Was tun gegen Deflationsgefahren?
EU-Zentralbank wird die Geldpolitik wohl weiter lockern - die Finanzbranche ist sauer
Alle zwei Wochen vor der jeweils nächsten Sitzung des Rates der Europäischen Zentralbank (EZB) geben die Finanzauguren ihre Mutmaßungen zum Besten. Diesmal ist das Bild erstaunlich einheitlich: Die Notenbanker werden, um ein Abrutschen in die Deflation zu verhindern, die Geldpolitik weiter lockern.
Doch was genau wird das höchste Entscheidungsgremium der EZB am Donnerstag in Frankfurt am Main wohl beschließen? Im Grunde haben die Zentralbanker mehrere Optionen: Sie könnten den mit 0,25 Prozent bereits historisch niedrigen Leitzins für die Eurozone weiter absenken, etwa auf 0,1 Prozent. Verschiedene Mitglieder des EZB-Direktoriums haben zuletzt auch weitere Möglichkeiten ins Gespräch gebracht. So könnte der Einlagezins für Geschäftsbanken ein Minus-Vorzeichen bekommen. Wenn sie also Geld bei der EZB parken wollen, müssten sie dafür etwas bezahlen, anstatt Zinsen zu kassieren.
Die Hoffnung ist, dass die Banken ihr überschüssiges Geld nicht etwa bunkern, sondern an Firmen verleihen und dadurch den Wirtschaftskreislauf insbesondere in den Krisenländern beleben. Dadurch könnte die Inflationsrate wieder in Richtung der Zielmarke von zwei Prozent rücken. Erst am Dienstag hatte das EU-Statistikamt besorgniserregende Zahlen für den Monat Mai veröffentlicht: Die Jahresteuerungsrate in der Eurozone ist auf 0,5 Prozent gefallen.
Als dritte Maßnahme - mit erhofften ähnlichen Wirkungen wie die zweite - könnte die EZB selbst mit Geld um sich werfen. Beobachter spekulieren, die Notenbank werde erstmals zweckgebundene Kredite an Banken vergeben, um für mehr Firmendarlehen zu sorgen. Auch könnte die EZB sich dazu entschließen, verbriefte Unternehmenskredite aufzukaufen oder zu groß angelegten Anleihekäufen zu greifen - dabei wäre man aber darauf angewiesen, dass die Banken auch das tun, was die Geldpolitiker von ihnen erwarten.
Doch im Finanzsektor ist man schon seit Längerem sauer über den Kurs der EZB: »Durch diese niedrige Zinspolitik verlieren die privaten Haushalte in Deutschland pro Jahr etwa 15 Milliarden Euro an Zinseinnahmen«, kritisierte der deutsche Sparkassenpräsident Georg Fahrenschon am Mittwoch im Deutschlandfunk. »Wir reißen durch diese niedrigen Zinsen ein Loch in bestehende Altersvorsorge-Konzepte und setzen auch ein völlig verkehrtes Signal, als würde man sagen, Sparen lohnt sich nicht.«
Der Ärger des CSU-Politikers ist nachvollziehbar. Für Kreditinstitute, die sich besonders auf das Geschäft mit Sparguthaben kapriziert haben, ist die anhaltende Niedrigzinsphase ein echtes Problem. Da Kunden mit Sparbuch, Termin- oder Festgeld nach Abzug der Inflationsrate eher an Kaufkraft verlieren als gewinnen, greifen sie verstärkt zu anderen Anlageformen. Das gilt in Deutschland insbesondere für die öffentlich-rechtlichen Sparkassen und die genossenschaftlichen Volksbanken. Aber auch die Lebensversicherer stimmen in den Klagekanon ein: Sie haben Probleme, den Garantiezins für alte Policen zu erwirtschaften, und werden neue kaum noch los.
Sparkassenchef Fahrenschon wünscht sich von der EZB ein klares Signal in den nächsten sechs Monaten, »dass die Zinsen wieder angehoben werden«. Die Frage, was sonst gegen Deflationsgefahren getan werden sollte, stellt sich für ihn erst gar nicht. Doch dies muss für die Zentralbank natürlich vordringlich sein. Einen kleinen Erfolg konnte sie auch schon erzielen: Die für den Exportsektor schädliche Aufwertung des Euro gegenüber dem Dollar wurde durch die Ankündigung einer noch lockereren Geldpolitik gestoppt - seit einigen Wochen sinkt der Kurs wieder.
Die LINKE sieht indes nicht die Geld-, sondern die Finanzpolitik in der Pflicht: So müsse »die Binnennachfrage in der Eurozone und insbesondere in Deutschland massiv angekurbelt werden«, erklärte der wirtschaftspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Michael Schlecht. Zudem müssten »die wirtschaftlich unsinnigen und sozial katastrophalen Kürzungsprogramme sofort gestoppt« werden.
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