Gauck wirft Moskau Verschärfung der Krim-Krise vor

Bewaffnete kontrollieren Flughafen Simferopol / Janukowitsch will zurückkehren / Krim-Parlament erklärt formell Unabhängigkeit / Nato schickt Awacs-Flugzeuge / Treffen des UN-Sicherheitsrates ohne Ergebnis

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Berlin. Bundespräsident Joachim Gauck hat außergewöhnlich scharf das Vorgehen Russlands in der Krim-Krise kritisiert. »Ich bin besorgt darüber, dass das russische Vorgehen die Souveränität und die territoriale Integrität der Ukraine riskiert und bewusst eine Verschärfung der Situation einkalkuliert«, sagte Gauck am Dienstag nach einem Gespräch mit dem Generalsekretär des Europarates, Thorbjørn Jagland in Berlin. »Ich bin sehr besorgt über die Lage in der Ukraine.« Der Bundespräsident forderte die Europäische Union zum Zusammenhalt in der Debatte über Sanktionen gegen Moskau auf. Er sei sich mit Jagland einig, dass jede Eskalation vermieden werden müsse und »dass es insbesondere darauf ankommen muss, die territoriale Integrität der Ukraine zu wahren«, sagte Gauck. In einer solchen Situation müsse man sich bewusst machen, »dass wir alle Kräfte stärken müssen, die das internationale Recht respektieren. Wir brauchen eine friedliche Auseinandersetzung darüber, wie es zu einer Beilegung dieses Konflikts kommen kann.« Der EU-Gipfel habe mit seinem Drei-Stufen-Plan für Sanktionen ein Signal an Moskau gesandt, »von weiteren Eskalationsschritten abzusehen«. Er begrüße, dass die EU hier zusammenstehe. Er wünsche sich »aber auch, dass im weiteren Verlauf der Krise die Staaten bei ihren diplomatischen Bemühungen beieinanderbleiben«. Die Arbeit der Bundesregierung für eine politische Lösung unterstütze er ausdrücklich.

Zuvor hatte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier bereits die Unabhängigkeitserklärung des Regionalparlaments auf der Krim als »Beitrag zur weiteren Zuspitzung« kritisiert. Dies sei nur der Versuch, dem für Sonntag geplanten Referendum über eine Loslösung von der Ukraine einen »legalen Anschein« zu geben, sagte Steinmeier nach einem Treffen mit Lettlands Präsident Andris Berzis am Dienstag in Riga. Der SPD-Politiker bekräftigte die EU-Vorbereitungen für weitere Sanktionen gegen Moskau. »Wenn das Referendum nicht verschoben wird, dann wird man spätestens am Montag eine weitere Entscheidungsstufe haben.« Steinmeier hält sich zu einer eintägigen Rundreise im Baltikum auf. Die drei Balten-Republiken mit insgesamt etwa sechs Millionen Einwohnern - darunter große russische Minderheiten - gehörten früher alle zur Sowjetunion. Heute sind die Staaten Mitglieder der Europäischen Union und der Nato.

Bewaffnete kontrollieren Flughafen Simferopol

Mit Ausnahme der Verbindungen aus Moskau sind alle Flüge in die Krim-Hauptstadt Simferopol ausgesetzt worden. Im Vorfeld des Referendums über die Zukunft der ukrainischen Halbinsel übernahmen Bewaffnete am Dienstag die Kontrolle über den Flughafen und sagten sämtliche Flüge bis auf jene aus Moskau ab, berichtete ein AFP-Reporter. Einer Maschine aus Kiew wurde die Landeerlaubnis verweigert, so dass sie umkehren musste. Die Milizionäre hinderten Reporter daran, mit Flughafenmitarbeitern zu sprechen. Ein Milizionär, der seinen Namen als Iwan angab, sagte, sie würden den Kontrollturm und die Rollbahn blockieren. Damit sollten Aktivisten aus Krim gehindert werden, auf die Krim zu kommen. Ukraine International Airlines teilte mit, am Dienstag und Mittwoch seien alle Flüge von Kiew nach Simferopol annulliert worden. Simferopol hat den größten Flughafen auf der Halbinsel.

OSZE verlängert Beobachtermission

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) verlängert auf Bitten der Ukraine ihre militärische Beobachtermission in dem Land. Das teilte die Staatenorganisation am Dienstag in Wien mit. Ursprünglich sollte die unbewaffnete Expertengruppe am Mittwoch wieder ausreisen. Den Beobachtern ist bei ihrem Einsatz seit vergangenem Mittwoch der Zugang zur Krim verwehrt geblieben. Moskautreue »Selbstverteidigungskräfte« wiesen die Gruppe mehrmals von Kontrollposten ab und gaben dabei auch Warnschüsse ab. Die OSZE-Beobachter sollen die militärischen Aktivitäten Russlands in der Ukraine nun bis zum kommenden Sonntag beobachten. An diesem Tag hält die Krim ein international nicht anerkanntes Referendum über einen Anschluss an Russland ab. Im Fokus der Mission sollen nun vor allem der Süden und Osten des Landes stehen. Insgesamt beteiligen sich daran bislang 14 OSZE-Länder, darunter Kanada, Belgien, Italien und die USA. Von Deutschland gibt es nach OSZE-Angaben bisher noch keine Zusage. Es wird aber erwartet, dass sich die Zahl der Teilnehmer in den nächsten Tagen noch erhöht.

