Nach Friedrichs Rücktritt: Und die Sozialdemokraten?
Union und Linke lenken Blick auf Rolle von SPD-Politikern / Riexinger: Können die ihre Ämter noch ausfüllen? / Sprecher Gabriels: Kein Grund für Konsequenzen
Berlin. Nach dem Rücktritt von Agrarminister Hans-Peter Friedrich haben die Union und die Opposition den Blick auf die Sozialdemokraten gelenkt. CDU-Generalsekretär Peter Tauber sagte in Richtung der SPD: »Nun sind auch andere aufgefordert, ihren Teil zur Aufklärung der im Raum stehenden Vorwürfe beizutragen.« CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl sagte der Zeitung »Die Welt« bedauernd: »Als Innenminister macht er eine Gefälligkeit für die SPD und muss seinen Hut nehmen.« Edathy gehe dagegen vielleicht straffrei aus.
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte: »Der Fall Edathy wird zur Affäre Große Koalition.« Diese stehe vor den Scherbenhaufen ihrer Kumpanei. Merkel müsste für Aufklärung sorgen. Die Linkspartei forderte, auch die Rolle von SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel in der Edathy-Affäre genau zu prüfen. »Es muss die Frage gestellt werden, ob diese Spitzenpolitiker geeignet sind, ihre Ämter auszuführen«, sagte Linkenchef Bernd Riexinger in Hamburg. Er schloss auch die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses nicht aus. Den Rücktritt Friedrichs nannte Riexinger einen »Akt der politischen Hygiene«.
Wer wusste was und wann im Fall Edathy? Der Fall belastet mittlerweile die Bundesregierung schwer - der frühere Innen- und bisherige Landwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich (CSU) musste nach Vorwürfen des Geheimnisverrats im Zusammenhang mit Ermittlungen wegen mutmaßlicher Kinderpornografie gegen den früheren SPD-Innenexperten Sebastian Edathy zurücktreten, die CSU wirft der SPD »Geschwätzigkeit« vor und verlangt Aufklärung. Der Fall Edathy reicht bis ins Jahr 2010 zurück, die Vorwürfe gegen Friedrich nahmen ihren Ausgang im vergangenen Herbst.
2010:
Die Behörden in Kanada nehmen einen weltweiten Internet-Anbieter von Kinderpornografie ins Visier.
2012:
Laut Staatsanwaltschaft Hannover erfährt das Bundeskriminalamt (BKA), dass zu den Kunden des kriminellen Unternehmens rund 800 Deutsche gehören. Nach heutigem Erkenntnisstand der Staatsanwaltschaft soll Edathy zwischen 2005 und 2010 bei der kanadischen Firma Material bestellt haben, das sich »im Grenzbereich« zur Kinderpornografie befindet.
Oktober 2012:
Das vom BKA weiter betriebene Verfahren im Zusammenhang mit dem Kinderporno-Ring gelangt zur Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main.
Oktober 2013:
Die Verfahrensakte Edathy geht an die Generalstaatsanwaltschaft Celle. Im selben Monat informiert der damalige Bundesinnenminister Friedrich den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel, dass Edathys Name im Zusammenhang mit ausländischen Ermittlungen aufgetaucht sei. Die Öffentlichkeit erfährt von dem Gespräch zwischen Friedrich und Gabriel am Donnerstag dieser Woche durch eine Erklärung von SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann.
5. November 2013:
Der Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover, Jörg Fröhlich, erhält nach eigenen Angaben die Edathy-Akte. Sie wird als Verschlusssache behandelt.
Mitte November 2013:
Die kanadische Polizei geht an die Öffentlichkeit und teilt mit, dass sie einen weltweiten Kinderpornografie-Ring zerschlagen hat. Edathy reagiert nach eigenen Angaben auf diese Presseberichte und bittet seinen Anwalt um Beratung.
28. November 2013:
Der Anwalt Edathys bittet die Staatsanwaltschaft in Hannover nach deren Angaben zunächst vergeblich um ein vertrauliches Gespräch.
