Chaos aus Karten und Listen
Bewohner der besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule befürchten Räumung ihrer Unterkunft
Wie angespannt nach dem tödlichen Messerstich vor etwas mehr als zwei Wochen die Situation in der von Flüchtlingen besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg ist, bekamen die geladenen Journalisten deutlich zu spüren. Als die Pressekonferenz in der ehemaligen Schule am Mittwochnachmittag bereits eine Weile währte, drängte sich plötzlich ein Flüchtling in den Vordergrund. Dieser beschuldigte die versammelte Presse, nur untätig herumzusitzen und in die Luft zu schauen. Stattdessen sollten sie die Kämpfe der Flüchtlinge unterstützen. Nachvollziehbar wurde in den Statements von Bewohnern der Schule, unterstützenden Medizinern, von Vertretern der Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migranten (KUB) und einer Nachbarschaftsinitiative, warum die Nerven so blank liegen: Es sind die katastrophalen sozialen und hygienischen Verhältnisse, die Ignoranz der Politik, die drohende Räumung der Schule sowie Perspektivlosigkeit und Angst vor Abschiebung. Potenziert wird dies noch durch die Furcht vor einer Wiederholung der Bluttat von Ende April.
Es scheint, als wiederhole sich das Verfahren, das auch bei der Räumung des Oranienplatzes Anwendung fand: Ein Angebot des Senats mit dem Versprechen einer sechsmonatigen Duldung sowie einer Einzelfallprüfung droht die Flüchtlinge zu spalten, so eine zentrale Aussage der Flüchtlinge am Mittwoch. Mimi, die bereits seit 17 Jahren in Deutschland lebt und sich in der Schule ehrenamtlich engagiert, sagte: »Einige Leute unterschreiben, was sie nicht verstehen.« Ihre Aussage bezieht sich auf ein diese Woche eigentlich beginnendes Registrierungsverfahren, demzufolge sich jene Bewohner, die in eine andere Unterkunft umziehen wollen, in Listen eintragen sollen.
Doch diese Registrierung, die außerhalb der Schule stattfinden sollte, sei vom Senat mehrmals abgesagt worden. Es gebe ein Chaos von Ausweiskarten und Listen, so die Kritik. Niemand blicke da durch. Eine vernünftige Beratung sei der KUB-Mitarbeiterin zufolge nicht möglich, weil es widersprüchliche Angaben über die Listen und Registrierung gebe.
Mediziner vermuteten, dass der Senat die »katastrophalen hygienischen Zustände« bewusst herbeiführe, um die Situation eskalieren zu lassen. Denn dann könne geräumt werden. »Die Politik nimmt das Leid der Menschen bewusst in Kauf«, sagte der Mediziner. Ein Bewohner schilderte eindringlich, dass noch nicht einmal der Bitte nach Warmwasser entsprochen wurde. Er bekräftigte zudem erneut die Forderungen nach Abschaffung der Residenzpflicht, Abschiebestopp und dem Recht auf Arbeit. Insbesondere wurde ein Recht auf Verbleib nach Paragraf 23 des Aufenthaltsgesetzes gefordert: einer Aufenthaltsgewährung durch die obersten Landesbehörden »bei besonders gelagerten politischen Interessen«.
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