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EU verhängt Sanktionen gegen Russland

Neue Regierung in Kiew will Assoziierungsabkommen mit EU / Krim-Parlament stimmt für Russland-Beitritt

  • Lesedauer: 8 Min.

Berlin. Im Konflikt um die Ukraine hat die Europäische Union erste Sanktionen gegen Russland beschlossen und weitere angedroht. Verweigere sich Russland Verhandlungen zur Lösung des Krise, werde die EU schärfere Strafmaßnahmen wie Einreiseverbote, Kontensperrungen und im Extremfall auch wirtschaftliche Sanktionen verhängen. Das verkündeten die Staats- und Regierungschefs der EU nach einem Sondergipfel am Donnerstag in Brüssel. Im ersten Schritt hat die EU Verhandlungen über Visa-Erleichterungen und über ein neues Rahmenabkommen für die Beziehungen zwischen Brüssel und Moskau eingefroren.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte in Brüssel, wenn Russland weiter Destabilisierungsmaßnahmen wie militärische Aktionen auf der ukrainischen Halbinsel Krim unternehme, werde es zu einer weitreichenden Veränderung der Beziehung zu Russland kommen. Das könne wirtschaftliche Konsequenzen bedeuten. »Wir wünschen uns das nicht«, betonte Merkel.

Die Halbinsel Krim - seit Jahrhunderten umkämpft

Die Geschichte der Krim ist eine jahrhundertelange Abfolge von Kriegen und wechselnden Machthabern.

1783

Nach mehreren Feldzügen gegen die Türken am Schwarzen Meer erobert die deutschstämmige Zarin Katharina die Große das Krim-Khanat der Tataren. Der Marinestützpunkt Sewastopol wird gegründet, die Ansiedlung von Russen in dem neuen Kolonisierungsgebiet beginnt.

1853-1856

Russland kämpft in der Region gegen ein geschwächtes Osmanisches Reich. Französische und britische Truppen stellen sich auf die Seite der Türken. Der nun beginnende dreijährige Krimkrieg gilt als erster moderner Krieg der Geschichte. Von den bis zu 200 000 Toten sterben mehr an Vernachlässigung und Krankheit als im Kampf. Die als »Engel von Sewastopol« bekanntgewordene britische Krankenschwester Florence Nightingale begründet dort die moderne Krankenpflege.

1914-1921

Gegen Ende des Ersten Weltkrieges besetzen deutsche Truppen von April bis November 1918 auch die Krim. Anschließend ist die Halbinsel im russischen Bürgerkrieg eine wichtige Basis der »Weißen« im Kampf gegen die »Roten« russischen Revolutionäre. 1921 gliedern die siegreichen Bolschewiki die Krim als autonomes Gebiet der russischen Sowjetrepublik an.

1941-1944

Im Zweiten Weltkrieg beginnt wenige Wochen nach Hitlers Überfall auf die UdSSR eine 29 Monate deutsche Besatzung der Krim. Nach der sowjetischen Rückeroberung werden von Mai 1944 an mindestens 200 000 Krimtataren wegen angeblicher Kollaboration mit den Deutschen deportiert.  Tatsächlich gab es  rund 15000 - 20000 Krimtataren in pro-deutschen Kollaborations-Milizen gegeben hat. Eine ähnlich hohe Anzahl von Krimtataren hat auf Seiten der Roten Armee gekämpft. Auch etwa 5000 Krim-Deutsche werden vertrieben, deren Vorfahren zum Teil unter Katharina dort angesiedelt worden waren.

1954

Zum 300. Jahrestag der Vereinigung von Russen und Ukrainern macht der aus der Ukraine stammende Kremlchef Nikita Chruschtschow die mehrheitlich von Russen bewohnte Krim zu einem Teil der Ukrainischen Sowjetrepublik.

1988

Unter Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow wird den Krimtataren von 1988 an die Rückkehr in die Heimat erlaubt. Bis zu 250 000 von ihnen nutzen diese Möglichkeit.

1991

Nach dem Zerfall der Sowjetunion erklärt die Ukraine im August ihre Unabhängigkeit. Die russische und die ukrainische Republik hatten zuvor ihre Grenzen gegenseitig anerkannt. Im Dezember bestätigen in einer Volksabstimmung 90 Prozent der Ukrainer die Souveränität, auch auf der Krim gibt es eine Mehrheit.

