»Nieder mit den sächsischen Verhältnissen!«
Weil die AfD in Sachsen die FDP ablöst, ist Schwarz-Gelb Geschichte / NPD nicht sicher draußen
Kurz nach 19 Uhr am Sonntag Abend schiebt sich ein kleiner Demonstrationszug an der Frauenkirche in Dresden vorbei. »Nieder mit den sächsischen Verhältnissen!«, steht auf einem Transparent. Die Touristen, die in den Bierlokalen auf dem Neumarkt den Tag ausklingen lassen, sind irritiert. Einen Hinweis auf den Anlass des Aufzugs liefert ein weiteres Transparent mit der Aufschrift »Solidarität, Emanzipation, Kommunismus«. Dies sei, heißt es, »Unsere Alternative für Deutschland.«
Die Wähler in Sachsen haben sich zu einem bemerkenswerten Teil weder für Solidarität noch Emanzipation entschieden, ganz zu schweigen von Kommunismus. Statt dessen haben sie dafür gesorgt, dass die »Alternative für Deutschland« nicht nur ihren ersten Einzug in den Landtag feiert; sie haben sie wohl sogar mit einem zweistelligen Ergebnis ausgestattet. »Es ist ein Wahnsinn«, frohlockt Parteichefin Frauke Petry in der Festung Dresden vor ihrem Anhang.
Anderswo sorgt der Einzug nicht für Frohlocken. »Wie haben in Sachsen offenkundig ein Problem mit Protestwählern, die von Partei zu Partei wandern«, stellt Markus Schlimbach, der Landesvize des DGB, fest. 2004 hatte die NPD beinahe die Zehnprozent-Marke geknackt. 2009 wanderten 15 000 ihrer Wähler zur FDP und verhalfen ihr zu 10 Prozent und dem Eintritt in eine schwarz-gelbe Regierung. Nun hat die AfD das Reservoir der Unzufriedenen angezapft: 18 000 Wähler zeigten den Liberalen die kalte Schulter, 15 000 der NPD; außerdem 16 000 der LINKEN und 34 000 der CDU. »Das gehört zu den Dingen, die der sächsischen Demokratie eine Sonderstellung im negativen Sinn verleihen«, sagt der Gewerkschafter.
Einen Dämpfer hat die Stärke der AfD der CDU beschert. Sie kann zwar ihre 24-jährige Regierungszeit fortsetzen, fiel aber erstmals unter die magische Marke von 40 Prozent und ist weit entfernt von der Rückkehr zur Alleinregierung, von der man noch vor Monaten träumte. Ministerpräsident Stanislaw Tillich sprach dennoch von einem »super Ergebnis«. Die Frage, mit wem er bis 2019 koaliert, ließ er zunächst offen.
Sein bisheriger Partner steht nicht mehr zur Verfügung: Die FDP ist unmittelbarer Leidtragender der wandernden Protestwähler. Die Liberalen flogen aus Landtag und Regierung, womit Schwarz-Gelb in der Bundesrepublik Geschichte ist. Die Schuld schiebt Landeschef Holger Zastrow nach Berlin. Mit Leichenbittermiene sagte er, man zahle »den denkbar schwersten Preis für den Ansehensverlust der Bundespartei«.
Unklar blieb zunächst, wie stark der Einzug der AfD die Gewichte im sächsischen Landtag nach rechts verschiebt: Die NPD, die erste Prognosen bei fünf Prozent gesehen hatten, musste später bangen. Fest stand da indes bereits: Die AfD, die zumindest in Teilen rechtspopulistische Positionen vertritt und von der rechtsextremen NPD als Konkurrenz empfunden wurde, fuhr ihren Sieg nicht auf deren Kosten ein. Die Nazis »sind kommunal inzwischen verankert«, erklärt Grit Haneforth vom Kulturbüro Sachsen. Sie weist auf eine brisante Konstellation für den Fall hin, dass beiden Parteien der Einzug in den Landtag gelingt. Es bleibe dann abzuwarten, »wie sich beide bei Sachthemen verhalten«, wo es Überschneidungen gebe. Hanneforth fürchtet, dass die bisher in Dresden praktizierte Ausgrenzung der NPD »schwerer wird«.
Wenig Jubel gab es bei den Wahlpartys des »linken Lagers« – das sich freilich in Sachsen nicht als solches präsentiert hatte. Für die LINKE, die für eine rot-rot-grüne Regierung geworben hatte und knapp unter ihrem Ergebnis von 20,6 Prozent aus dem Jahr 2009 blieb, stellte Bundesvize Caren Lay fest, es habe »keine Wechselstimmung« gegeben – »weil Grüne und SPD das verhindert haben«. Beide hatten sich auch die Option einer Regierung mit der CDU offen gehalten. Der SPD, die sich mit 12,5 Prozent ein wenig aus dem Keller arbeitete, eröffnet sich vermutlich nun die Gelegenheit, zum zweiten Mal mitzuregieren. Die Grünen indes schafften es mit wenig über fünf Prozent nur denkbar knapp in den Landtag.
Ein frommer Wunsch bleibt der Spruch, der auf ihrer Wahlparty auf Bierdeckeln zu lesen war: »Sterni statt Stani«, steht dort. Stani Tillich bleibt den Sachsen weitere fünf Jahre erhalten. Und auch Sternburg ist als Biermarke wohl nur bei den Demonstranten mehrheitsfähig, die auf dem Neumarkt gegen die »sächsischen Verhältnisse« demonstrierten.
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