Union zürnt über Gabriels Krisen-Vorschlag
SPD-Wirtschaftsminister will verschuldeten Ländern mehr Zeit für »Reformen« geben / Kritik aus CDU und CSU: Das ist kontraproduktiv und destruktiv
Berlin. Um Äußerungen von Bundeswirtschaftsminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel über den Abbau von Staatsschulden in europäischen Krisenländern gibt es weiter große Aufregung im Lager der Union. Gabriel dagegen verteidigte seinen Vorschlag, den von besonders hohen Defiziten betroffenen Ländern mehr Spielraum für so genannte Reformen zu geben. »Wir Deutschen stehen heute besser da als viele andere Staaten, weil wir uns mit Gerhard Schröders Agenda 2010 ein hartes Reformprogramm auferlegt haben. Aber auch wir haben damals Zeit gebraucht, um die Staatsschulden zu senken«, sagte Gabriel der »Bild«. Zuvor hatte er am Rande eines Besuchs des Airbus-Werks im französischen Toulouse angeregt, »dass diejenigen, die ihren Staat reformieren, mehr Zeit beim Abbau von Defiziten bekommen. Also verbindliche Reformen gegen mehr Zeit beim Defizitabbau«.
In dem politökonomischen Blog »Wirtschaft und Gesellschaft« hieß es dazu: »Gabriel will also die Not lindern, die die von ihm befürwortete Politik der Haushaltskonsolidierung in den davon betroffenen Ländern der Europäischen Währungsunion verursacht hat, indem er die Dosis der verabreichten Medizin herabsetzt. Die Medizin selbst aber lobt er gleichzeitig über den grünen Klee, indem er auf vermeintliche Erfolge der von ihm bis heute mitgetragenen Agenda 2010 verweist.«
Politiker der Union machten aus ganz anderen Gründen gegen Gabriels Vorstoß Front. Der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, der CSU-Politiker Manfred Weber, sprach von einem fatalen Signal. »Die Verschuldungspolitik hat Europa an den Rande des Abgrunds geführt«, sagte er dem »Straubinger Tagblatt«. Jetzt dürften »die Fehler« der Vergangenheit nicht wiederholt werden. »Wir brauchen mehr Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit Europas ohne neue Schulden. Gabriel darf nicht wie der frühere SPD-Kanzler Schröder zum Aufweichen der Euro-Stabilität beitragen.«
Auch Finanzstaatssekretär Steffen Kampeter sagte, »Deutschland sollte den Fehler, den es 2003 gemacht hat, nicht noch einmal wiederholen«. Die Bundesrepublik und Frankreich hatten 2003 vereinbart, den EU-Stabilitätspakt aufzuweichen. Der Unions-Haushaltsexperte Norbert Barthle von der CDU sagte der »Rheinischen Post«: »Wir betrachten diesen Vorschlag zur Aufweichung des Stabilitätspakts als ausgesprochen kontraproduktiv und destruktiv.« Eine Aufweichung des EU-Stabilitätspakts würde jeglichen »Reform-Elan« zum Erliegen bringen. Frankreich habe schon einmal zwei Jahre Aufschub für den Defizitabbau bekommen. Noch einmal zwei Jahre Aufschub seien nicht drin, so Barthle. Unionsfraktionsvize Michael Fuchs von der CDU warnte in der »Passauer Neuen Presse«, eine Lockerung der Sparpolitik würde Reformen gefährden.
Schon länger gibt es Forderungen aus mehreren Ländern, die EU-Defizitkriterien zu lockern und etwa Investitionen herauszurechnen. Derzeit ist ein Haushaltsdefizit von höchstens drei Prozent der Wirtschaftsleistung erlaubt. nd/mit Agenturen
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.