1992

Die Zentralregierung in Kiew verhindert ein von pro-russischen Kräften angestrebtes Referendum über die Unabhängigkeit der Krim. Als Zugeständnis wird eine Autonome Republik mit weitreichenden Rechten innerhalb der Ukraine eingerichtet. Die Krimtataren haben in dem lange schwelenden Konflikt zwischen Zentralregierung und russischer Autonomiebehörde  stets die Zentralregierung unterstützt.

1997

Die Hafenstadt Sewastopol gehört nicht zum Autonomiegebiet. Kiew und Moskau regeln 1997 in einem Abkommen den Verbleib russischer Marineeinheiten dort - für zunächst 20 Jahre. Der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch vereinbart 2010 mit Moskau, dass der 2017 ablaufende Pachtvertrag für die Stationierung der russischen Schwarzmeer-Flotte um 25 Jahre verlängert wird.

dpa/nd
 

Merkel forderte Russland auf, die geplante Bildung einer Kontaktgruppe mit Beteiligung der neuen ukrainischen Regierung nicht länger zu blockieren. Bislang lehnt es Moskau ab, sich mit der neuen Regierung in Kiew an einen Tisch zu setzen. »Wir wollen, dass eine Koordinierungsgruppe zustande kommt. Allerdings sind die Resultate bis jetzt noch nicht ausreichend«, so die Kanzlerin.

Neue Regierung in Kiew will Assoziierungsabkommen mit EU

Die neue ukrainische Regierung will schnellstmöglich das geplante Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnen. Seine Regierung sei »entschlossen«, das Abkommen »so bald wie möglich« zu unterschreiben, sagte Übergangsregierungschef Arseni Jazenjuk am Donnerstag bei einem EU-Sondergipfel in Brüssel. Der politische Teil des Abkommens könne noch vor den gleichzeitig mit der Europawahl am 25. Mai in der Ukraine angesetzten Wahlen unterschrieben werden, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag nach dem EU-Sondergipfel.

Jazenjuk bedankte sich zudem für das am Mittwoch von der EU-Kommission zugesagte Hilfspaket für die Ukraine in Höhe von elf Milliarden Euro. Sein Land befinde sich in einer »verzweifelten finanziellen Notlage«.

OSZE-Beobachtern ist Zugang zur Krim verwehrt worden

Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ist der Zugang zur ukrainischen Halbinsel Krim verwehrt worden. Moskautreue »Selbstverteidigungskräfte« wiesen die internationale Expertengruppe am Donnerstag von einem Kontrollposten in Armjansk im Nordwesten der Krim ab, wie westliche Diplomaten in Wien sagten. Ob es sich dabei um Bewaffnete handelte, war zunächst unklar.

Die Beobachter befänden sich nun auf dem Weg zu einem anderen Posten, um zu versuchen, dort Zugang zur Krim zu bekommen. Die Experten sollen noch bis kommenden Mittwoch die militärischen Aktivitäten Russlands in der Ukraine beobachten. Die Gruppe hatte sich am Mittwoch auf den Weg in das Land gemacht. Insgesamt beteiligen sich 18 OSZE-Länder mit 35 Experten an der militärischen Beobachtermission. Darunter sind auch zwei Soldaten der Bundeswehr.

USA verhängen erste Sanktionen gegen Russland

Im Zuge der Krim-Krise haben die USA erste Sanktionen gegen Russland verhängt. Es seien, so die Begründung, Einreiseverbote und weitere Strafmaßnahmen gegen diejenigen verhängt worden, die für die Gefährdung der ukrainischen Sicherheit verantwortlich seien, teilte das Weiße Haus am Donnerstag mit. Beim EU-Gipfel wird nach wie vor um die richtige Antwort auf die Krim-Krise gestritten. Die 28 EU-Staats- und Regierungschefs waren am Donnerstag bei ihrem Treffen in Brüssel völlig unterschiedlicher Meinung darüber, wie hart die EU mit Sanktionen gegen Moskau vorgehen sollte.

