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Auf der richtigen Tonspur
Olaf Hintze und Susanne Krones: Erinnerungen und Erklärungen im Jubiläumsjahr des Mauerfalls
Von seiner Flucht im August 1989 über Ungarn berichtet der gebürtige Erfurter Olaf Hintze - und von je 25 Jahren davor und danach. Der Untertitel »Wie ich die Welt von gestern verließ« spielt auf Stefan Zweigs Autobiografie an, für Hintze das immer wieder zitierte »Lebensbuch«. Mitautorin Susanne Krones geht den Weg vom »Ich« zum »Er«, ordnet erklärend Hintzes O-Ton ein.
O-Ton passt zum Buchtitel »Tonspur«, denn Hintze hat eine Doppel-Passion: Elektronikbasteln und Musik. Er sammelt Platten und baut als Halbwüchsiger einen eigenen Sender, er lernt morsen und konstruiert einen melodischen Türgong, der im üblichen DDR-Schrill-Klingeln aufhorchen lässt. Er muss anderthalb Jahre zur NVA und hat es als Funker vergleichsweise gut, wenn man an Armeen überhaupt etwas Gutes finden kann. Als gelernter Nachrichtentechniker bei der Deutschen Post kann er Beruf und Hobby relativ gut verbinden, wird zum Lese-Freak bei der Deutschen Bücherei in Leipzig, obwohl ihm dort ständig Lektüre verweigert wird. Trotz Abendabitur gibt es für ihn keine betriebliche Delegierung zum Studium. Nein, diese Welt will er verlassen. Sehr farbig werden die Tage im August beschrieben, da Hintze bei Sopron versucht zu fliehen, den Stacheldraht mit Blessuren überwindet, zurückgeschickt wird, das Paneuropäische Picknick mit seiner Massenflucht verpasst und schließlich bei österreichischen Weinbauern landet.
Genau für diese Zeit aber gibt es keine Tagebuchnotizen, während das Leben davor und danach mit Kalendern, Fotos, Eintrittskarten, Elektronikapparaturen, Notiz- und Ausleihzetteln im Buch sinnlich dokumentiert wird. Bei der Flucht ist die Phantasie der Erzählerin Krones gefordert; das liest sich weg.
Hintzes Erinnerungen sind, wie üblich, subjektiv. Ihm war das Land grau, die Fahnen grell, das Leitungswasser stinkend, die Betriebe am Ende und Schlangen endlos. Man sagte öffentlich nie seine Meinung und musste ständig Pionier-Rangabzeichen oder FDJ-Hemden tragen. Erinnerung ist heilig, man sollte sie nie wegwischen, nur weil die eigene anders ist. Hier aber stört heftig, dass jedes Erlebnis politisch korrekt erklärt wird. Um unter zig ärgerlichen Beispielen nur eines anzuführen: Oft berichtet Hintze, dass ihm ohne Parteieintritt keinerlei Studium möglich war. Nur so habe die Partei ihre Herrschaft zementieren können.
Nun erlebten der Rezensent, die Kanzlerin, der Bundespräsident und Hunderttausende DDR-Studenten anderes: sie mussten nicht mal in die heute führende Partei CDU eintreten, um studieren zu dürfen und dem gierigen SED-Zugriff zu entrinnen.
Es war in der DDR-Propaganda üblich, jeden Streik, jede Lebensmittelvergiftung, jeden Doping-Missbrauch im Westen mit dem von vornherein menschenverachtenden System zu erklären. Insofern ist dieses Buch ein recht getreues und passables Abbild dieser Propaganda, nur mit umgekehrten Vorzeichen.
Olaf Hintze/Susanne Krones: Tonspur - Wie ich die Welt von gestern verließ. Hanser bei dtv. 360 S., br., 14,95 €.
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