»Ich bin nicht die Unterdrückte«
Die Autorin Hatice Akyün über das Leben als Komödie, Klischees über türkische Frauen und über Helmut Kohl
nd: Wie kamen Sie auf die Idee, Ihr Buch »Einmal Hans mit scharfer Soße« zur verfilmen?
Hatice Akyün: Die Idee hatte ich schon immer, aber das ist natürlich nicht so einfach. Man braucht einen Produzenten und das ganze Drumherum. Die Regisseurin Buket Alakuş kenne ich schon sehr lange, ich wäre aber nie darauf gekommen, dass mein Buch ein Stoff für sie sein könnte. Man musste sich erst mal finden, vor zehn Jahren hätten wir noch nicht diese Mannschaft mit Buket Alakuş, İdil Üner oder Adnan Maral gehabt. Ich glaube, das war Kismet. Das heißt Schicksal auf Türkisch.
Sie haben auch einigen Produzenten abgesagt. Warum?
Weil die eine Vorstellung hatten, die nicht die meine war. Sie wollten aus dem Stoff etwas sehr Konfliktreiches machen: die Freiheitsgeschichte der Hatice, die sich von ihren strengen Eltern loslöst - aber das steht ja nicht im Buch. Auf einmal sollte Hatice ein Kopftuch tragen, obwohl ich keines trage. Die Produzenten wollten die typischen Bilder, die man von türkischen Frauen hat. Sie wollten aus meinem Buch eine Art »Gegen die Wand«-Drama auf lustig machen.
Was steckte dahinter?
Die Mehrheit der Gesellschaft hat ein bestimmtes Bild von türkischen Frauen, das die Produzenten erfüllen wollten. Die Unterdrückte, die Zwangsverheiratete, die um Freiheit Kämpfende - aber das bin ich ja nicht! Im Buch bin ich 35, lebe mein Leben und bin noch nicht erschossen worden. Es gibt keinen schlagenden Vater in meiner Familie und ich möchte auch keinen schlagenden Vater einbauen, nur damit das Bild des Zuschauers stimmt.
Hat es Sie Überwindung gekostet, dass all die privaten Erlebnisse nun für so viele Zuschauer auf der Leinwand zu sehen sein werden?
Was ist privat? Ich unterscheide zwischen intim und privat. Ich mache mir auch genau Gedanken, was ich aufschreibe und wo meine private, ureigene, intime Grenze ist. Ich möchte anhand meiner Geschichten, meiner Erlebnisse und meiner journalistischen Arbeit zu türkischen Themen zeigen, dass wir gar nicht so unterschiedlich sind. In meinem zweiten Buch habe ich beschrieben, dass ich einen Kaiserschnitt hatte - ja, auch türkische Frauen nutzen Kaiserschnitte.
Wird das Bild der türkischen Frau in der Öffentlichkeit zu häufig dramatisiert?
Es gibt die Horror- und Leidensgeschichten, die zwangsverheirateten Frauen und auch Hatun Sürücü - die damals in Berlin von ihrem Bruder erschossen wurde. Es gibt die Geschichten von unterdrückten türkischstämmigen Frauen. Das ist aber nur die eine Seite. Es gibt ja noch die andere Seite - meine Seite, so wie ich leben auch ganz viele andere türkischstämmige Frauen. Die dritte Generation lebt wiederum eine ganz andere Art. Es ist mir wichtig, das Bild durch meine Erzählungen zu vervollständigen. Ich habe nicht den Anspruch, dass meine Geschichte die wahre und einzige ist - ganz im Gegenteil! Alle Geschichten haben ihre Berechtigung. Dramen gibt es auch bei den Deutschen. Meine Geschichte ist kein Drama, bei mir sind es Komödien.
Aber wahrscheinlich nimmt Ihnen nicht jeder die Komödie ab ...
Ja, das ist eigenartig: Im deutschen Genre, egal ob Film oder Buch, kann man sowohl Dramen als auch Komödien erzählen. Doch sobald es türkischen Themen sind, geht es immer um Dramen und Konflikte. Aber das entspricht ja gar nicht der Realität! Zumindest nicht meiner. Es vergleicht doch auch kein Mensch »Das Leben der Anderen« mit »Keinohrhasen«!
Mit türkischen Themen sind wir noch nicht so weit, wobei es langsam kommt, mit komödiantischen Filmen wie »Türkisch für Anfänger« und »3 Türken und 1 Baby«. Ich habe auch das Recht, lustige Bücher zu schreiben! Ildikó von Kürthy oder Susanne Fröhlich werden auch nicht ständig nach sozialen Themen in Deutschland befragt. Aber wenn ich auf einer Lesung bin und zwei Stunden von meinem lustigen Leben erzählt habe, landen wir am Ende doch wieder bei der Zwangsverheiratung.
