Verständigung? Unmöglich. Sicherheit? Nirgends

Sherko Fatah erzählt von einer Geiselnahme und führt die ausweglose Situation in Irak vor Augen

  • Werner Jung
  • Lesedauer: 4 Min.

Überall brennt es im Nahen Osten - und nicht nur dort. Syrische Kämpfer gegen das Assad-Regime sind seit langer Zeit im Widerstand, und seit einigen Monaten verbreiten nun die sogenannten Gotteskrieger des IS in Irak, den Grenzregionen zu Syrien und Iran Angst und Schrecken, treiben Zehntausende in panische Flucht. Sie morden, vergewaltigen, misshandeln und rauben, zerstören Kulturgüter, für die es im Westen Interessenten und potente Käufer gäbe. Und dieser Westen, die EU ebenso wie die USA, zeigt einerseits Ratlosigkeit und war andererseits von Anfang an in diese Konflikte involviert, mischt sich auch heute wieder ein, weil es um ökonomische und politische Interessen geht.

In dieser Situation scheint es, und das wird täglich durch immer neue Horrormeldungen in den Medien bestätigt, als habe Sherko Fatah eine geradezu seherische Begabung bewiesen, denn sein neuer Roman, natürlich um einiges früher geschrieben, hat vieles von dem antizipiert, was derzeit im Nahen Osten passiert.

Der Autor wurde als Sohn eines irakischen Kurden und einer Deutschen 1964 in der DDR geboren, wo er die ersten zehn Jahre seines Lebens verbrachte. Später siedelte die Familie nach Wien und West-Berlin über, aber immer wieder ist Sherko Fatah in die Heimat seines Vaters gereist, wo er auch den Stoff für viele seiner späteren Bücher fand. Zwei von ihnen standen mehrmals auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis und den Preis der Leipziger Buchmesse; zu Recht bezeichnet ihn der Verlag als einen der interessantesten deutschsprachigen Erzähler seiner Generation.

Zu Beginn des vorliegenden Romans hockt der junge Deutsche Albert, über den wir später erfahren, dass er aus journalistischen Gründen nach Irak gereist ist, in einem Holzverschlag. Entführt und eingesperrt im Nirgendwo eines unwirtlichen Landes. Von wem? Er weiß es nicht und auch nichts über die Hintergründe. Zunächst. Dann stößt Osama, sein Übersetzer und inzwischen mit ihm befreundeter Iraker, hinzu. Auch er gekidnappt von derselben Gruppe. Immer deutlicher zeichnet sich ab, dass es sich um eine politisch wie religiös motivierte Entführung handelt, dass es darum geht, für den Kampf benötigte Mittel zu erpressen. Das belegt nicht zuletzt die Laxheit der Entführer im Umgang mit ihren Geiseln, die dann auch entfliehen können - freilich von einer anderen Gruppe bald wieder eingefangen werden. Es stellt sich heraus, dass Osamas Jugendfreund Abdul der Emir und Kopf einer Terrorgruppe ist, die den vermeintlich rechtmäßigen Glauben im Land wiederherstellen will und für die die anderen - ebenfalls Schiiten - bloß Ketzer sind: »Sie haben«, so Abdul einmal zu Osama, »unsere Religion untergraben und sich zunutze gemacht, haben Moscheen umgewandelt in Husseinijats, Tempel für ihren Götzen, den sie an Ashura anbeten. Sie haben einen Klerus geschaffen, denn der böse Geist der ungläubigen Kreuzfahrer ist in ihnen, verwandelt zwar, aber erkennbar. Sie beten Bilder an und Gesichter. Das sind die Ältesten und Schlimmsten aller Eindringlinge, denn nichts ist gefährlicher als ein falscher Prophet.« Sprengstoffattentate werden vorbereitet und ein Auto entsprechend präpariert. Dazwischen finden ständig Verhöre statt, Osama muss grausame Folter erleiden, bis schließlich doch noch die nicht mehr für möglich gehaltene Freilassung der beiden erfolgt.

Warum? Das verschweigt der Roman ebenso wie er zugleich beredt die gewachsene Entfremdung zwischen den beiden Protagonisten vor Augen führt. Man begreift: Eigentlich kann es hier gar kein Verstehen der unterschiedlichen Kulturen geben. Zu verschieden sind die und Sozialisationsmuster, die den einen, Sohn eines Ex-Kommunisten aus der DDR und wohlstandsverwöhnt, vom anderen, tief im Religiösen verwurzelten und um einen bescheidenen Lebensstandard ringenden Menschen, geprägt haben. Und es gibt auch keinen Ausweg, keine Versöhnung und keine Harmonie.

Auch wenn die beiden Protagonisten der Gewalt im Land entkommen sind, bleibt beim Leser die beunruhigende Erkenntnis zurück, dass dies nur einem wie auch immer gearteten Zufall zuzuschreiben ist. Überall und zu jeder Zeit kann es wieder zündeln, können Gewalt und Terror im Zeichen einer irrationalen religiös-politischen Logik aufbrechen.

Fatah hat ein durch und durch politisches Buch geschrieben, das - darin liegen Größe und Grenze gleichermaßen - mit den Mitteln des Politkrimis wie des Abenteuerromans genauso rasant wie fulminant die Stationen einer Entführung und ihrer Dramatik inszeniert. Die Stringenz der Handlung geht jedoch bisweilen auf Kosten der Reflexion, die man sich als Leser eines Romans, der auf so vermintem Gelände wie dem gegenwärtigen Irak spielt, im Blick auf die Haupthelden gewünscht hätte.

Aber vielleicht muss das alles so sein, denn wer wüsste schon gültige Antworten auf diese Krise zu formulieren, die einem nahegeht, die einem Angst macht.

Sherko Fatah: Der letzte Ort. Roman. Luchterhand Literaturverlag. 360 S., geb., 19,99 €. Buchpremiere am 3.9., 19.30 Uhr, in der Humboldt-Bibliothek, Karolinenstr. 19, Berlin-Tegel

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