Rasender Ausländerhass

Bernburger Imbissbetreiber schildert brutale Naziattacke, bei der er fast sein Leben verlor

  • Hendrik Lasch, Magdeburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Im Prozess gegen neun Neonazis, die in Bernburg (Sachsen-Anhalt) den Betreiber eines Imbissgeschäfts fast totschlugen, hat das Opfer ausgesagt. Er schildert eine Attacke aus heiterem Himmel.

Es hatte ein entspannter Abend werden sollen: Die Grillplatte, die Abdurrahman E. in seinem Imbiss auf dem Bernburger Bahnhof gemeinsam mit seinem Bruder hatte verspeisen wollen, war zubereitet; vor ihm lag ein freier Tag: Den Sonntag wollte der 34-jährige Kurde mit seiner Freundin in Berlin verbringen. Diese war dabei, die Türen zu versperren; er selbst wollte prüfen, ob drei Fenster, die zum Bahnsteig zeigen, verschlossen sind. In den Laden sei einmal eingebrochen worden; zudem »wollten wir keinen mit Lärm belästigen«, wie E. am gestrigen Montag im Magdeburger Landgericht erklärte.

Im Prozess, in dem E. als Zeuge aussagte, geht es freilich nicht um Lärmbelästigung, sondern um versuchten Totschlag, womöglich sogar um versuchten Mord. Angeklagt sind neun Männer zwischen 24 bis 33. Sie sollen E. und seine Freundin am Abend des 21. September 2013 beschimpft und beleidigt haben; danach schlugen vier von ihnen den Ladenbesitzer fast tot. Noch als das Opfer bewusstlos am Boden lag, traten sie auf dessen Kopf. E. erlitt Brüche des Schädels und Hirnblutungen. Die Täter hätten »den Tod für möglich gehalten und in Kauf genommen«, sagt die Anklage.

Der Angriff kam, so schildert es E. im Zeugenstand, aus heiterem Himmel. »Jungs, wie geht’s denn so?«, soll der saloppe Satz gelautet haben, mit dem er eine Gruppe Männer ansprach, die an der Bank vor dem Imbiss saßen. Die Antwort kam prompt: Er sei ein »Scheiß Kanacke«, der verschwinden solle. Er verwahrte sich dagegen - »Ich bin Arbeitgeber«, sagte er im Gericht. Doch er versuchte auch gelassen zu bleiben: »Macht mal ein bisschen Multikulti«, riet er den Männern.

Seine Aufforderung stieß auf taube Ohren. Die Angreifer, Mitglieder der rechtsextremen Szene aus Schönebeck, die an diesem Tag zu einem Junggesellenabschied nach Bernburg gefahren waren, ließen die Situation vielmehr weiter eskalieren. E.s Freundin, eine junge Deutsche, wurde als »Türkenschlampe« beschimpft. So rede man mit Frauen nicht, erwidert der Inhaber des Ladens. Dabei berührte er einen Angreifer - was bei diesem und seinen Begleitern offenbar alle Dämme brechen ließ. An Details kann sich E. freilich nicht mehr erinnern: »Da waren Krach und Lärm«, sagt er. Dass er eine Flasche auf den Kopf bekam und wie er zu Boden ging, weiß der stämmige, 1,80 Meter große Mann nicht mehr.

Eine Darstellung, wonach es erst zur Schlägerei gekommen sei, als E. mit einem Dönermesser bewehrt aus dem Laden zurückkehrte, bestritt er auch auf Nachfrage des Gerichts. Ob die Version stimmt, für die es nach Angaben eines ebenfalls am Montag gehörten Polizisten einen Augenzeugen gibt, dürfte für die Bewertung der Abläufe nicht unwichtig sein. Sie ändert aber nichts daran, dass die Angeklagten schon zuvor aus ihrem Ausländerhass keinen Hehl gemacht hatten. Sollte sich dieser als »leitendes Motiv« für die Tat nachweisen lassen, kommt laut einem Hinweis des Gerichts auch eine Verurteilung wegen versuchten Mordes in Frage.

E. hat den Angriff zum Glück überlebt; die Schäden aber bleiben. Der Sehnerv des linken Auges ist zerstört; zudem ist er zuckerkrank geworden, leidet unter Kopfschmerzen, und das Gedächtnis setzt immer wieder aus. Seine Existenz als Geschäftsmann steht auf der Kippe. Er verbringt seine Zeit statt dessen bei Ärzten und in Therapien. In den Imbiss, sagt er, hätten weder er noch seine Freundin seit der Tat zurückkehren können.

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