Krim-Parlament erklärt formell Unabhängigkeit

Das Parlament der Krim hat die Halbinsel formell für unabhängig von der Ukraine erklärt. Zur Begründung hieß es, der Schritt sei juristisch notwendig für den geplanten Beitritt der Krim zur Russischen Föderation wie auch für die Durchführung des umstrittenen Referendums darüber am 16. März. Laut ukrainischer Verfassung dürfen einzelne Gebiete keine Volksabstimmungen beschließen. 78 von insgesamt 99 Abgeordneten des Parlaments hätten für die Abspaltung gestimmt, teilte die Volksvertretung am Dienstag in Simferopol mit. Die Zentralregierung in Kiew, die EU und die USA halten den gesamten Abspaltungsprozess für völkerrechtswidrig.

Janukowitsch sieht sich weiter als rechtmäßiger Präsident

Auch gut zwei Wochen nach seiner Absetzung durch das Parlament in Kiew sieht sich Viktor Janukowitsch weiter als rechtmäßiger Staatschef der Ukraine. »Ich bleibe nicht nur der einzige legitime Präsident, sondern auch der Oberkommandierende der Streitkräfte«, sagte Janukowitsch am Dienstag im südrussischen Rostow am Don vor Journalisten. »Sobald es die Umstände erlauben - und ich bin sicher, dass das bald passiert - werde ich ohne Zweifel nach Kiew zurückkehren.« Der entmachtete ukrainische Präsident hat seinen Gegnern vorgeworfen, einen Bürgerkrieg im Land zu planen. Janukowitsch hatte sich zuletzt vor einer Woche zu Wort gemeldet und seinen Anspruch auf das Präsidentenamt bekräftigt. Rückendeckung erhält er dabei aus Russland. Auch der Kreml hält die Übergangsregierung in Kiew nicht für rechtmäßig.

Nato schickt Awacs-Flugzeuge

In der Krim-Krise will die Nato jetzt Aufklärungsflugzeuge an die Grenzen der Ukraine entsenden. Das Bündnis beschloss, Awacs-Maschinen über Polen und Rumänien patrouillieren zu lassen. Dies geschehe zur Beobachtung der Lage in der Ukraine, hieß es. Die ständigen Botschafter der 28 Mitgliedstaaten der Nato gaben am Montag grünes Licht für die Flüge. Diese seien Teil der Bemühungen der Militärallianz, die Krise in der Ukraine zu verfolgen, behauptete ein Nato-Beamter in Brüssel mit. Die Flugzeuge sollten nur über dem Gebiet von Nato-Mitgliedstaaten fliegen. Sie starten im rheinischen Geilenkirchen und im britischen Waddington.

Derweil ist ein Treffen des UN-Sicherheitsrates zur Krim-Krise erneut ohne konkretes Ergebnis geblieben. In New York war der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zum fünften Mal binnen zehn Tagen zusammengekommen. An der russischen Haltung könne er keine Änderung sehen, sagte der britische UN-Botschafter Mark Lyall Grant. »Aber wir können eine zunehmende Isolation Russlands feststellen.« Moskau weigert sich bislang, mit der neuen Führung in Kiew in einer Kontaktgruppe zu reden.

Am Sonntag hält die zur Ukraine gehörende Krim ein Referendum über einen Anschluss an Russland ab. Dieses ist international umstritten. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) wollte am Dienstag in den Ländern des Baltikums über Auswirkungen der Krise beraten. Die Europäische Union droht der Regierung in Moskau wegen ihres Verhaltens schärfere Sanktionen an.

Nach Angaben des britischen Premierministers David Cameron wollten am Dienstag mehrere EU-Vertreter in London eine Liste von 18 Personen zusammenstellen, denen Strafmaßnahmen drohten, sollte Russland seine Politik auf der Krim nicht ändern. Es sei wichtig, den Ereignissen in der Ukraine nicht »blind zuzuschauen«, sagte er. In Brüssel erklärten Diplomaten, am kommenden Montag könnten die EU-Außenminister weitere Strafmaßnahmen wie Einreiseverbote und Kontensperrungen beschließen.

Zu den Befürwortern harter Sanktionen zählen unter anderem die Länder des Baltikums. In Estland sowie den anderen beiden Staaten Lettland und Litauen besteht die Sorge, dass Moskau hier ebenfalls versuchen könnte, seinen Einflussbereich auszudehnen. »Die Sorgen unser baltischen Partner teilen wir und nehmen wir sehr ernst«, sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) nach seinem Eintreffen in der Nacht zu Dienstag in Estland. Erforderlich seien »gemeinsame europäische Antworten«. Estland ist die erste Station seiner eintägigen Reise durchs Baltikum.

Die EU hatte in der vorigen Woche einen Drei-Stufen-Plan beschlossen, falls sich Russland von der Krim nicht zurückzieht. Als erster Schritt wurden die Verhandlungen mit Moskau über Visa-Erleichterungen für Russen ausgesetzt. Auch über ein neues Partnerschaftsabkommen mit Russland wird vorerst nicht weiter verhandelt.

Die Weltbank plant derweil, die angeschlagene Ukraine mit Finanzhilfen von bis zu drei Milliarden US-Dollar (2,16 Mrd Euro) zu unterstützen. Der Vorstand muss das Geld aber erst noch freigegeben, wie die Nachrichtenagentur dpa aus Kreisen der Institution erfuhr. Es soll noch dieses Jahr in einzelne Projekte zur Entwicklung der ehemaligen Sowjetrepublik fließen. In einem laufenden Hilfsprogramm stützt die Weltbank die Ukraine bereits mit rund 3,7 Milliarden US-Dollar (2,67 Mrd Euro). Agenturen/nd

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