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Vernehmbare Stimmen

Ulster-Museum Belfast: Kunst im Kontext des nordirischen Konflikts

  • Alfons Huckebrink
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Sekundenabstand jener langgezogene, durchdringende, kaum erträgliche, metallisch aufgeladene scharfe Schleifton: die Klanginstallation »Ballad No. 1« (1992), mit der Philipp Napier (1965 in Belfast geboren, derzeit Professor am National College of Art & Design in Dublin) an das 1981 im Hungerstreik gestorbene IRA-Idol Bobby Sands erinnert. Kann Kunst im Konflikt vermitteln?

Diese sehr alte Frage vermag auch die verstörende Präsentation »Art of the Troubles«, mit der das Ulster-Museum in Belfast - herrlich gelegen im Botanischen Garten - aufwartet, nicht zu beantworten. Allenfalls sich anzunähern mittels Einschränkungen: ganz sicher nicht, wenn sie parteiisch ist. Ganz sicher nicht, wenn sie keine Stellung bezieht. 60 Exponate von 50 Künstlern aus Nordirland und darüber hinaus, vor und nach dem Karfreitagsabkommen von 1998 entstanden, spiegeln die ungeheure Härte des nordirischen Bürgerkriegs zwischen Protestanten (Loyalisten) und Katholiken (Republikanern) ebenso wider wie die schier unüberwindlichen Schwierigkeiten, zu einem tragfähigen Ausgleich, einem belastbaren Miteinander zu gelangen.

Anders als die Medien, ermöglicht Kunst eine Anschauung über Konfliktlinien hinaus. Kunst, will sie sich über die Parteiungen erheben, darf nicht lediglich die singuläre Geschichte des Kampfes inszenieren. Sie muss, will sie zur vernehmbaren Stimme im Zerwürfnis werden, weiter ausgreifen, den großen Wurf wagen, kann mit ihren ästhetischen Anmutungen neue Streitkultur erzeugen. Die in Belfast versammelten Künstler rekurrieren mit ihren Arbeiten auf Gewalt und Zerstörung, Leid und Verlust, Traditionen und Stereotype sowie auf das Überleben inmitten des Aufruhrs. Gewiss sind unter ihnen einige, die mitgemischt haben. Aktivisten wie der 1951 in Belfast geborene Geordie Morrow, der als junger Mann der loyalistischen UVF beitrat, setzen sich mit ihrer eigenen Vergangenheit auseinander. Sein Bild »Tuesday, 26th October 1977« zeigt einen Tag im berüchtigten, mittlerweile abgerissenen Gefängnis The Maze (Long Kesh), in dem er selbst drei Jahre wegen eines Banküberfalls einsaß.

Der renommierte Richard Hamilton (1922-2011), bekannt u.a. durch das Poster im White Album der Beatles, greift in seinem Kupferstich »Finn MacCool« auf eine Gestalt der keltischen Mythologie zurück, der er die Züge des Sinn Féin Politikers Raymond McCartney verleiht, der, Mitglied der Provisional IRA und wegen Polizistenmordes zu lebenslanger Haft verurteilt, bis 1994 einsaß und den Hungerstreik von 1981 anführte.

Sechs Gefängnistüren, Salz und Glas, Gucklöcher: An das Schicksal der weiblichen Gefangenen im Armagh Woman’s Prison erinnert die Rauminstallation »Veil« (2002), also Schleier, der fulminanten Rita Duffy (geb. 1959) aus Belfast, geprägt in ihrer Entwicklung zur und als Künstlerin, durch den Bürgerkrieg.

Leicht eingängige, den konkreten Konflikt transzendierende Bilder wie »Victim« des T.P. Flanagan (1929-2011), dessen Gesamt-Œuvre im Wesentlichen aus lichten irischen Landschaften besteht, lassen das Leid unbeteiligter Opfer und ihrer Hinterbliebenen erfahrbar werden. In zarten, zwischen weiß und ocker changierenden Farbtönen schuf der irische Künstler ein klassisch anmutendes Porträt der Vergänglichkeit, zu dem er durch die Ermordung eines Freundes inspiriert wurde. Erschütternd hingegen die Bronzeskulptur »Woman in Bomb blast 1974/1« von F.E. McWilliams (1909-1992) - Zeitgenosse und Freund Henry Moores - aus der Serie »Women in Belfast«.

Das düstere »Year in the Black Taxis: January-December, 1989« (Tinte auf Papier) von Brendan Ellis (geb. 1951) zeigt vier Personen. Drei Frauen, sorgenvoll starrend, zusammengekauert, vom Terror gezeichnet, die schwangere Frau eingerahmt von den beiden anderen mit Paketen Beladenen, im Fond eines schwarzen Nachttaxis, wie sie auf dem Höhepunkt des Konflikts in Selbsthilfe organisiert wurden, da Busse aufgrund der Straßensperren nicht mehr fuhren oder nicht sicher genug waren. Dazu ein Kind in Rückensicht und Halbprofil, das, die Situation begreifend, ungeduldig nach den Geschenken greift.

Schlendert man durch das pulsierende Zentrum Belfasts, erscheint der Bürgerkrieg absurd und gestrig. Geht man in die eindeutig definierten Viertel mit ihren loyalistisch oder republikanisch ausgerichteten Beflaggungen und Wandmalereien (Murals), erahnt man jedoch die tiefe Spaltung, die große Teile der Bevölkerung nach wie vor entzweit. Der Weg vom Waffenstillstand zu einem zivilisierten Alltag ist beschwerlich. Dass mancher Albtraum rasch wieder aufleben könnte, zeigen die Ermordung des IRA-Dissidenten Tommy Crossan am Karfreitag sowie die vorübergehende Verhaftung des Sinn Féin Politikers Gerry Adams am 1. Mai diesen Jahres.

Kunst formiert sich in neuen Sichtweisen und fordert diese ein. Dabei bleibt sie selbst, und gerade darin gründet Hoffnung, selten unumstritten. Der schmerzhaft kreischenden »Ballad No. 1« kann sich der Besucher in keinem Raum dieser Ausstellung entziehen. Die Kunst des Konflikts, das zeigt sich erneut in Belfast, wird sich wohl stets erweisen als eine Kunst im Konflikt.

Art of the Troubles: Ulster Museum, Botanic Gardens, Belfast, noch bis zum 7. September, Eintritt frei, weitere Informationen, u.a. ein online-Archiv unter: www.nmni.com/um

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