Zwischen Licht und Schatten
Alexander Schippel fotografiert tote und wiedergeborene Architektur
Eine Fassade leuchtet unter blaudunklem Himmel, künstliches Flutlicht hellt nur eine Seitenwand auf. Unter ihr klafft eine Grube, das Fundament liegt bloß und nackt im Dämmerlicht. Bagger stehen wie hungrige Tiere an ihren Seiten, die Arme strecken sich nach dem Erdreich - noch schlafen sie. Morgen früh aber setzen sie ihre Arbeit fort, reißen den Boden auf, fressen sich ins Mauerwerk.
Die Berliner Staatsoper transformiert sich, Alexander Schippel begleitet sie dabei. Für seine aktuelle Ausstellung im Kulturhaus Karlshorst hat er Leichen fotografiert, Entstellte, Verlassene und Wiedererstandene - Architekturen der Zeit, geschaffen von Menschen. »Kulturräume« ist der Titel der Fotoausstellung. Seine Motive besucht Schippel manchmal allein, wenn keiner es sieht. Oder er bekommt offizielle Aufträge, wie bei der Staatsoper Unter den Linden. Fast vier Jahre dauert ihr Umbau schon. Schippel hält ihn mit der Kamera fest. Die Wiedergeburt verzögert sich, die Hebammen entdecken immer neue Details, die restaurierenswert sind. Jetzt soll die Staatsoper zu Saisonbeginn 2015 eröffnen - die Gestaltung des DDR-Architekten Richard Paulick bleibt erhalten.
Szenenwechsel. Das Pergamonmuseum: ein Gerippe. Unter baren Dachbalken blickt der Himmel in den vorher ewig sonnenlosen Raum. Straßenlaternen aus Vorwendezeiten, vorher hinter Glas geheime Lichtspender des Raums, sind plötzlich sichtbar. Die Wände kahl, ihre Kunstwerke verschwunden, blanke Ziegel an ihrer Stelle. Kabel und Leitungen, die Venen und Arterien des Gebäudes, sind nach außen gekehrt. Eine Ruine, kaum denkbar, welche Pracht hier früher Besucheraugen blendete - und es bald wieder tun wird.
Licht und Schatten sind Freunde und Feinde von Alexander Schippel. Der Künstler nutzt für seine Aufnahmen nur das Licht, das er tatsächlich antrifft: Kein mitgebrachter Scheinwerfer erleichtert seine Arbeit. Wetter und Wolken, Tageszeit, Bauleuchten an Kränen und Gerüsten - sie bestimmen, was dem Auge entgegenspringt und was im Halbschatten verschwindet. Umso mehr sind Schippels Fotos Momentaufnahmen, fest verankert in ihrer Zeit: So wirst du mich nie mehr sehen, so werde ich mich dir nie wieder zeigen.
Schnitt. Diese Körper sind nicht aus Stein, sie sind aus Erde, Laub und Holz. Zerwühlte Landschaft, ihrer Schätze beraubt, vom Mensch und seinen Maschinen geschunden. Der Boden unnatürlich gleichmäßig zu parallelen Haufen geschichtet: Abraum statt Umwelt. Aber mit dem Versprechen: Wo tiefe Narben sind, werden einmal Seen sein. Wo Ruinen stehen, werden Bäume wachsen. Das Grau wird leben.
80 Kilometer breit soll das Lausitzer Seenland irgendwann sein, ab 2018 das größte künstliche Seengebiet Europas. Auch ohne Braunkohle geht die Geschichte der Region weiter. Schippel hat dort die letzten steinernen Male einer untergegangenen Epoche fotografiert. All die braunen Riesen: verwinkelte Fabriken, einsame Wassertürme, merkwürdige Konstruktionen, deren Zweck man nicht ahnt. Aber auch die weite Ebene, in die sie eingelassen sind und die zum Erholungsgebiet werden soll. Kulturräume sind nicht nur urbane Strukturen aus Beton und Asphalt. Sie sind auch die Formen, die der Mensch der Natur gibt.
Schwenk. Dunkel liegt die Bühne da. Der verblichene Vorhang hält nur noch auf einer Seite. Der Saal ist leer: Laub weht durch zerbrochene Fensterscheiben hinein. Die Tausend Sterne an seiner Decke glimmen nicht mehr, nie mehr. Dort oben fetzen sich Putz und Farbe los. Sie hängen herunter wie alte Haut, der Körper zu schwach, sie ganz abzustoßen. Häuser altern träger als Menschen.
Schippel ist einer der letzten, der das Kulturhaus in der Wilhelminenhofstraße in Oberschöneweide so zu Gesicht bekommt. 1912 als Arbeiterwohlfahrtsgebäude errichtet, wurde es ab 1950 vom Werk für Fernsehelektronik genutzt. Lange schon steht es jetzt leer. Lange war auch unklar, was aus ihm wird. Retten oder abreißen? Ein privater Investor will jetzt Studentenwohnungen darin bauen, der Saal wird weichen. Genauso wie die unzähligen Rockel-Leuchten, die gleichen wie die im Palast der Republik. Die Fassade aber steht unter Denkmalschutz. Eins haben Kulturräume ihren Erschaffern voraus: Sie können altern und sogar sterben - aber auch neu geboren werden.
Kulturhaus Karlshorst, Treskowallee 112, Finissage am 28.5., 18.30 Uhr mit Alexander Schippel und Live-Musik, Eintritt frei
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