Endlich mal raus aus den Sandalen
Regisseur Christian Stückl über Shakespeares »Sommernachtstraum« und Oberammergaus Leidenschaft für die Passion
nd: William Shakespeares »Sommernachtstraum« ist so etwas wie die »Mutter aller Komödien«. Am nächsten Freitag hat dieses Bühnenwerk unter Ihrer Regie Premiere im Passionstheater Oberammergau, wo alle zehn Jahre das »Spiel vom Leiden, Sterben und Auferstehen unseres Herrn Jesus Christus« aufgeführt wird. Begehen Sie da nicht ein Sakrileg, Herr Stückl?
Stückl: Im Gegenteil, mit unserem jährlichen Sommertheater knüpfen wir nicht nur an die Popularität des Passionsspiels an, sondern steigern auch Spannung und Erwartungen an dessen nächste Aufführung, also im Jahr 2020. Zudem hat die Komödie hier seit Jahren Tradition in Gestalt des »Brandner Kaspar«, einem oberbayerischen Volksstück, in dem der Protagonist dem Tod ein paar zusätzliche Lebensjahre abluchst und so die irdisch-himmlische Ordnung ordentlich durcheinanderschmeißt.
Letzteres trifft ja auch auf die Irrungen und Wirrungen im »Sommernachtstraum« zu. Warum 2014 gerade dieses Stück - nach »Joseph und seine Brüder«, »Antonius und Cleopatra« und »Moses« in den vergangenen Jahren?
Die jungen Leute, die seit der Passion 2010 zum festen Bestand unseres Laienensembles gehören, wollten endlich mal raus aus den Sandalen, raus aus Ägypten und Judäa, weg von den schwergewichtigen Themen. Das war eine regelrechte Sehnsucht. Dass ich selbst vor über 30 Jahren in Oberammergau eine Theatergruppe gegründet und mit ihr den »Sommernachtstraum« inszeniert habe, passt dazu. Immerhin bekam ich daraufhin später ein Angebot als Regieassistent an den Münchner Kammerspielen.
»Ein Sommernachtstraum« gehört zu den meistgespielten Stücken Shakespeares. Dabei variiert die Ausstattung zwischen dem opulenten Dekor in Max Reinhardts Film von 1935 und Peter Brooks Inszenierung auf kahler, weißer Bühne von 1968. Wo auf dieser Skala bewegt sich Christian Stückl?
Tradition und Dimensionen des Passionstheaters verlangen nach üppiger Dekoration. Für die grobe Orientierung heißt das: Richtung Reinhardt.
Auf der 70 Meter breiten Passionsbühne wird diesmal also nicht durch die Wüste gewandert, sondern durch den Wald gewuselt ...
Ja, unser Bühnenbildner Stefan Hageneier hat in der Tat einen veritablen Forst auf die Bühne gezaubert, einen idealen Ort für die Verwicklungen der glücklich und unglücklich Verliebten, für das Treiben der betörenden Elfen und das Spiel der ambitionierten Handwerker.
Die Handwerker im »Sommernachtstraum« sind Figuren typischer Laienschauspieler. In Oberammergau werden sie, wie die anderen Rollen, von Laiendarstellern gespielt. Ein Doppelsinn wohl ganz im Sinne Shakespeares.
Shakespeare ist der unübertroffene Dramatiker echten Volkstheaters. Mir ist das als Jugendlicher klar geworden, als ich erstmals den »Sommernachtstraum« gelesen hatte und mit dem Text eigentlich wenig anfangen konnte. Und dann fand im Dorf ein Kostümball statt, es gab da eine Frau und einen Mann, die verkleidet waren, die sonst andere Partner hatten, die aber plötzlich in gegenseitige erotische Verstrickungen gerieten - da wusste ich: Aha, das ist Sommernachtstraum! Beim »Brandner Kaspar« sind es übrigens keine Laiendarsteller, sondern Profis vom Münchner Volkstheater.
Dessen Intendant Sie seit 2002 sind. Bei Shakespeare denkt man meist an »Hamlet« oder »Macbeth«. Dabei hat er weit mehr Komödien geschrieben als Tragödien.
Aber es ist nie banaler Ulk bei diesem geradezu wahnsinnig guten Menschenbeschreiber, der die Abgründe bestens kannte, die bis heute hinter den Fassaden klaffen. Auch deshalb haben wir uns nach »Antonius und Cleopatra« 2012 in diesem Jahr für ein weiteres Stück des Meisters entschieden. Selbst in seinen Komödien gehen die Leute ja zum Teil bitterböse miteinander um. Im »Sommernachtstraum« wird Hermia gleich zu Beginn vor die Alternative Kloster oder Tod gestellt.
