Milliardär Poroschenko gewinnt Ukraine-Wahl
»Schokoladenbaron« wird im ersten Wahlgang Präsident / Geschlossene Wahllokale und Protest im Osten / Zwei Journalisten getötet
Kiew. Der Milliardär Pjotr Poroschenko hat die ukrainische Präsidentenwahl gewonnen. Der Schokoladenfabrikant erhielt bei der Abstimmung am Sonntag gut 55 Prozent der Stimmen, wie Prognosen auf Grundlage von Wählerbefragungen ergaben. Damit ist eine Stichwahl nicht nötig. Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko landete als Zweitplatzierte weit abgeschlagen. Die Bürgermeisterwahl in der Landeshauptstadt Kiew gewann der frühere Profiboxer Vitali Klitschko. Der Posten hat vor allem repräsentative Befugnisse.
Poroschenko kündigte eine umgehende Reise zu Krisengesprächen in die umkämpfte Ostukraine an. Er will die Ukraine auf einen Westkurs führen. Zugleich bot er mitten in der schwersten Krise mit Russland dem Nachbarland Gespräche für eine Normalisierung der Lage an. Seine erste Auslandsreise will der Politiker nach Polen unternehmen. Poroschenko kündigte außerdem an, seine Unternehmen zu verkaufen.
Auch am Wahlwochenende kam es immer wieder zu Gefechten zwischen Separatisten und Regierungstruppen. Dabei sollen in der Nacht mindestens zwei ukrainische Soldaten und vier verletzt worden sein. Nahe Slawjansk gerieten ausländische Reporter unter Beschuss. Ein italienischer Fotograf wurde dabei getötet. Das Außenministerium in Rom teilte am Sonntag mit, es sei von den ukrainischen Behörden über den Tod des Mannes informiert worden. Für eine endgültige Bestätigung müsse noch die Leiche des Fotografen identifiziert werden. Auch sein russischer Dolmetscher, der prominente Bürgerrechtler und Journalist Andrej Mironow, wurde getötet. Die beiden Leichen wurden nach Angaben des Ministeriums in ein Krankenhaus in der Nähe der Separatisten-Hochburg Slawjansk gebracht. Die Familie des Italieners sollte am Sonntag nach Kiew reisen. Italienische Medien berichteten, die beiden Männer seien von einer Mörsergranate getötet worden. Laut der russischen Agentur Ria Novosti wurde diese von der ukrainischen Armee abgefeuert.
Drei Monate nach dem Sturz von Viktor Janukowitsch wird inmitten der schweren innenpolitischen Krise ein neues Staatsoberhaupt gewählt. Die Übergangsführung in Kiew und die sie unterstützenden Regierungen im Westen betrachten die Wahl als wichtige Etappe, um den blutigen Konflikt im Land friedlich zu lösen. Übergangsregierungschef Arseni Jazenjuk rief seine Landsleute am Samstag in einer Fernsehansprache trotz der anhaltenden Kämpfe im Osten des Landes zur Teilnahme an der Wahl auf. Mehr als 36 Millionen Wahlberechtigte sind zur Stimmabgabe aufgerufen, die Wahllokale sind bis 19 Uhr (MESZ) geöffnet.
Im Ostteil der Ukraine waren die Möglichkeiten zur Wahl offenbar teilweise stark eingeschränkt. Bei der Wahl in der zweitgrößten Stadt Charkow im Nordosten gab es keine Zwischenfälle. Hingegen hatte in der ostukrainischen Millionenstadt Donezk am Vormittag kein Wahllokal geöffnet, wie die von Kiew eingesetzte Gebietsverwaltung mitteilte. Im benachbarten Gebiet Lugansk konnte vermutlich nur in zwei von zwölf Bezirken gewählt werden, betonte eine Nichtregierungsorganisation. In zwei Städten wurden zudem die Bürgermeisterwahlen abgesagt.
In Donezk haben mehrere tausend Menschen gegen die Präsidentenwahl demonstriert. Auf dem zentralen Lenin-Platz seien mehr als 2500 Menschen versammelt, meldete die Agentur Itar-Tass. Eine Einheit bewaffneter Aufständischer sei mit Jubelrufen begrüßt worden. Hunderte prorussische Aktivisten marschierten zudem zum Wohnsitz des aus Donezk stammenden Oligarchen Rinat Achmetow. Der vermutlich reichste Unternehmer des Landes hatte die geschätzt 300 000 Angestellten seiner Betriebe aufgerufen, sich den Separatisten zu widersetzen.
Ministerpräsident Jazenjuk rief die Bürger in den betroffenen Gebieten zum Durchhalten auf: »Ich versichere unseren Landsleuten in Donezk und Lugansk, die durch den Krieg gegen die Ukraine von ihren Wahllokalen ferngehalten werden, dass die Banditen nicht mehr viel Zeit haben, die Regionen zu terrorisieren.«
Der Linkenpolitiker Stefan Liebich hatte sich zuvor skeptisch zu der Präsidentenwahl in der Ukraine am Sonntag geäußert. Diese sei »nicht der Schlüssel zur politischen Stabilität«, sagte der Außenpolitiker der Fraktion. Gehe man von den Wahlprognosen aus, werde sich das Präsidentenamt in der Ukraine »auch nach dieser Wahl fest in den Händen der Oligarchie befinden. Das löst keines der gegenwärtigen Probleme. Demokratische Veränderungen und ein Ende der allgegenwärtigen Korruption, wie sie von vielen auf dem Maidan angemahnt wurden, werden damit kaum erreicht«, so Liebich.
Russlands Präsident Wladimir Putin bekräftigte in einem Telefongespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem französischen Präsidenten François Hollande am Samstagabend, das Ergebnis der Abstimmung zu akzeptieren. Putin werde »die Wahl des ukrainischen Volks respektieren und mit den künftigen Autoritäten zusammenarbeiten«, zitierte der Elysée-Palast Putin nach dem Gespräch am Samstagabend. Alle drei Politiker hätten »ihre Sorge über die gegenwärtig ernste Lage in der Ukraine« geäußert, teilte Merkels Sprecher Steffen Seibert mit. Sie seien sich einig gewesen, dass die Wahl am Sonntag »für die Stabilität der Ukraine von großer Bedeutung« sei. »Die Wahlen müssten möglichst in allen Landesteilen der Ukraine stattfinden und in einer friedlichen Atmosphäre ablaufen«, hieß es in der Erklärung weiter.
In der Hauptstadt Kiew trat zugleich der frühere Boxweltmeister Vitali Klitschko als Kandidat bei der Bürgermeisterwahl an. Umfragen sahen den 42-Jährigen deutlich in Führung. 2006 und 2008 hatte Klitschko die Bürgermeisterwahlen verloren. Das Amt hat vor allem repräsentative Funktion. Die Entscheidungen fällt vor allem der Chef der Stadtverwaltung, der vom Präsidenten ernannt wird. Agenturen/nd
Live-Blog des ukrainischen Journalisten Denis Trubetskoy zur Ukraine-Wahl:
http://denistrubetskoy.com/2014/05/ukraine-wahl/
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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