die Frage, ob es unter einem Präsidenten Mandela heute besser wäre, weiß denn auch der 32-jährige Collins, der aus seiner zu dünnen Trainingsjacke in den Regen starrt, nur ein Achselzucken.

Im Stadion, zu Hause vor den Fernsehschirmen oder im schnell errichteten Zelt vor der Nelson-Mandela-Stiftung in Johannesburg, die dem Andenken ihres Patrons verpflichtet ist, weiß man aber eines genau: Jacob Zuma als Präsident ist ein Problem.

Im Stadion war es erst nur eine kleine Menge, die buhte, als Zuma auf dem Großbildschirm auftauchte. Doch schnell schlossen sich immer mehr an. Schließlich wurden Schmählieder auf Zuma gesungen. Besonders eines wird all jenen Besuchern im Ohr bleiben, die die Sprache der Zulus verstehen: »Graca Machel war mit Samora verheiratet, und er ist tot, Graca war mit Mandela verheiratet, und er ist tot, liebe Graca, heirate Zuma!«

Am Tag darauf bestimmen die Pfiffe und Schmähungen gegen Zuma viele Diskussionen. Im Minibustaxi auf dem Weg zu Arbeit denkt man laut darüber nach. Hat sich Südafrika vor den Augen der Welt als schlechter Gastgeber erwiesen? Der ehemalige Erzbischof Desmond Tutu, auch er Friedensnobelpreisträger, war sichtlich verärgert über das Verhalten der Menschen im Stadion.

Doch widerspiegelt sich darin die Enttäuschung über die politische Führung des Landes, die in diesen Tagen besonders groß ist. Mandela war so anders, er war integer. Was ist aus uns geworden, fragt man sich, was aus unserem Traum von einer Regenbogennation, die gemeinsam aufbricht?

Ein anderer, der anderenorts viele seiner einstigen Anhänger enttäuscht hat, wurde in Südafrika begeistert empfangen: Barack Obama machte die Erinnerung an Madiba, den »Giganten der Geschichte«, eindrucksvoll lebendig. Der erste afroamerikanische USA-Präsident sagte, er selbst wäre ohne Mandela nicht das, was er heute ist. Die südafrikanische Protokollchefin im Stadion hatte den verspäteten Gast als »unseren größten Sohn Afrikas« angekündigt.

Obama ließ es sich nicht nehmen, an diesem Tag mit einer politischen Rede an den Auftrag zu erinnern, den Mandela mit seinem Leben für Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit, hinterlassen hat. Ausländische Kommentatoren immerhin bemerkten, Obamas Rede sei nicht nur eine aufrichtige Ehrung des bewunderten Helden gewesen, »sondern auch ein Versuch, wieder etwas vom eigenen Glanz zurückzugewinnen«. So stand es im niederländischen »Telegraaf«. Im Stadion oder im Zelt der Mandela-Stiftung in Johannesburg erntete Obama jedenfalls stehenden Applaus.

Mehr als Zorn über Mandelas Nachfolger herrscht in Südafrika Ratlosigkeit. Wie der Autowäscher Collins im Township Alexandra haben viele nur noch ein Achselzucken für die Politiker aller Couleur. Mandela, einer der Großen des 20. Jahrhunderts, erscheint vielen im heutigen Südafrika sehr weit weg.

Am gestrigen Mittwoch verließ Mandelas Leichnam zum ersten Mal das Totenhaus. Von der Öffentlichkeit durch die Straßen Pretorias begleitet, wurde der Sarg in den Union Buildings aufgebahrt. Am offiziellen Sitz des Präsidenten während seiner Amtszeit von 1994 bis 1999 kann die Öffentlichkeit Abschied nehmen, bevor der »Vater aller Südafrikaner« am Sonnabend nach Qunu in der Provinz Ostkap überführt und am Sonntag dort beigesetzt wird.

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