Aufhebung der Leibeigenschaft
Russische Regierung pumpt Geld in Elite-Unis und Spitzenforschung
Wladimir Putin haben die Proteste der russischen Wissenschaftler im Sommer letzten Jahres offenbar doch beeindruckt. Mitte Januar erließ der Kreml-Chef nach einem Treffen mit dem Präsidenten der russischen Akademie der Wissenschaften (RAN) Wladimir Fortow ein Moratorium, nachdem bei der Akademie ein Jahr lang keine Immobilien verkauft und kein Personal entlassen werden darf. Der neu gegründeten Finanzagentur FANO, welche Finanzen und Immobilien der RAN verwalten und nach Sparpotenzialen durchforsten soll, sind nun die Hände gebunden. Der Mathematiker Andrej Zaturjan vom Institut für Maschinenwesen sieht das Moratorium positiv. Putin habe »auf die Öffentlichkeit gehört« und wolle »die Situation nicht verschärfen«, lobt er.
Im September 2013 beschloss die Duma ein Gesetz zur Zusammenlegung der Russischen Akademie der Wissenschaften (100 000 Mitarbeiter) mit den kleineren Akademien für Medizin und Landwirtschaft. Weil die Wissenschaftler der RAN befürchteten, dass viele der über das ganze Land verstreuten 450-RAN-Institute geschlossen werden und es zu Entlassungen kommt, gab es im Sommer letzten Jahres Protest-Kundgebungen. Allein in Moskau beteiligten sich daran 2000 Wissenschaftler. Viele von ihnen befürchten, dass die neue Finanzagentur FANO Personal reduziert, Immobilien verkauft und die Institute an den Stadtrand verlegt. Die Verabschiedung des Reform-Gesetzes verstärkt bei jungen Wissenschaftlern die Tendenz, sich nach einer Arbeit im Ausland umzusehen, meint der Mathematiker Zaturjan. »Wir sind nicht gegen Reformen«, sagt er. Man sei aber gegen eine Reform, »die in einer Geheimoperation ohne Beratung durchgezogen wird.«
Die russische Regierung unterzieht die Bildungs- und Forschungslandschaft seit fünf Jahren einer grundlegenden Reform.
Wettbewerbskriterien. In den Universitäten und Forschungs-Instituten werden Wettbewerbskriterien eingeführt. Mitarbeiter müssen die Zahl ihrer wissenschaftlichen Veröffentlichungen erhöhen und laufend über ihre Tätigkeit Rechenschaft ablegen.
Aufbau von Elite-Unis. Die etwa 1000 Universitäten in Russland werden auf ihre Effizienz überprüft. Einzelne Universitäten werden bereits zusammengelegt. Gleichzeitig hat die Regierung 2008 ein Programm zur Förderung von 40 besonders »effektiven« Hochschulen gestartet, die jeweils über fünf Jahre mit jeweils 125 Millionen Euro gefördert werden. Konzentration auf Schwerpunkte. Russland will sich in der Forschung auf die Bereiche konzentrieren, in der das Land immer schon stark war, die Naturwissenschaften und die Forschung in Raumfahrt, Sicherheit und Kernphysik. Die Forschung soll vor allem dem Zweck dienen, marktfähige Produkte zu entwickeln. Einen besonders schweren Stand haben die Geisteswissenschaften. Sie haben sich nach der Sowjetzeit kein neues Image erarbeiten können und sind sehr knapp finanziert. Verlagerung der Forschung an die Unis. Die Regierung will einen großen Teil der Forschung von den Akademie-Instituten in die Universitäten verlagern. Mitarbeiter der RAN rechnen damit, dass die Zahl der bisher 450 RAN-Institute stark reduziert wird. Anwerbung ausländischer Professoren. 2010 startete die Regierung unter dem Titel »Mega-Grant« ein Programm zur Anwerbung von ausländischen Professoren. Für den Aufbau von modernen Laboren erhalten die Professoren pro Jahr eine Million Dollar. Bei den ersten beiden öffentlichen Ausschreibungen 2010 und 2011 wurden 77 Professoren aus dem Ausland ausgewählt. Von den 39 in der ersten Ausschreibung Ausgewählten waren auch sieben Deutsche. Bei den Auswahl-Kommissionen wurden das erste Mal in Russland ausländische Experten beteiligt. U.H
Das Gesetz zur Reform der RAN war während der Sommerpause ohne vorherige Beratung mit der Akademie durch die Duma gepeitscht worden. Bis heute ist nicht klar, nach welchen Kriterien entschieden wird, welches der 450 RAN-Institute nicht effektiv arbeitet, was eine Schließung oder die Zusammenlegung mit einem anderen Institut zur Folge hat. »Dass die RAN hierarchisch aufgebaut, nicht effektiv, sehr groß und bürokratisch war, dass der Kreis der Akademiker alles entschieden hat, daran besteht keine Zweifel«, kritisiert Zaturjan. Doch jede Reform der Akademie müsste »mit der Aufhebung der Leibeigenschaft beginnen«. Damit meint der Mathematiker die Unterordnung der wissenschaftlichen Mitarbeiter unter die Akademiker und Professoren. Denn nur sie entscheiden über die Verteilung der Forschungs-Gelder. Die Verteilung der Gelder ist in Russland nicht transparent und ausländische Wissenschaftler sind an den Expertenräten die über Forschungsprojekte entscheiden in der Regel nicht beteiligt.
Aleksandr Schipljuk, der zum Präsidium der Akademie der Wissenschaften gehört und in Nowosibirsk ein Laboratorium zu Überschall-Technologie leitet, nennt gegenüber »nd« noch ein anderes großes Problem. Nach einem Erlass von Putin werden die Gehälter der Wissenschaftler jetzt zwar um das eineinhalbfache erhöht. Doch die Leiter der wissenschaftlichen Einrichtungen wissen nicht, woher sie das Geld für die Gehaltserhöhungen nehmen sollen, denn das Budget der wissenschaftlichen Einrichtungen bleibt unverändert. »Wir müssen also andere Finanzierungsquellen finden oder drastische Personaleinsparungen vornehmen«, sagt Schipljuk. Von den Personaleinsparungen seien insbesondere junge wissenschaftliche Mitarbeiter betroffen.
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