Welche Wege wählt das Geld?

Chrystia Freeland über Räuberbarone, Technologietycoons und Philanthrokapitalisten

  • Rainer Rilling
  • Lesedauer: 4 Min.

Über »Die Reichen« und »Die Armen« reden viele, über die Ungleichheit zwischen ihnen wenige - da wird es persönlich. Persönlich aber will kaum jemand als »reich« gelten, denn das polarisiert. »Reich« sind immer die anderen. Ganz anders bei der anerkennenden Rede von den »Vermögenden« oder »Wohlhabenden«. Da schwingen Leistung, Macht und gleich der ganze Sozialstaat mit. Das Buch »Die Superreichen« der kanadischen Publizistin und Kandidatin der Liberalen Partei in Toronto Chrystia Freeland spiegelt diesen Zwiespalt wider. »Ich finde den Kapitalismus trotz allem großartig« verriet sie jüngst: »Er ist definitiv das beste Wirtschaftssystem, um Wohlstand zu schaffen.« Aber sie fragt, warum der Wohlstand so ungleich verteilt ist. Dazu »muss man sich anschauen, was ganz oben an der Spitze passiert … Wer gehört dazu. Woher stammt ihr Geld, wie denkt sie, und welche Beziehung hat sie zu uns übrigen.«

Dieser Blick nach oben und von oben ist außergewöhnlich, weil er als Methode der Kapitalismusanalyse eingesetzt wird. Er hat nichts mit Yellow Press, Herrscherlob, beruhigenden Armuts- und Reichtumsberichten oder den drögen Varianten der Elitenforschung zu tun. Freelands Erklärung der aktuellen Dynamik ist einfach: Die Verknüpfung einer industriellen Revolution im Süden, der technologischen Revolution im Norden, der Globalisierung und der Politik des Washington Consensus habe Gründerzeiten mit einer rasanten »Ökonomie der alles abräumenden Gewinner« hervorgebracht. Die Gewinner sind die Reichen und die Superreichen. Das sind »gute Neuigkeiten für die Plutokraten im Westen, die die Vorteile daraus ziehen können, zugleich Räuberbarone des 19. Jahrhunderts und Technologietycoons des 21. Jahrhunderts zu sein.«

Freeland trägt Daten zur Einkommens- und Vermögensverteilung global, in den USA und innerhalb der Gruppe der Reichen zusammen. Sie dokumentieren die wachsende Einkommens- und Vermögensungleichheit - das Bild wäre noch weit krasser, würde die Autorin nicht den illegalen und mafiösen Sektor völlig ausklammern. Sie skizziert (gestützt auf Quellen in über 500 Fußnoten) deren kulturelle Profile, Anlageverhalten, Konsum- und Karrieremuster und streift durch die große Coterie der Superreichen. Der Höflingsschwarm bringt eine eigene Superstarökonomie hervor - Lady Gaga, Candy & Candy, Frank Gehry, David Beckham, Elton John und noch ein paar Hunderttausend Superreichendienstleister -, deren Spitzengruppe zwischen den Reichen und den Superreichen oszilliert und darauf aus ist, die Seiten zu wechseln. Ihre Mobilität und die der Technikfreaks unter den Millionären stehen immer wieder im Mittelpunkt der Analyse Freelands und ihrer Gespräche mit den Superreichen - der machtvolle »alte Reichtum« mit seinen Familienstrukturen, Dynastien, Erbschaften und Verankerungen in der industriellen Produktion interessiert sie wenig.

Aber sie macht zwei Punkte. Sie zeigt, dass die Gruppe der Reichen sich rapide differenziert und zunehmend tief gespalten ist. Dominiert werde sie klar von den Superreichen, deren Einstiegsticket bei ca. 500 Millionen liegen dürfte - ein Uli Hoeneß gehört nicht dazu. Die Super-Rich haben eine Doppelspitze: ein relativ stabiler und kontinuierlich anwachsender Milliardärszirkel mit weltweit über 1500 Mitgliedern, von denen 83 mittlerweile mindestens zehn Milliarden Dollar Kapital kumuliert haben (darunter finden sich sieben Multimilliardäre mit deutschem Pass), und die Banker - der »beherrschende Stamm der Plutokratie«. Freeland charakterisiert diese Gruppe als »globales Dorf«, »Plutonomie«, »Plutokratie«, »Oligarchie«, »plutokratische Klasse« oder »global gated community« - abgeschlossen, bewacht, vernetzt, privat, souverän. Die üblichen Schranken der Unterlinge sind kein Problem für sie. Für diese Parallelgesellschaft hat Robert Frank den schönen Namen »Richistan« erfunden.

In Richistan kommt auch eine hierzulande wenig beachtete Politikform und Ökonomie zur Blüte, für die sich in den USA der Begriff »Philanthrocapitalism« einzubürgern beginnt. Freeland hebt sie hervor. Dieses Handlungsmuster unterscheidet sich von der verbreiteten »Kaperung des Staates« durch Lobbying und ähnliches. Ebenso wenig geht es um mildtätige Spenden für die Wohlfahrt von Schulen, Krankenhäusern und Museen zur Pflege des Gewissens und der Popularität der Spender. Der Philanthrokapitalismus steht vielmehr für öffentlichkeitswirksame, parteilich-programmatisch angelegte und strategisch intervenierende Investitionen privater Megastiftungen, die einen Rücklauf erbringen müssen und ökonomische wie gesellschaftspolitische Ziele der Spender durchsetzen sollen - ohne nennenswerte demokratische Kontrolle. Smarte und fokussierte Einrichtungen mit politischem Kapitaleinsatz also. Im September 2013 gab es in den USA 67 solcher Megastiftungen mit über einer Milliarde Dollar Kapital; auch in Deutschland steigt die Anzahl solcher politisch intervenierender Megastiftungen.

Wer den Zusammenhängen von Herrschaft, Kapital und Reichtum nachgehen will, kommt mit Freelands Buch ein Stück weiter.

Chrystia Freeland: Die Superreichen. Aufstieg und Herrschaft einer neuen globalen Geldelite. 370 S.. Westend Verlag Frankfurt am Main 2013. 368 S., geb., 22,99 €.

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