Im Senat regieren die Anwälte
Justizsenator Heilmann verlangt vom Finanzsenator eine Unterlassungserklärung
Der Streit in der rot-schwarzen Senatskoalition über die Vergabe des Berliner Gasnetzes eskaliert. Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) hat von Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, für SPD) eine Unterlassungserklärung verlangt. Ein Eklat und beispielloser Vorgang, eine juristische Auseinandersetzung zwischen Senatsmitgliedern gab es noch nie.
Heilmann hatte seine Anwälte am Dienstag nach der Senatssitzung in die Spur geschickt, um Nußbaum zu bewegen, den Verdacht der Befangenheit nicht mehr zu äußern. Der Finanzsenator hatte seinen Kollegen in der Sitzung mit Fragen nach dessen möglichen privaten Interessen bei der Vergabe des Gasnetzes konfrontiert. Dabei bezog er sich auf die Unternehmensbeteiligung Heilmanns am Strom- und Gashändler Ampere AG. Bis zu seinem Wechsel in den Senat 2012 war Heilmann Aufsichtsratsvorsitzender dieser Firma, die Energielieferungen an mittelständische Unternehmen vermittelt. Nussbaum wollte dem Vernehmen nach von Heilmann wissen, ob er in Sachen Energiewirtschaft nicht befangen sei und was er für das Unternehmen Eon getan habe. Eon ist Miteigentümer der Gasag, die derzeit das Berliner Gasnetz betreibt und sich erneut um die Konzession beworben hat. Gegen die Vergabe an Berlin Energie hat die Gasag Klage vor dem Landgericht eingereicht.
Nach Nussbaums Attacke war der Justizsenator empört aus der Senatssitzung gestürmt und hatte auch nicht an der Abstimmung über die Gasnetzvergabe an das landeseigene Unternehmen Berlin Energie, die er kritisch sieht, teilgenommen. Den Verdacht der Befangenheit wies er inzwischen als »absurd« zurück. Er sei nicht auf den Gedanken gekommen, dass ihm sein Engagement bei Ampere so ausgelegt werden könne, erklärte er auf einem hastig einberufenen Pressetermin. »Von den Gasnetzen ist die Ampere AG weit weg«, es gebe auch keine besonderen Verbindungen zu großen Energiekonzernen, auch nicht zu Eon, beteuerte Heilmann.
Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) ist über den Zoff zwischen seinen Senatoren nicht gerade erfreut, offiziell ist man aber um Schadensbegrenzung bemüht. »Die Lage wird sich schon wieder beruhigen«, so Senatssprecher Richard Meng. Wichtig sei, dass die Konzessionsvergabe beschlossen sei. Was die CDU allerdings ganz anders sieht.
Die Justizverwaltung wollte sich gestern zu der Unterlassungsforderung an Nußbaum nicht äußern. Bei diesem stößt sie allerdings auf Granit. Er werde in Absprache mit Klaus Wowereit (SPD) nicht auf Heilmanns Forderung reagieren, hieß es aus der Finanzverwaltung. »Konflikte im Senat werden nicht über Anwälte gelöst«, so eine Sprecherin. In der SPD-Fraktion gab man sich in der Angelegenheit relativ entspannt. Nussbaum könne gar nichts unterlassen, da er ja nur Fragen gestellt habe, hieß es.
Die CDU wurde vom Vorpreschen ihres Senators offenbar überrascht, von »Kindergarten« bis »Katstrophe« reichten die Reaktionen. Der Generalsekretär der Berliner CDU, Kai Wegner, forderte beide Streithähne zum Einlenken auf. »Beide sind aufgerufen, die Situation zu entschärfen und aufeinander zuzugehen. Ich gehe davon aus, dass Senator Nussbaum die gegenüber Senator Heilmann erhobenen Anschuldigungen nicht wiederholen wird.« Eigene Befindlichkeiten seien zwar menschlich verständlich, müssten aber im Sinne der Stadt zurückgestellt werden.
Für Linkspartei ist die Auseinandersetzung Ausdruck einer großen Koalitionskrise. »Seit der Niederlage beim Volksentscheid zum Tempelhofer Feld kommen SPD und CDU nicht mehr miteinander klar«, so Fraktionschef Udo Wolf. Er könne sich nicht vorstellen, dass die Koalition in dieser Konstellation noch lange durchhält. »Wir haben eine Situation, wo sie nichts Positives mehr leisten kann, aber bedingungslos an der Macht klebt.«
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