Auf der Suche nach Schnittmengen
Sylvia-Yvonne Kaufmann zum Europakurs der SPD und zur Zusammenarbeit mit der LINKEN
nd: Es gilt als sicher, dass Sie erneut ins Europaparlament einziehen werden. Was wird passieren, wenn Sie dort Ihren früheren Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion über den Weg laufen?
Kaufmann: Ich werde freundlich grüßen und meine Arbeit aufnehmen. Wenn es passt, können wir in der einen oder anderen Frage sicher zusammenarbeiten, denn es geht ja um eine neue Richtung für die EU. Es geht um ein soziales Europa, und dafür kann man zusammen kämpfen.
Vor fünf Jahren, nach dem Essener Parteitag der LINKEN, haben Sie der Partei explizit vorgeworfen, sie wäre europafeindlich. Und heute schließen Sie eine Zusammenarbeit mit der Linksfraktion nicht aus?
Von einer europapolitischen Geisterfahrt sprach ich. Aber müssen wir über die Linkspartei reden?
... promovierte Japanologin, gehörte von 1991 bis 2002 dem PDS-Parteivorstand an; von 1993 bis 2000 war sie stellvertretende Parteivorsitzende. Bei den Europawahlen 1994, 1999 und 2004 war sie Spitzenkandidatin der PDS und saß von 1999 bis 2009 als Vollmitglied im EU-Parlament, von 2004 bis 2007 als dessen Vizepräsidentin.
Auf dem Essener Parteitag der LINKEN 2009 schaffte es Kaufmann nicht mehr auf die Kandidatenliste - ihr wurde u.a. die Mitwirkung im Verfassungskonvent und ihre Haltung zum Lissabon-Vertrag vorgeworfen. »Ich hätte auch für Platz 80 antreten können und wäre nicht gewählt worden«, meinte Kaufmann damals gegenüber »nd«. Am 14. Mai 2009 gab sie ihren Wechsel in die SPD bekannt.
Ja, weil es zumindest auf europäischer Ebene doch einige Gemeinsamkeiten zwischen Sozialdemokraten und Linken zu geben scheint.
Im Europäischen Parlament gibt es keine feststehenden politischen Mehrheiten, die müssen zu jedem einzelnen Gesetz, sprich Richtlinie, Verordnung, neu erstritten werden. Und da ist es sehr wichtig, dass man in die Inhalte schaut um die es geht. Da gilt es auszuloten, wo es Schnittmengen gibt. Da bin ich absolut offen.
Sie sprechen sich sehr explizit für ein soziales Europa aus. Ist das Konsens in Ihrer Partei?
Es ist ein zentrales Anliegen der europäischen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Wir wollen Europa eine neue, eine andere Richtung geben. Es geht darum, tatsächlich das soziale Europa als politisches Projekt in Angriff zu nehmen, die soziale Frage auch in den Mittelpunkt der Politik zu stellen. Dieser Themenkomplex hat sehr viele wichtige politische Facetten. Es fängt an mit dem notwendigen Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, insbesondere die hohe Jugendarbeitslosigkeit im Süden Europas. Es geht um die dringend erforderliche Bekämpfung von Steuervermeidung und Steuerflucht innerhalb der EU, wo den Mitgliedstaaten jedes Jahr 1000 Milliarden Euro verloren gehen. Gelder, die die öffentlichen Haushalte dringend bräuchten, um Kitaplätze zu bezahlen, Straßen zu sanieren, in Schulen und Bildung zu investieren. Es geht auch darum, dafür zu streiten, im europäischen Recht eine soziale Fortschrittsklausel zu verankern oder die Bekämpfung von Sozialdumping im europäischen Wettbewerbsrecht festzuschreiben, um die Rechte von Beschäftigten, von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu stärken.
In der Bundesrepublik regiert die SPD gemeinsam mit den Konservativen und trägt unsoziale Entscheidungen mit. Da klingen Ihre Ziele nicht sehr glaubwürdig.
Ich kämpfe hier in Berlin und die SPD bundesweit für ein besseres Europa. Im Wahlkampf werde ich gefragt, was die europäischen Sozialdemokraten für Europa wollen, nicht danach, was Angela Merkel macht. Ich werde nicht zur Koalitionspolitik gefragt. Dafür aber viel zu europäischen Themen, die die Menschen bewegen.