Krim-Parlament stimmt für Russland-Beitritt

Das Parlament der Schwarzmeer-Halbinsel Krim hat sich für einen Beitritt zu Russland ausgesprochen. Die Abgeordneten der Autonomen Republik fassten am Donnerstag in Simferopol einen entsprechenden Beschluss, wie russische Staatsagenturen meldeten. 78 der 81 anwesenden Abgeordneten stimmten für den Beitritt zur Russischen Föderation. Die Entscheidung solle am 16. März durch eine Volksabstimmung bestätigt werden. Menschen vor dem Parlament nahmen die Entscheidung des Parlaments mit Jubel auf. »Russland! Russland!«-Rufe waren zu hören. Die Halbinsel wird mehrheitlich von Russen bewohnt. Kremlchef Wladimir Putin sei über die Entwicklung informiert, sagte sein Sprecher Dmitri Peskow. Putin hatte zuvor erklärt, dass Russland zwar keinen Anschluss der Krim plane, aber das Volk der Halbinsel darüber frei entscheiden könne. Grundsätzlich sollen die Krim-Bewohner allerdings darüber abstimmen können, ob die Autonome Republik im Staatsverband der Ukraine bleibt oder sich künftig Russland anschließt. Das meldeten Agenturen in Moskau unter Berufung auf den Krim-Vizeregierungschef Rustam Temirgalijew.

Kiew ordnet Festnahme von Krim-Regierungschef an

Die ukrainische Justiz hat die Festnahme des prorussischen Regierungschefs der Halbinsel Krim sowie des Parlamentspräsidenten der Autonomen Republik angeordnet. Sergej Aksjonow und Wladimir Konstantinow hätten mit ihren Schritten zur Abspaltung der Krim gegen die Verfassung der früheren Sowjetrepublik verstoßen, berichteten Medien in Kiew am Donnerstag unter Berufung auf ein Kreisgericht der Hauptstadt. Eine Festnahme der Politiker gilt derzeit aber als unwahrscheinlich. Die Krim steht seit dem Wochenende unter Kontrolle moskautreuer Kräfte. Aksjonow hatte für den 30. März ein Referendum über den Status der Halbinsel angesetzt.

Derweil hat bei dem vom Kreml finanzierten Fernsehsender RT (Russia Today) erneut eine Moderatorin Russlands Ukraine-Politik vor laufenden Kameras kritisiert - und ihren Job gekündigt. »Ich kann nicht zu einem von der russischen Regierung finanzierten Sender gehören, der die Handlungen von Putin schönredet«, sagte die US-Amerikanerin Liz Wahl. Dies habe auch persönliche Gründe, denn ihre Großeltern seien vor Sowjetsoldaten aus Ungarn geflohen. Die US-amerikanische RT-Moderatorin Abby Martin hatte zuvor in einer Sendung des englischsprachigen Kanals erklärt: »Was Russland getan hat, war falsch.« Moskau mische sich in fremde Angelegenheiten ein.

Krim-Krise: Kontaktgruppe vorerst gescheitert

In der Krim-Krise ist am Mittwochabend eine Chance zur Entschärfung nicht genutzt worden: Die Außenminister des Westens und Russlands konnten sich in Paris nicht auf die Bildung einer Kontaktgruppe zur Beilegung der Krise einigen. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sagte am Abend in Paris: »Wir sind noch nicht soweit, uns auf ein gemeinsames Format für Gespräche über mittel- und langfristige Lösungen zu verständigen«. Zugleich ging die Nato auf Distanz zu Russland und kündigte an, ihre Beziehungen zur Ukraine zu intensivieren.

Inzwischen hat die ehemalige US-Außenministerin Hillary Clinton einem Medienbericht zufolge die Politik von Kremlchef Wladimir Putin mit dem Verhalten von Adolf Hitler verglichen. »Wenn einem das bekannt vorkommt, es ist das, was Hitler damals in den 30er Jahren tat«, soll Clinton laut einem Bericht der Lokalzeitung »Long Beach Press-Telegram« am Dienstag bei einem Auftritt in Kalifornien gesagt haben. »Hitler sagte stets, die ethnischen Deutschen, die Deutschen per Abstammung, die in Gebieten wie der Tschechoslowakei oder Rumänien waren, werden nicht richtig behandelt. Ich muss mein Volk beschützen«, zitiert die Zeitung Clinton, die als mögliche Präsidentschaftskandidatin für die Wahl 2016 gehandelt wird.

