Der koloniale Blick

Ausstellung »Ware und Wissen« im Weltkulturen Museum in Frankfurt am Main

  • Rudolf Walther
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor 110 Jahren sagte der Frankfurter Tropenarzt und Ethnologe Bernhard Hagen (1853-1919) bei der Eröffnung des »städtischen Völkermuseums«: »Unser deutsches Vaterland ist von einer Großmacht zur Weltmacht geworden, der deutsche Handel hat seine heute großen gewaltigen Interessen in allen fünf Erdteilen. (…) Heute muss jeder größere Produzent oder Kaufmann nicht nur mit diesen Reichen (China und Japan, RW), sondern auch mit dem australischen und afrikanischen Markt rechnen.«

Unter dem Titel »Ware und Wissen« präsentiert das Weltkulturen Museum in Frankfurt eine spannende Ausstellung, die sich mit der Entstehung und Tradierung völkerkundlichen Wissens beschäftigt. Die beiden Kuratorinnen Clémentine Deliss und Yvette Mutumba dokumentieren mit ihrer Arbeit ein außerordentliches Reflexionsniveau. Sie richten ihren Blick auf die äußerst engen Beziehungen zwischen der Völkerkunde, der Einrichtung von Museen zu Beginn des 20. Jahrhunderts und der wirtschaftlichen Entwicklung.

Die Geschichte der Ethnologie und der Völkerkundemuseen in Deutschland war dabei eng verbunden mit dem wirtschaftlichen Aufstieg des Landes und seinen kolonialistischen Ambitionen. Der Eingangs erwähnte Bernhard Hagen selbst war Plantagenarzt in Indonesien und Papua-Neuguinea und benutzte »seine« Arbeiter zur Vermessung ihrer Glieder im Dienste einer »Rassentypologie«, d.h. eines als Wissenschaft auftretenden Rassismus.

Von den Absichten Hagens führt eine direkte Linie bis zur Neuguinea-Expedition von Frankfurter Völkerkundlern im Jahr 1961. Das deutsche Kolonialreich gehörte damals ebenso der Vergangenheit an wie die nationalsozialistische Eroberungspolitik und der weltanschauliche Rassismus. Aber die wissenschaftlichen Ethnologen brachen noch 1961 auf wie zuvor wilhelminische Kaufleute, die einen neuen Markt gewinnen wollten und kehrten mit 4000 Objekten zurück, die mangels eines Ausstellungsraumes ins Depot wanderten, also eine Art Warenlager bildeten. Diese Beute bildete das Sammlungs-Kapital, mit dem Tauschgeschäfte mit anderen Sammlungen abgewickelt werden konnten. Die Herkunft und Geschichte der erworbenen und erbeuteten Objekte - ihre Dignität als kulturelle Artefakte - trat zurück oder verschwand ganz hinter ihrem Charakter als exotische Waren. Die Inventarbücher verraten diese Instrumentalisierung völkerkundlicher Objekte. Deren Bedeutung und Geschichte verkümmerte in der Wissenschaft wie im Museum zu einer Erwerbsgeschichte, denn die Inventarbücher verzeichneten außer der Herkunft, des Erwerbsorts und der Größe des Objekts nur den »Wert« bzw. »Preis« wie in der Lagerbuchhaltung eines Kaufhauses.

Nicht nur materielle Objekte wurden so inventarisiert, sondern auch Menschen. Bernhard Hagens Interesse galt nackten Menschen, deren Genitalien er massenweise in fotografischen Nahaufnahmen dokumentierte, die diese Menschen auf ihre Geschlechtsorgane reduzierten. Die Frankfurter Ausstellung zeigt diese Fotos, die den herrschaftlichen Charakter des völkerkundlichen Blicks geradezu quälend deutlich festhalten, erstmals öffentlich.

Die Ausstellung erschöpft sich jedoch nicht in der subtilen Selbstreflexion der Kuratorinnen auf die Geschichte des Museum und der Ethnologie. Sie bildet obendrein die Zusammenarbeit zwischen Museumsleuten, Wissenschaftlern und Künstlern ab. Auf Einladung des Museums beteiligten sich Peggy Buth (Berlin), Minerva Cuevas (Mexico City), Gabriel Gbadamosi (Nigeria), Davis Lau (Taiwan) Tom McCarthy (London), Luke Willis Thompson (Neuseeland) und Davis Weber Krebs (Belgien) in drei Workshops. In deren Rahmen entstanden die Konzeption der Ausstellung, aber auch Werke, in denen sich die Künstler mit der Geschichte der Völkerkunde beschäftigen. Mit diesen Installationen und Fotoserien, die sich mit der wahnhaften, auf ziellose Akkumulation gerichteten Sammelwut auseinandersetzen, erhalten die zu Objekten verdinglichten Menschen und zur geschichtslosen Ware gestempelten Gegenstände eine späte subjektive Rehabilitation, jenseits der Inventarisierung, Klassifizierung und Taxierung durch Museen und Forscher. Das Weltkulturen Museum zeigt mit dieser innovativen Ausstellung, dass es sich nicht nur als Ort der Bewahrung und Dokumentation versteht, sondern ebenso als einen Ort der Produktion neuen Wissens und des Nachdenkens über altes Wissen.

Weltkulturen Museum, Frankfurt am Main, bis 4. Januar 2015. Katalog: 30 Euro.

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