Angriff der Klonmusiker

In der ARD wird am Donnerstag der deutsche Beitrag für den Eurovision Songcontest in Kopenhagen gesucht

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit der Demokratie ist es bei den Öffentlich-Rechtlichen nicht weit her: Wenn am Donnerstag zur besten Senderzeit acht Teilnehmer um den Einzug ins Finale des Eurovision Song Contest am 10. Mai in Kopenhagen singen, dann überlässt der federführend für den Vorentscheid zuständige NDR beinahe nichts dem Zufall: Sieben der acht Teilnehmer hat der Norddeutsche Rundfunk ganz ohne Zuschauer bereits vor Monaten in Hinterzimmergesprächen mit Plattenfirmen, der Produktionsfirma Brainpool und den ARD-Radiosendern festgelegt. Wer die Frequenzen dieser auf massenkompatible Musik fixierten Abspielstationen kennt, dürfte sich kaum über das präsentierte Ergebnis wundern. Noch dazu, weil die Plattenindustrie mit im Boot sitzt und weiß, wie sie ihre kommerziellen Interessen durchzusetzen hat: Es dürfte sich wohl kaum um einen Zufall handeln, dass die als klare Favoriten gehandelten Jungs von »Unheilig« einen Tag nach dem ESC-Vorentscheid ein neues Album auf den Markt bringen.

Der NDR wird sich seinerseits über solch namenhafte Unterstützung in Form quotenträchtiger Zugpferde freuen, haben es die Verantwortlichen doch versäumt, das Format »Unser Star für ...« weiterzuentwickeln und es stattdessen - was noch schlimmer ist - mit einen entwicklungstechnischen Rückschritt der Beliebigkeit preisgegeben. Neben »Unheilig« sind es nur »Santiano«, die mit ihrer Mischung aus Irish Folk, sanften Rock und allerlei Seefahrerromantik einem breiten Publikum ein Begriff sind. In Anbetracht dieser populären, musikalischen Übermacht werden die sechs weiteren Interpreten, wie die Sängerin »MarieMarie« und »Das Gezeichnete Ich«, zu Statisten in einer sich über mehrere Stunden hinziehenden Krönungsmesse. Eine Veranstaltung, die den Begriff Wettstreit in Anbetracht der um das Ticket nach Kopenhagen Eiferenden kaum verdient.

Der NDR konnte sich nicht wirklich entscheiden, ob er die im Vorfeld des ESC beinahe reflexhaft einsetzende mediale Aufmerksamkeitswelle dazu nutzen will, Nachwuchskünstlern eine echte Chance zu bieten, sich auf europäischer Bühne zu präsentieren, oder ob die Hamburger stattdessen lieber auf schonungslose Berechenbarkeit setzen. Am Ende hätten die Musikexperten nur auf die Platzierungen der letzten deutschen Interpreten beim ESC schauen müssen, um festzustellen, dass ein durchkalkulierte Vorentscheid mit erwartbaren Ergebnis nicht zum Erfolg führen kann.

Bereits 2012 nahm der NDR von dem durch Stefan Raab 2010 eingeführten Konzept größtmöglichen Abstand, mittels einer mehrteiligen Castingsendung auf vollkommen unbekannte Musiker zu setzen und diese über mehrere Monate hinweg aufzubauen. Ausgerechnet ProSiebens Allzweckwaffe war es, die dem jahrelang chronisch dahinsiechenden Vorentscheid neues Leben einhauchte und dabei auch noch auf den aus anderen Castingsendungen bekannten melodramatischen Mix aus Kitsch, Mitleid und Pöbelei zu verzichtete. Beinahe bekam der Zuschauer das Gefühl, hier ginge es ausnahmsweise tatsächlich um die Musik und nicht um die Frage, welcher Kandidat aufgrund wessen Schicksalsschlag die schiefe Karrierebahn in Gestalt von RTL einschlägt. Doch selbst das von Raab etablierte Konzept kannte seine Grenzen und würgte die Kreativität der beteiligten Musiker in jenen Moment ab, als es des kommerziellen Erfolges wegen langsam Ernst wurde. Weder Lena Meyer-Landrut noch Roman Lob fuhren mit selbst komponierten Liedern zum ESC. Im Vergleich zu den anderen europäischen Teilnehmern ist dies zwar die Regel, andererseits gerät dadurch stark in den Hintergrund, dass der ESC eigentlich noch immer ein offizieller Wettbewerb für Komponisten und Songschreibern ist.

Raab kann das egal sein. Während der Entertainer mit seinem Schützling Lena 2010 erst den Sieg und im Folgejahr Platz zehn holte, konnte er mit der Kür von Roman Lob und dessen achten Rang in Baku unter Beweis stellen, dass er im Gegensatz zum NDR Erfolge planen und diese auch in die Realität umsetzen kann. Kaum war Raab von Bord, ging es aus deutscher Sicht mit Platz 21 für »Cascada« beim ESC deutlich bergab. Kein Wunder, denn vom durch Raab eingeführten Castingkonzept ließ der NDR nicht viel mehr als den Namen übrig.

Beim diesjährigen Vorentscheid wollten der öffentlich-rechtliche Sender alles anders, aber es nicht unbedingt besser machen: Neben den sieben im Hinterzimmer ausgeklüngelten Kandidaten für den ESC-Vorentscheid wurde ein Teilnehmer mittels Clubkonzert ermittelt - nicht etwa im Hauptprogramm der ARD sondern versteckt im Dritten, damit bloß niemand auf die Idee käme, der NDR hätte echtes Interesse am Thema Nachwuchsförderung. Gewonnen hat diesen Vorentscheid das Trio »Elaiza«. Nicht unbedingt, weil die drei Frauen den besten Song des Abends präsentierten, sondern weil die ansonsten vom NDR zusammengestellte Konkurrenz wie ein Abziehbild von ESC-Vorjahresgewinner Emmelie de Forest wirkte. Mit Kopien hat allerdings noch niemand den Songcontest gewonnen.

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