Konkret soll sie sich auf die Ausgabe von Reisepässen an Ukrainer mit Wurzeln in Russland bezogen haben. Putin sei ein Mann, der glaube, »die russische Größe wiederherstellen« zu müssen, sagte Clinton. Clinton habe aber später klargestellt, dass es keinen Hinweis darauf gebe, dass Putin »so irrational wie der Anstifter des Zweiten Weltkriegs« sei, zitierte die Webseite Buzzfeed den Chefredakteur des »Long Beach Press-Telegram«, Harry Saltzgaver. Clinton erklärte inzwischen, sie habe »nur ein wenig historische Einordnung geben« wollen. Sie »stelle natürlich keinen Vergleich an, aber ich schlage vor, dass wir vielleicht lernen aus dieser Taktik, die bereits angewendet wurde«, so die Politikerin in Los Angeles.

Gysi kritisiert falsche EU-Politik in der Ukrainefrage

Der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Gregor Gysi, hat unterdessen der Bundesregierung und der EU erneut eine verfehlte Politik im Blick auf die Ukraine vorgeworfen. Die Ukraine sei immer »ein tief gespaltenes Land« gewesen und sei es jetzt erst recht. »Die EU hat die Geschichte dieses Landes überhaupt nicht bedacht«, sagte Gysi am Mittwoch beim politischen Aschermittwoch der Saar-Linken in Wallerfangen. Der russische Präsident Wladimir Putin habe versucht, die Ukraine an Russland zu ziehen, die EU habe versucht, sie an Westeuropa zu ziehen. »Genau das war grundfalsch.« Die EU hätte dafür kämpfen müssen, dass die »Ukraine eine Brücke zwischen Russland und der EU« hätte werden können. Die EU müsse »endlich mal lernen, Europa neu zu begreifen«. Dabei müsse es »auch einen Platz für die Ukraine, und einen Platz für Russland« geben, forderte Gysi. Im aktuellen Konflikt gebe es »keinen Europäer, der dort vermitteln kann«, weil jeder entweder mehr der einen oder anderen Seite zuneige. Deshalb müsse jemand dorthin, dem beide Seiten vertrauen könnten, wie beispielsweise Ex-UN-Generalsekretär Kofi Annan.

Die Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Staaten beraten am Donnerstag bei einem Sondergipfel über die Krise in der Ukraine. Auch der Außenausschuss des US-Abgeordnetenhauses will am Donnerstag über mögliche Sanktionen gegen Russland beraten. Die Mitglieder wollen über ein Gesetzesvorhaben diskutieren, das Sanktionen in den Bereichen Visa, Finanzen und Handel vorsieht. Auch Strafmaßnahmen gegen Angehörige der Regierung in Moskau sowie russische Staatskonzerne sind dem Papier zufolge im Gespräch. Zudem werden die US-Regierung und andere Länder dazu aufgerufen, den anstehenden G8-Gipfel im russischen Sotschi zu boykottieren und einen kompletten Ausschluss Russlands aus der G8-Gruppe zu erwägen.

Die EU sperrte inzwischen die Konten des früheren ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch und von 17 weiteren Personen. Eine entsprechende Liste wurde am Donnerstagmorgen online im EU-Amtsblatt veröffentlicht. Nach Gesprächen mit Lawrow ist US-Außenminister John Kerry überzeugt, einen friedlichen Weg aus der Krise auf der Krim finden zu können. »Wir haben eine Reihe von Ideen auf dem Tisch«, sagte Kerry am Mittwoch in Paris. Alle Beteiligten seien sich einig gewesen, dass Dialog der beste Weg aus dem Konflikt auf der ukrainischen Halbinsel Krim sei.

Der russische Präsident Wladimir Putin erklärte, die zu Tausenden aufmarschierten Uniformierten seien keine russischen Militärs. Sein Außenminister Sergej Lawrow beteuerte, Moskau habe über die prorussischen Gruppen auf der Krim keine Kommandogewalt. Agenturen/nd

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