Mit »Ein Sommernachtstraum« durchstoßen Sie die Folie des mehr religiös orientierten Schauspiels, die über Oberammergau liegt. Dennoch bleibt die Passion - respektive der Passion, wie es in der Oberammergauer Mundart heißt - das Zentralprojekt der Gemeinde. 2015 ist bereits Halbzeit der Zwischenzeit.
Und es wird bereits der Spielleiter für die Aufführung 2020 gewählt.
Bei dieser Wahl haben Sie zweifellos gute Aussichten.
Ja, ich würde es schon gern noch einmal machen. Unbedingt. Leider wird dann mein langjähriger Ko-Spielleiter und Dramaturg Otto Huber aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr mit dabei sein. Er hat maßgeblichen Anteil daran, dass die Passion heute international nicht als verstaubtes Krippenspiel, sondern als eine erfolgreich im 21. Jahrhundert angekommene kulturell-religiöse Theatertradition angesehen wird.
Sie waren bereits drei Mal Passionsspielleiter: 1990, 2000 und 2010. Damit dürfte auch Ihr Anteil ein maßgeblicher sein ...
Ich bin ja in eine ganz eigenartige Situation hineingeboren. In meiner Jugend - schon damals wollte ich Spielleiter werden - waren die aus dem 19. Jahrhundert stammenden Texte praktisch sakrosankt. Auch als die Kritik jüdischer Verbände zunahm, blieben die Oberammergauer stur. Und als ich 1987 zum Spielleiter gewählt worden war, stellte ich die Frage: Wie gehen wir um mit Kritik an diesem für uns so existenziellen Spiel, vor allem mit Kritik an dessen Antijudaismen? Und auf einmal gab es unter den Oberammergauern, die sich zuvor gegen jegliche Mitsprache von außen strikt verschlossen hatten, eine überaus lebhafte Debatte. So konnte ich gemeinsam mit Otto Huber und anderen mit den jüdischen Organisationen sehr offene Gespräche suchen und führen, Änderungen in Text und Handlung erreichen. Unter Verzicht auf jeden kleingeistigen Fundamentalismus.
1987 waren Sie gerade 25 ...
... und damit der bis dato jüngste Spielleiter, was die ältere Generation auch als Kampfansage sah. Sie befürchtete, ihr solle das Spiel aus der Hand genommen werden. Doch diese sehr oft heftige, wechselseitige Kritik über die Jahre und Jahrzehnte - und über die neu ins Spiel gekommenen Generationen - hat sich ausgezahlt. In der für alle Besucher sichtbaren Vitalität der Passionsspiele.
Die jetzt sogar weltkulturelle Weihen erhalten könnten ...
Sie meinen den Vorschlag der bayerischen Regierung zur Aufnahme der Oberammergauer Passionsspiele in das sogenannte immaterielle Weltkulturerbe. Die UNESCO hat uns dafür als Kandidat nominiert. Das halte ich, das halten die Oberammergauer für durchaus angemessen. Seit 1634 wird hier regelmäßig Passion gespielt. Mittlerweile unter Teilnahme von Tausenden Bürgern Oberammergaus und einem Strom Hunderttausender Besucher aus aller Welt. Oberammergau lebt von der Passion, aber es lebt vor allem für die Passion.
Die aber leider nur alle zehn Jahre stattfindet.
Was auch so bleiben wird. Aus Gründen der Tradition, aber auch, weil kürzere Abstände logistisch gar nicht zu bewältigen wären. Schließlich ist praktisch die gesamte Gemeinde irgendwie eingebunden, die Darsteller müssen sich wochenlang beurlauben lassen ... Die Passionsspiele werden ein Ereignis bleiben, das nicht im Fernsehen oder auf DVD zu sehen ist. Dafür muss man nun einmal nach Oberammergau kommen.
Etliche Darsteller vergangener Passionen stehen ja beim jährlichen Sommertheater auf der Bühne.
Auf jeden Fall. Und es kommen immer wieder talentierte, vor allem junge Leute hinzu, was nicht zuletzt mit Blick auf die nächste Passion wichtig ist. So halten wir Oberammergauer Passions- und Theaterspiel lebendig.
Was das Spiel mit den Mythen betrifft, so gibt es zwischen Passion und »Sommernachtstraum« doch durchaus Berührungspunkte.
Das überrascht mich jetzt. Aber wenn Sie diese Berührungspunkte sehen, finde ich das wunderbar.
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