22. Januar 2014:
Laut Staatsanwaltschaft Hannover sagt Edathys Anwalt bei einem Gespräch, sein Mandant habe gerüchteweise gehört, dass gegen ihn ermittelt werde. Zugleich versichert der Anwalt demnach, die fraglichen Filme seien nicht pornografisch gewesen.
28. Januar:
Die Staatsanwaltschaft Hannover fasst den Beschluss, ein Ermittlungsverfahren gegen Edathy einzuleiten.
6. Februar:
Die Staatsanwaltschaft unterrichtet Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) in einem Schreiben über die Verfahrenseinleitung. Der Brief geht allerdings erst am 12. Februar beim Bundestag ein.
8. Februar:
Edathy teilt der Öffentlichkeit mit, dass er sein Bundestagsmandat niederlegt - »aus gesundheitlichen Gründen«.
10. Februar:
Die Staatsanwaltschaft Hannover lässt Wohn- und Geschäftsräume Edathys durchsuchen.
13. Februar:
Nachdem Oppermann das Gespräch zwischen Friedrich und Gabriel zum Fall Edathy vom Oktober öffentlich gemacht hat, tritt die Staatsanwaltschaft Berlin auf den Plan: Sie will einen möglichen Verdacht auf Geheimnisverrat prüfen - ohne in diesem Zusammenhang ausdrücklich den Namen von Friedrich zu nennen. In der Opposition werden erste Rufe nach einem Rücktritt des Ministers laut.
14. Februar:
Friedrich erklärt seinen Rücktritt. Der CSU-Politiker beharrt darauf, dass er bei seinem Gespräch mit Gabriel »politisch und rechtlich richtig gehandelt« habe. Gabriel versichert am Abend, weder er noch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) oder Oppermann hätten Informationen über Ermittlungen gegen Edathy an diesen weitergegeben.
15. Februar:
CSU-Chef Horst Seehofer wirft der SPD »Vertrauensbruch« vor, weil Oppermann das Gespräch von Friedrich und Gabriel öffentlich gemacht hat. AFP/nd
Gabriel selbst sieht keinen Grund für Konsequenzen. »Das steht wirklich nicht zur Debatte«, sagte sein Sprecher. Derweil nannte es Grünen-Geschäftsführer Michael Kellner im Sender n-tv ungewöhnlich, dass der damalige SPD-Fraktionsgeschäftsführer Oppermann im Oktober bei BKA-Chef Jörg Ziercke angerufen hatte, um sich über Edathy zu erkundigen. »Es steht der Verdacht im Raum, dass Herr Edathy gewarnt wurde.«
Edathy rechnete offenbar schon seit November mit einem Verfahren. Damals habe ein Anwalt in seinem Auftrag bei den Staatsanwaltschaften Berlin und Hannover und beim Landeskriminalamt Hannover nachgefragt, ob es ein Verfahren gegen Edathy im Zusammenhang mit Kinderpornografie gebe, teilte der Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover, Jörg Fröhlich, mit.
Wie Edathy davon erfuhr, ist unklar. Die Ermittler seien »hoffnungslos in der Hinterhand« gewesen. Das Verfahren stehe trotz der derzeit geringen Zahl an möglichen Beweisen nicht vor dem Ende, so Fröhlich. Es gebe weitere Ermittlungsansätze.
Die Staatsanwaltschaft Hannover gab erstmals Details zu den Ermittlungen gegen Edathy bekannt. Der Politiker habe aus Kanada Videos und Fotosets bestellt, zudem gebe es zwei Downloads. »Das Material, um das es geht, sind Bilder von unbekleideten männlichen Jungen im Alter zwischen 9 und 13, eventuell auch 14 Jahren«, sagte Fröhlich. »Die Frage, ob es sich um Kinderpornos handelt, ist eine schwierige Bewertungsfrage.« dpa/nd
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