Neulich haben Sie im »Tagesspiegel« die Kolumne »Ich bin stinkewütend« geschrieben, gerichtet an die Türken, die gerade Erdogan wiedergewählt hatten.
(Seufzt) Ich habe diese Kolumne aus einem Bedürfnis heraus an die Menschen in der Türkei gerichtet. Ich war extrem wütend, weil ich einsehen musste, dass die doch nicht so ticken wie ich. Das war ein Eingeständnis - ich war enttäuscht, wie die Wahl dort ausgegangen ist. Ich habe die ganzen Proteste von Anfang an miterlebt, selbst auf der Straße protestiert und mit meinen Freunden in der Türkei über die Situation gesprochen. Ich war in einer Zeit in Istanbul, in der es bereits brodelte. Ich dachte wirklich: »Jetzt ist Erdogan reif!«
Am Anfang des Textes heißt es: »Viel Glück, Türkei. Ich bin raus.« Wie schwer tut man sich mit so einer Zeile?
Sehr schwer. Am Tag der Wahl habe ich morgens auf Facebook in türkischer Sprache gepostet: »Liebe Türkei, geht wählen und verändert etwas mit eurer Stimme!« Ich war so sicher ... Und auf ein Mal kamen die ersten Hochrechnungen und ich konnte es nicht glauben. Als der erste Schock vorbei war, dachte ich dann: Macht doch was ihr wollt!
Bereuen Sie die Zeile jetzt?
Nein. Ich hatte ehrlich gesagt das Gefühl, dass denen nicht mehr zu helfen ist. »Ich kann nichts mehr für euch tun« - das sage ich auch heute noch. Ich merke, dass ich seit der Wahl zurückhaltender geworden bin. Am 1. Mai saß ich einfach nur da. Bei den »Gezi«-Protesten habe ich hingegen noch viel organisiert. Ich habe jetzt das Gefühl: Ich bin raus.
Die Anwältin und Autorin Seyran Ateş gab vor wenigen Jahren bekannt, dass sie ihren türkischen Pass abgegeben hat. Machen Sie sich über so etwas Gedanken?
Nein. Ich überlade meinen Pass nicht mit Emotionen. Ein Pass ist für mich ein Stück Papier, das in der Schublade liegt. Den Roten hol ich raus, damit ich visafrei reisen kann, aber mit meiner Identität hat das nichts zu tun. Das Türkische ist und bleibt in mir. Ich habe mich nur politisch von der Türkei distanziert - menschlich natürlich überhaupt nicht. Meine Schwester und meine Freunde leben dort.
Seitdem 2013 bestimmte Protokolle der ehemaligen englischen Premierministerin Margret Thatcher veröffentlicht wurden, weiß man, dass Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl einst versucht hat, die türkischen Einwanderer zurück in die Türkei zu schicken. Hat Ihr Vater damals auch ein solches Abfindungsangebot in Höhe von 10 000 DM bekommen?
Ja, aber er hat es nicht angenommen. In unserem Verwandten- oder Bekanntenkreis gibt es jedoch viele, die das taten. Denen geht es heute sehr schlecht in der Türkei - durch den wirtschaftlichen Aufschwung mittlerweile etwas besser. Mein Vater hat sich gefragt: »Wie weit komme ich mit 10 000 DM?« Er hatte damals schon vier Kinder und war klug genug, es nicht anzunehmen. Und Kohls Plan ist anscheinend nicht aufgegangen - ich bin ja noch hier.
Sie haben mal gesagt, dass die Ausdauer der Türken beim Küssen vom Kauen der Sonnenblumenkerne kommt. Was können die deutschen Männer besser?
(Lacht) Die deutschen Männer sind zuverlässiger. Je älter ich werde, umso mehr schätze ich diese Eigenschaft. Dieses Oberflächliche, die tollen Komplimente, dieses Städteniederbrennen, die Leidenschaft - das findet man alles toll, wenn man jung ist.
So ein geschwollenes Gebaren nervt Sie?
Ja. Mittlerweile weiß ich sehr zu schätzen, dass ich weiß, dass mein Mann abends nach Hause kommt, treu ist, Verantwortung trägt und sagt: »Wir ziehen das jetzt bis zum Schluss durch.« (Lacht).
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