Von Tussis und Dino-Feminismus
Zwei junge Journalistinnen versuchen dem Begriff Tussi neue Werte zuzuschreiben
Blond, blöd, barbiemäßig. So stellt man sich eine Tussi vor. Jedenfalls war das mal so. Aber jetzt gibt es eine neue Definition von der Tussi, jetzt soll sie genau das Gegenteil der strohdoofen Mausi sein, nämlich schlicht »der bessere Mensch«. Jedenfalls in den Augen von Theresa Bäuerlein und Friedrike Knüpling. Die Tussi, die die beiden jungen Journalistinnen, die unter anderem für Jugendmagazine wie »Neon« und »jetzt« schreiben, ausgemacht haben, ist obendrein noch Feministin.
Eine steile These und klingt zunächst nach einer neuen Feminismus-Debatte. »Wenn wir von der Tussi sprechen, meinen wir nicht unbedingt das oberflächliche Lipglossgirl aus dem Einkaufszentrum. Die Tussi, die wir meinen, ist ein komplizierter Charakter«, schreiben Bäuerlein und Knüpling. Kompliziert heißt bei den beiden allerdings eine klare Zuspitzung auf Schwarz-Weiß-Bilder: Hier Frau, da Mann, hier gut, da schlecht. Die Tussi, die Bäuerlein und Knüpling meinen, ist nämlich eine Frau, die eine »Revanche am Mann« will.
Revanche am Mann? Im Jahr 2014? In einer Zeit also, in der Zeitungen und Blogs voll sind mit Texten zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wohlgemerkt für beide Geschlechter, von Männern in Vätermonaten und an der Spüle und von Müttern in Büros und an der Spitze von Unternehmen. Frauen und Männer verstehen sich so gut wie schon lange nicht. Und sie sind sich einig, dass es mehr Gerechtigkeit für Frauen nur geben kann, wenn die Männer miteinbezogen werden. Dass es gesünder für beide Geschlechter ist, sich nicht zu bekämpfen, sondern miteinander zu kooperieren.
Und dann schreiben Bäuerlein und Knüpling Sätze wie diese: »Sie (die Tussi, d.A.) fühlt sich verarscht, denn die gesellschaftlichen Strukturen sind ihr zu männlich, und es geht ihr um Macht.«
Ja, es geht manchen Frauen um Macht. Die ihnen vor allem in Aufsichtsräten, Vorständen, Banken, Dax-Unternehmen und und und gern vorenthalten wird. Und ja, die gesellschaftlichen Strukturen sind vielfach noch immer männlich geprägt. Warum sollten sich Frauen da nicht verarscht fühlen? Aber sie fühlen sich nicht verarscht in dem Sinne, wie die beiden jungen Frauen das beobachtet haben wollen: »Wenn Frauen über Männer sprechen, kann man neuerdings ein Misstrauen spüren, das wir bis vor Kurzem für ein historisches Relikt gehalten haben.« Die Frauen, die die Autorinnen meinen, Tussis also, reden den lieben langen Tag von nichts anderem, als dass sie sexuell ausgebeutet werden, nicht nach oben kommen und sowieso auf ganzer Linie Opfer sind. Opfer von Männern. Mit Verlaub, das ist ein Frauenbild, das tatsächlich ein historisches Relikt ist. Das ist frühe Siebziger, das ist die berühmte lila Latzhose, das ist Dino-Feminismus.
Die Autorinnen spitzen ihre These so weit zu, dass »die Tussis«, die alles richtig machen, die also sich eingerichtet haben in der feministischen Meckerecke, einen einzigen Gegner haben: den Mann. Und der kann angesichts von so viel Macht, die er dank der von ihm geschaffenen Strukturen hat, einfach nur alles falsch machen. Gegen diese »Tussikratie« scheint ebenso kein Kraut gewachsen zu sein wie gegen Dummheit.
Das Ergebnis, finden die beiden Autorinnen, ist aber nicht mehr Gerechtigkeit und Gleichheit unter den Geschlechtern, sondern eher eine Art moralischer Herrschaft von Frauen, die im Namen des gesamten Geschlechts lediglich eine individuelle Ich-Bezogenheit verschleiern wollen.
Dieser Blick verstellt den Tussis allerdings die Sicht auf den wahren Gegner: die immer prekärer werdende Wirtschaft. Und in der können nur alle verlieren, Frauen, Männer, Tussis. Aber der »große Fehler« der Tussis ist, dass für sie dabei nur »der Frauenanteil des Problems relevant« ist. »Wir müssten uns darüber klar werden, wo genau es wirklich sinnvoll ist, über Geschlecht zu sprechen – und ansonsten den Blick frei geben für eine breitere Diskussion über soziale Verhältnisse. Das täte sowohl der Geschlechterdebatte gut als auch der anstehenden Klassendiskussion, von der wiederum auch viele Frauen profitieren könnten.«
Da die Tussis das aber nicht tun, sondern stattdessen Frauennetzwerke und Antidiskriminierungskurse organisieren, vergeben sie sich »eine Reihe von Allianzen« und schüren eine »künstliche Feinschaft zwischen Männern und Frauen«, die dem »Zusammenhalt der Gesellschaft schaden kann«. Außerdem unterstützen die Tussis mit ihrem Streben nach einem Vollzeitjob jene männlich strukturierte Arbeitswelt, die ja selbst Männer nicht mehr wollen: Rackern bis zum Herzinfarkt, keine Zeit für die Familie, Kinder bleiben Frauensache. Bäuerlein und Knüpling nennen das »hegemoniale Tussigkeit«, das Pendant zur hegemonialen Männlichkeit, das die Tussis so sehr kritisieren: eine Macht, die unantastbar ist und die man nur im hegemonialen Klub bekommt, mit dem man allen anderen überlegen ist.
Wer so argumentiert, schafft sich seine eigenen Allianzen. Möglicherweise mit Frauen wie der Ex-Frauen- und Familienministerin Kristina Schröder (CDU), die in den Augen von Bäuerlein und Knüpling nicht wegen mangelnder Kompetenz angegriffen wurde, sondern weil sie zu sehr gegen Tussikratie vorgegangen ist. Und wer so argumentiert, stellt sich in eine Reihe mit jenen Antifeministen, die sich als Opfer von Frauenbewegung und Feminismus empfinden, sich allerorten (von Frauen) diskriminiert fühlen und überall nur noch weibliche Strukturen erkennen.
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