Zum Beispiel?
Ein ganz zentraler Punkt, der viele bewegt, ist das geplante Freihandelsabkommen EU-USA. Da ist es wichtig, über den Inhalt des TTIP zu informieren und darüber, dass das Abkommen ohne Zustimmung des Europäischen Parlaments überhaupt nicht in Kraft treten könnte. Wir sagen in dem Zusammenhang ganz klar, dass wir keine Schiedsstellen für Investitionsschutz wollen, dass wir keine Absenkung von Umweltstandards, Arbeitnehmerrechten oder Verbraucherschutzstandards akzeptieren werden. Sigmar Gabriel als Vizekanzler hat das auch öffentlich bekräftigt. Und ich finde, dass es eine wichtige Bank in der Debatte ist, dass wir in Berlin in der Regierung sind und damit in die Auseinandersetzungen auf europapolitischer Ebene gehen können.
In den Fernsehduellen zwischen den Spitzenkandidaten der Konservativen und Sozialdemokraten, Jean-Claude Juncker und Martin Schulz, drücken sich beide Politiker um konkreten Aussagen herum. Und Unterschiede in den Positionen sind kaum auszumachen.
Also auf jeden Fall sind beide überzeugte Europäer. Und es gibt schon deutliche Unterschiede. Zum Beispiel in der Frage der Bekämpfung von Steuerdumping und Steuervermeidung in der EU, da hat Martin Schulz ganz klar gesagt, dass hier endlich Fortschritte erreicht werden müssen. So fordern wir, dass die Unternehmen Steuern dort bezahlen, wo sie die Gewinne machen. Juncker sagt nur lapidar, dass es wohl immer Steuerwettbewerb geben wird. Der zweite Unterschied ist, dass Martin Schulz den Bürokratieabbau in der EU tatsächlich angehen will, beispielsweise mit der Überprüfung aller laufenden Projekte. Der dritte wesentliche Punkt: Schulz sagt ganz klar, dass er als Kommissionspräsident eine mit Frauen und Männern paritätisch besetzte Europäische Kommission will. Das hat Jean-Claude Juncker überhaupt nicht angesprochen.
Die Euro-Gruppe, die wesentlich von Deutschland und Frankreich dominiert wird und der Juncker als Chef vorstand, ist mit ihren Spardiktaten gerade in Südeuropa berüchtigt. Wird die EU zu einem Bund, in dem die Starken bestimmen und die Schwächeren ebenso wie die Parlamente praktisch nicht mehr mitreden dürfen?
Im italienischen Europawahlkampf geht Berlusconi mit der Losung um »Mehr Italien, weniger Deutschland«. Das halte ich für einen unglaublichen politischen Vorgang. In vielen Staaten, das habe ich zum Beispiel in Polen erlebt, gibt es große Erwartungen an Deutschland. Weil es natürlich für alle Länder von zentraler Bedeutung ist, wie sich Deutschland verhält, dass Deutschland auch ein Stück weit Stabilitätsanker für die Europäische Union ist.
Haben Sie das schon Martin Schulz gesagt, der die Berliner Politik der Einvernahme Europas gerade in den vergangenen Monaten heftig kritisiert hat?
Auch ich will kein deutsches Europa, sondern ein europäisches Deutschland. Was wir kritisieren ist, dass es im Zuge der Bewältigung der Finanzmarktkrise von Frau Merkel in der Tat eine sehr einseitige Orientierung auf eine radikale Sparpolitik gibt. Das wollen wir ändern. Eine einseitige Sparpolitik führt nicht dazu, dass sich wirtschaftliche Entwicklung und Investitionen in den einzelnen Länder tatsächlich wieder einstellen. Was nicht heißt, dass wir nicht für solide Finanzen wären. Aber das ist aus meiner Sicht ein großer Unterschied: solide Finanzen oder einseitige Sparpolitik, bei der die Staaten nicht mehr die Mittel zur Verfügung haben, um in Wirtschaft, Bildung und neue Technologien zu investieren.
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